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Im Katastrophenschutz des Landkreises Berchtesgadener Land gibt es ein neues Amt: Martin Waldhutter ist „Kreisbrandmeister Katastrophenschutz“. Schon seit 40 Jahren ist er bei der Feuerwehr Ainring. Von 1992 bis 1995 als zweiter und seit 1995 als erster Kommandant. Im Interview mit BGLand24.de erzählt er von seinen Aufgaben und wie es um den Landkreis steht.
Grundsätzlich ist die Feuerwehr eine Einheit der Gemeinde. Und übergeordnet ist die Brandschutzdienststelle dann die Kreisbrandinspektion. Dazu gehören der Kreisbrandrat, die Kreisbrandinspektoren und Kreisbrandmeister. Dabei gibt es Kreisbrandmeister, die einen Regionalverantwortungsbereich haben. Mein Bereich bezieht sich aber auf den Katastrophenschutz, übergeordnet für den ganzen Landkreis.
Ist das nun ein neu geschaffenes Amt?
Ursprünglich hatte das der Kreisbrandinspektor mit seinen Aufgaben mitgemacht. Aber man hat gemerkt, dass die Aufgaben vielfältiger werden. Wir sind ja angeblich der Landkreis mit den meisten Katastrophenschutzfällen in ganz Deutschland. Und darum hat man gesagt, man muss sich mit diesem Thema anders auseinandersetzen und hat diese Stelle geschaffen.
Was fällt denn alles unter Katastrophenschutz bei der Feuerwehr?
Wovon wir am meisten geplagt werden, sind Unwetter, Hochwasserlagen, Stürme, Waldbrände. Dann hat es einmal diesen K-Fall mit dem massiven Schneefall gegeben. Das geht natürlich hin bis zu medizinischen Themen wie Corona, das ja dann ein landesweiter Katastrophenschutzfall war. Das ist also breit gefächert. Grundsätzlich sagt man ja, der Katastrophenfall ist der Fall, der einen hohen Koordinierungsbedarf hat. Ein großes Feuer ist nicht unbedingt ein K-Fall, weil das ja in der Koordinierung der Feuerwehr liegt. Aber wenn mehrere Behörden und Einheiten miteinander koordinieren, dann wird es in der Regel ein K-Fall, den der Landkreis ausrufen kann.
Was ist konkret Ihre Aufgabe?
Meine Hauptaufgabe ist im ersten Schritt einmal die Aus- und Weiterbildung der Feuerwehrführungskräfte. Früher hat jede Feuerwehr zentral an das Landratsamt, an die Führungsgruppe Katastrophenschutz, seine Lagemeldung abgesetzt. Der Landkreis muss sich ja ein Gesamtbild über seinen Landkreis machen und meldet das dann weiter an den Bezirk, also Oberbayern oder dann an das Land Bayern. Und da ist der Landkreis Berchtesgadener Land eigentlich Vorreiter. Wir haben Abschnittsführungsstellen eingerichtet. Diese befinden sich in Berchtesgaden, in Bad Reichenhall und in Ainring bei der Feuerwehr. Und die haben die Aufgabe, vom Süden, der Mitte und aus dem Norden Informationen aus den jeweiligen Gemeinden zusammen zu tragen. Wir machen uns dabei ein gesamtes Lagebild und melden das dann an das Landratsamt. Und das Landratsamt hat dann nur noch drei Ansprechpartner, nicht mehr 15 Gemeinden oder vielleicht noch runtergebrochen mehrere Feuerwehren. Und eben dieser Ausbau der Führungsstellen und das einheitliche Schulungssystem sind meine Hauptaufgaben.
Landrat Bernhard Kern (v.l.) konnte Martin Waldhutter die Ernennungsurkunde als Kreisbrandmeister Katastrophenschutz im Beisein vom Kreisbrandrat Josef Kaltner und Konstantin Stauch, Landratsamt Berchtesgadener Land, überreichen.
Wie ist der Landkreis in Bezug auf den Katastrophenschutz aufgestellt?
Ich glaube, wir sind aufgrund der doch hohen Frequenz an K-Fällen sehr gut aufgestellt. Dass Wichtigste ist im K-Fall ja nicht die einzelne Hilfskraft, die ihre Arbeit besonders gut macht, sondern die Koordinierung. Wenn man sich mal andere große Katastrophenfälle anschaut: Meistens klemmt und zwickt es an der Koordinierung der einzelnen Einheiten. Es sind hochmotivierte Einsatzkräfte, aber ich muss die richtige Einheit zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort haben und dazu brauche ich einen Gesamtlage-Überblick. Ich nehme mal ein Beispiel: Wenn ein Hochwasser aus dem Pinzgau kommt, muss ich ja vorher schon etwas machen. Da sind wir, aus meinem Blickwinkel, sehr gut aufgestellt, aber nichtsdestotrotz kann man immer vieles noch besser machen.
Wo besteht denn Handlungsbedarf?
Die erste Aufgabe ist diese gemeinschaftliche Koordinierung, dass man das einheitlich macht. Motivation ist gut, aber Einheitlichkeit ist besser. Und dass man die kommunale Verwaltung, sprich die Gemeinde mit der Feuerwehr plus zusätzliche Katastrophenschutzeinheiten alle zentral koordinieren kann.
Seit einem Jahr wird das Thema Blackout rauf und runter gespielt. Worauf muss man besonders achten?
Blackout ist ja grundsätzlich eine Aufgabe, die der Kommune mitgegeben wurde. Der Landkreis selbst hat da schon Leitlinien auch von der Regierung mit übernommen, wie sich eine Gemeinde aufstellen muss: Es sind SOS-Punkte zu benennen. Wo kann der Bürger einen Notruf absetzen? Es sind Punkte zu definieren, wo man Personen unterbringen und versorgen kann. Das sind Aufgaben, die die gemeindliche Verwaltung erledigen muss. Die Feuerwehr an sich hat ja ihre ureigenste Aufgabe als Einheit der Kommune für den Brand- und Katastrophenschutz, für die technische Hilfe. Das heißt, dass ich gewisse strategische Gebäude mit Notstrom versorgen kann. Die Feuerwehr selbst muss aber dann eben schauen, dass sie einsatzfähig bleibt. Der Landkreis ist massiv dabei, dass man die Kommunikationswege aufrechterhält. Das heißt, was mache ich, wenn ein flächendeckender Stromausfall ist? Dann fällt auch irgendwann einmal unser Digitalfunk aus. Da sind wir schon relativ weit. Die Führungsstellen sind jetzt mit Satellitenfunk ausgestattet worden. Es kommt für alle Kommunen Satellitentelefonie. Die Gemeinden sind dabei, ihre Lichtpunkte und SOS-Stellen zu benennen. Und da geht es wieder um den Schulterschluss.
Und es ist ja auch für den Herbst eine Stabsrahmenübung geplant, bei dem man genau dieses Szenario „flächendeckender Stromausfall“ üben will. Wobei es so ein ähnliches Szenario in der Übung schon vor einigen Jahren gegeben hat. Und das sogar über einen längeren Zeitraum, also über 24 Stunden. Da haben wir auch schon sehr viele Erkenntnisse gewonnen. Letztendlich muss man aber sagen, auch der Bürger ist in der Schuld. Die Gemeinde und die Feuerwehr und alle anderen technischen oder Katastrophenschutzeinheiten können nicht alle Themen für den Bürger regeln. Er selbst ist in der Verantwortung und muss sich darauf vorbereiten. Was uns etwa damals bei der Übung aufgefallen ist: Ein Landwirt braucht eine Möglichkeit, seine Kühe zu melken. Und wir haben es in einem Einsatzfall schon gehabt, dass Lüftungsanlagen von Ställen ausgefallen sind. Da muss sich der jeweilige Unternehmer, der Bürger, wer auch immer, genauso darauf einrichten.
Wie kann ich mich als Bürger darauf einrichten?
Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz hat eine sehr interessante Internetseite. Da gibt es Leitlinien, wie ich mich selbst als Bürger darauf einstelle. Zum Beispiel mit einer gewissen Notration, Taschenlampe und dergleichen, die ich vorrätig und griffbereit haben sollte. Der Staat kann dem Bürger nicht jede Verantwortung abnehmen.
Sie haben eine Großübung angesprochen. Wie läuft die ab?
Das ist eine Stabsrahmenübung. Das heißt, das üben nicht die Feuerwehrkräfte draußen, sondern es geht darum, die Kommunikationswege zu testen. Also wie können die Kommunen mit ihren Feuerwehren, wie kann die Feuerwehr mit der Abschnittsführungsstelle, wie kann die Abschnittsführungsstelle mit der Führungsgruppe Katastrophenschutz und mit weiteren Behörden kommunizieren? Wie schnell bringt man die Notstromversorgung her? Wie schnell sind die Lichtpunkte und die SOS-Punkte dann eben eingerichtet?
Wobei man wohl nie alle Eventualitäten mit Übungen abdecken kann, oder?
Ich nehme mal das Beispiel beatmungsbedürftige Patienten in der Heimversorgung. Vor einem Jahr ist uns ein großer Vogel durch zwei Leiterseile in der Stromleitung geflogen und es hat einen Kurzschluss gegeben. Irgendwann merkt man, da ist ein Beatmungspatient in der Nähe. Und das ist eher die Aufgabe der Vorarbeit, dass ich dann hinfahre mit einem kleinen Stromerzeuger und das Beatmungsgerät so lange mit Strom versorge, bis das Netz wieder zur Verfügung steht. Ein Industriebetrieb oder ein Unternehmen wird einmal stillstehen. Das können wir nicht leisten. Aber dass der Schutz der Bevölkerung eben da ist. Die integrierte Leitstelle hat sehr viel Information über entsprechende Patienten.
Haben die Gemeinden genügend Stellen zur Notstromeinspeisung?
Das Landratsamt und auch die Kreisbrandinspektion sind sehr dahinter, dass man die Gemeinden für diese Themen sensibilisiert. Das ist also ein bisschen die Kernaufgabe von uns, dass man zum Bürgermeister sagt, du, pass auf, deine Pumpstationen und deine Wasserversorgung müssen tauglich sein. Momentan ist es eher das Thema, ob man überhaupt noch an Stromerzeuger kommt, weil alles ausverkauft ist. Die Hersteller haben gerade die goldenen Zeiten. Wobei man nicht alles neu kaufen muss. Es gibt Unternehmen, die Geräte vermieten.
Liegt es am Wetter, dass es bei uns so viele Katastrophenfälle gibt?
Ich bin seit 1983 bei der Feuerwehr. Ich habe Hochwasser bis 1995 so gut wie gar nicht gekannt. Dann sehr wenig. Und heute kann man sagen, wir fahren richtig großes Hochwasser alle zwei, drei, vier Jahre. Es ist merklich mehr geworden. Wir haben ganz andere Wetterlagen. Es gibt diese Vb-Wetterlage, wenn von Italien ein Tief hochzieht. Das geht über Tschechien, Polen und dreht dann rein über Ostdeutschland und kommt zu uns und wird in den Bergen ausgequetscht. Das haben wir inzwischen viel öfter. Wir haben massiv ergiebigere Niederschläge, mehr Stürme. Und was noch dazu kommt: Wir haben eine geografische Lage mit Bergen. Unsere Hochwasser sind anders als an der Elbe und an der Donau. Sie sind sehr schnell. Wir haben ganz wenig Vorlaufzeit. Wenn ein Bürger merkt, dass das Wasser ins Haus läuft, ist es zu spät.
Der Landkreis und einige Gemeinden haben letztes Jahr in ein Hochwasserschutzsystem, „Boxwall“, investiert, das genau dem entgegenwirken kann. Das sind Wände, die ganz schnell aufgebaut sind, weil Sandsäcke für uns zu lang dauern. Wir wohnen wahrscheinlich im schönsten Landkreis in Deutschland. Das ist aber der Pferdefuß. Was noch dazu kommt, sind Sünden, die die letzten Jahre begangen worden sind. Flächen wurden versiegelt. Jedes landwirtschaftliche Grundstück ist mit einer Drainage versehen. Bäche wurden begradigt, zugemacht, verrohrt. Mit all diesen Maßnahmen haben wir das Wasser beschleunigt. Ein Bach hat früher ausrufen können, heute ist ein Kanalrohr drinnen und es schießt mit Schwung. Das macht uns das Leben als Feuerwehr wesentlich schwerer.
Sie sind ja Kreisbrandmeister im Ehrenamt und haben jeden Tag Kontakt mit dem Landratsamt. Zusätzlich sind Sie noch Kommandant. Ist das neben Ihrem Beruf überhaupt zu schaffen?
Ich habe das Amt übernommen, weil ich in zwei Jahren mein Amt als Kommandant beenden werde. Ich gebe es in jüngere Hände. Sonst hätte ich auch nicht zugesagt. Ich habe auch in unserer Feuerwehr erlebt, dass man mit guter Planung viel erreichen kann. Und darum habe ich gesagt, ich mache das. Aber das geht nur mit Unterstützung der eigenen Feuerwehr, auch von der Familie, das gehört genauso mit dazu. Ehrenamt heißt ja: viel am Abend und in der Freizeit. Und ich habe auch einen tollen Arbeitgeber, der das mitträgt.
Herzlichen Dank, Herr Waldhutter, für das Gespräch.