Restaurant mit ukrainischer und georgischer Küche
Von Odessa nach Bad Reichenhall: Wenn Borschtsch auf Alpenidylle trifft
In Bad Reichenhall gibt es in der Schachtstraße seit kurzem ein kleines Restaurant mit ukrainischer und georgischer Küche. Seine Inhaber mussten bereist am ersten Tag des Angriffskrieges Odessa verlassen. Im Gespräch mit BGLand24.de erzählen sie von ihrer dramatischen Flucht und wie sie hier nun ein komplett anderes Leben führen.
Bad Reichenhall – An den Wänden des „Kinza“ hängen einige Erinnerungsstücke, die die Besitzer vor dem Krieg retten konnten: Bilder, ein handgemachtes folkloristisches Kleid, Handarbeiten. Tetiana Yaryshkina und Slava Yaryshkin mussten schon am ersten Tag des Angriffskrieges auf die Ukraine aus Odessa fliehen. Tetiana ist noch einmal kurz zurückgekehrt, um die Gegenstände zu holen, denn bei ihrer Flucht musste es damals ganz schnell gehen.
Ein ganz anderes Leben: „Wir hatten alles“
„Unser Leben war komplett anders als hier“, erklärt Tetiana. „Wir hatten alles, haben in einer sehr guten Gegend mit Blick aufs Meer gelebt, waren viel unterwegs.“ Odessa, unmittelbar vor dem Krieg: Tetiana ist Inhaberin eines Haarstudios, färbt dort nicht nur Haare, sondern bietet auch Schulungen an. Ihr Mann Slava ist in einer privaten Luftfahrt-Firma tätig, beide haben einen Abschluss von der Universität für internationale Beziehungen. Zusammen mit ihren beiden Töchtern und einer großen Katze bewohnen sie den 14. und 15. Stock eines Hochhauses.
Als es die ersten Gerüchte um einen möglichen Angriff Russlands gibt, ist Slava beunruhigt und bittet seine Frau, ein paar Kleidungsstücke zusammen zu suchen und sich auf eine mögliche Flucht vorzubereiten. „Dieser Teufel (Putin, Anm. d. Red.) hat immer schon von Odessa als Angriffsziel gesprochen. Daher hatte ich Angst, dass ein großer Angriff kommen würde“, erzählt er. Doch Tetiana nimmt die Warnung ihres Mannes nicht ernst. Einen Krieg hält sie für völlig unmöglich. Slava hingegen schließt noch am Tag vor Kriegsbeginn eine medizinische Reiseversicherung ab. Zudem gehen die beiden zum Notar, wo sie mit einer Vollmacht vereinbaren, dass sie jeweils einverstanden sind, dass gegebenenfalls auch nur einer von ihnen mit den Kindern ins Ausland geht. „Um ein Uhr nachts habe ich dann die Nachrichten gelesen und angefangen, Dokumente zusammen zu packen,“ erklärt Slava.
Der Krieg beginnt, die Familie muss fliehen
„Als ich um fünf Uhr morgens aufgewacht bin und die Raketen sah, war ich schockiert. Ich habe es nicht geglaubt“, erzählt Tetiana. Die Familie muss sofort weg. Sie verlässt die Wohnung, ohne an Ersatzkleidung zu denken. Tetiana trägt an diesem kalten Wintermorgen nur Slipper. Mit ihren beiden Autos möchten sie zu ihrem Ferienhaus in etwa 50 Kilometern Entfernung fahren. Tetiana muss allerdings noch tanken. Doch an der Tankstelle hat sich bereits ein riesiger Stau gebildet. Während sie wartet, schlägt in der Nähe eine Rakete ein. Die Druckwelle schüttelt das Fahrzeug durch. Tetiana stürzt aus dem Auto und rennt in ein Feld. Zwei Männer folgen ihr, beruhigen und ermahnen sie, sich zusammenzureißen und weiter zu fahren.
Doch beim Ferienhaus angekommen schlagen zwei weitere Raketen ein. Die ersten Häuser werden geplündert, hören sie von Freunden. Die Familie entscheidet sich schließlich, nach Moldau über die Grenze zu fliehen. „Da waren schon viele, viele Leute mit Kindern und Hunden“, erinnert sie sich. Alle Hotels sind voll. Die Familie kommt zusammen mit ihrer Katze, aber ohne Katzenklo, provisorisch auf einem Campingplatz unter. „Wir haben nicht geschlafen, sondern die Nachrichten gelesen und wussten, dass wir nicht zurück können.“ Nur wenige Stunden nach ihrer Flucht wird es Männern nicht mehr gestattet, das Land zu verlassen. „Die Flughäfen wurden als Erstes bombardiert. Unser Business wurde in der ersten Stunde des Krieges zerstört und ich habe damit meinen Job verloren“, sagt Slava.
Nach einer langen Suche findet die Familie in Bad Reichenhall eine Unterkunft und Arbeit
Die vorangegangenen zehn Jahre war das Paar immer wieder im Berchtesgadener Land im Urlaub, davon zeugen viele Fotos auf Instagram. „Das war der einzige Ort, den wir kannten. Wir kannten die Straßen und die Geschäfte“, erklärt Tetiana. Also macht sich die Familie am nächsten Tag auf den Weg über Rumänien und Österreich in die Schönau. Dort angekommen, beginnt eine neue Odyssee: Die Familie findet keine Wohnung, sucht von Salzburg bis München. In manchen Unterkünften gibt es Corona-Ausbrüche, in anderen Schimmel, auf den das Mädchen, dass sie von Bekannten inzwischen zusätzlich aufgenommen haben, allergisch reagiert. Schließlich finden die Fünf in Bad Reichenhall endlich ein Haus als dauerhafte Bleibe bei einer „sehr netten Familie“.
Im Februar findet Slava eine Vollzeitstelle in der Kurstadt. Tetiana möchte auch etwas tun und überlegt, was vor Ort Sinn macht: Hairstylisten gibt es genug. Aber sie kocht gerne, hat schon als Kind viele Rezepte von ihrer Mutter und Großmutter sowie den georgischen Nachbarn gelernt. Nach längerer Suche finden sie die Räumlichkeiten für das Lokal. „Viele wollen nicht an Ukrainer vermieten. Aber wir konnten die Vermieter überzeugen, dass wir ganz normale Leute sind, die arbeiten und auch bezahlen“, so Slava.
Typisch ukrainisch und georgisch: Mit Auberginen und Koriander
Er schreibt einen Businessplan und erstellt eine Website. Seit Juli bieten die beiden nun in ihrem Restaurant täglich frisch gekochte, typisch ukrainische und georgische Gerichte an, speziell auch aus ihrer Heimatstadt. „In Odessa geht es international zu. Wir haben Georgier, Armenier, Türken und auch viele Europäer“, sagt Tetiana. Dementsprechend sei die Küche ziemlich bunt: „Sie enthält auch jüdische, arabische, türkische und italienische Akzente.“ Über die Hälfte der Gerichte im „Kinza“ ist vegetarisch. Auberginen dürfen fast nirgends fehlen. Auch Koriander, was „Kinza“ übersetzt bedeutet, ist in fast allen Gerichten enthalten. Ausgefallen lesen sich die Speisen auf der Karte, auszusprechen sind sie für deutsche Münder zum Teil auch schwierig: Borschtsch-Suppe, Khachapuri, Wareniki, Pelmeni. Dennoch ist sich das Paar sicher, dass diese den deutschen Mündern schmecken. Die Unterschiede seien gar nicht so groß. „Wir nehmen die gleichen Zutaten wie hier, servieren sie nur auf eine andere Art“, betont Tetiana.
Inzwischen kommen viele Einheimische, aber auch Touristen und sogar Ukrainer und Russen ins „Kinza“. „Gestern hatten wir Gäste aus den Vereinigten Staaten. Sie kamen wegen Khatchapuri, die Frau macht sie in den USA traditionell zum Superbowl“, lacht Slava. Sein Tag ist inzwischen sehr lang geworden: Morgens bringt er die Kinder zur Schule, erledigt die Einkäufe fürs Restaurant, geht zur Arbeit und bedient am Abend die Gäste. Zwölf Kilo hat er inzwischen verloren. Die Kinder verbringen die Abende ebenfalls im Restaurant. Die ältere Tochter hat es inzwischen, trotz anfänglicher Sprachbarrieren, sogar aufs Gymnasium geschafft. Die Familie ist sich sicher, dass ihre Flucht die richtige Entscheidung war. „Bad Reichenhall ist ein sicherer Ort. Es ist nicht schwierig, hier zu leben. - Wenn du Arbeit hast. Es ist nur schlecht, wenn man nichts tut, hier und auch anderswo. Das macht depressiv. “, meint Slava. Von Sozialhilfe wollen die Ukrainer auf keinen Fall abhängig sein.
Sollte dieser schreckliche Krieg eines Tages enden, steht für Slava fest: „Als Erstes würde ich meine Eltern besuchen. Und wir würden uns unter dem Weihnachtsbaum versammeln, der noch immer in unserer Wohnung steht.“ Gerne würde das Paar seine Immobilie verkaufen, aber derzeit gibt es natürlich keine Interessenten. Ihre aktuelle Situation schätzt Tetiana nüchtern ein: „Wir sind nicht mehr 20, und es sieht so aus, dass es kein Ende gibt. Keiner weiß, wozu dieser Krieg gut ist. Viele haben uns hier geholfen oder einfach nur mit uns geredet und zugehört.“ Trotz all der schlimmen Dinge, die das sympathische Paar erlebt hat, wirken die beiden stets positiv und voller Energie. Bei unserem Besuch im „Kinza“ wird auch viel gelacht. Humor ist wohl auch der einzige Weg, wie man mit so einem Schicksal am ehesten umgehen kann.
mf