Schlechte Scherze, Grauzonen und eindeutige Beweise
Hakenkreuze, Grabkerzen und noch mehr: Dokumentation Obersalzberg lockt Nazis an
Die Mitarbeiter bekommen es an der Kasse oder in der Ausstellung immer wieder mit richtigen Nazis und rechten Besuchern zu tun. Während manchmal die Gesinnung eindeutig zu erkennen ist, gibt es immer wieder Grenzfälle, bei denen Mathias Irlinger und sein Team ganz genau hinschauen müssen. Doch: Wie genau werden solche Personen erkannt? Was sind die „Klassiker“ an der Dokumentation und rund um den Obersalzberg? Und was lässt sich dagegen unternehmen?
Berchtesgaden - Zu den klassischen „Hinterlassenschaften“ gehören Aufkleber an Schildern oder Laternen. Eingeritzte Hakenkreuze an den Toilettenwänden im Altbau oder an den Wänden im Bunker gab es auch schon. Wenn bei Mitmach-Aktionen heimlich „Scheiß Juden“ auf ein Plakat geschrieben wird, ist das natürlich eindeutig. Genauso, wenn jemand mit Reichsadler-Anhänger durch die Dokumentation läuft und den Weg in Richtung Bunker oder Berghof-Gelände antritt - beides beliebte Anziehungspunkte von rechten Besuchern.
Vor allem Grabkerzen, manche sogar mit Hakenkreuz, werden immer wieder entdeckt. Seitdem Irlinger vor sieben Jahren in der Dokumentation Obersalzberg angefangen hat, wurden schon mehr als 200 Exemplare entdeckt. Der Referent glaubt: Hätte man schon seit Ende des Zweiten Weltkriegs vor Ort angefangen, diese Kerzen aufzuheben, wäre schon ein ganzes Haus voll damit. „Aus Zeitungsartikeln der 70er- oder 80er-Jahre wissen wir, dass es damals schon Grabkerzen gab. Das ist nichts Neues.“
Grabkerzen in Plastiktüten eingewickelt und vor die Eingangstür gestellt
Das Spannende sei vielmehr, dass die Dokumentation das Gelände nicht aktiv überwache und eher unregelmäßig dort unterwegs sei. Und trotzdem sind es so viele Kerzen - auch, weil Spaziergänger diese immer wieder entdecken und in Plastiktüten eingehüllt vor die Eingangstür stellen. „Es tut gut zu wissen, dass wir nicht die Einzigen sind, die sich daran stören“, findet Irlinger.
„Meistens meidet das offensichtliche rechte Milieu eher die Ausstellung, sondern zieht an uns vorbei. Das können wir natürlich nicht verhindern“, verrät Mathias Irlinger, seit März 2017 Bildungsreferent. Nur auf dem eigenen Grundstück kann das Hausrecht ausgeübt werden, für außenstehende Areale gilt das nicht.
Nicht immer als Rechte eindeutig erkennbar
Und trotzdem kommt es immer wieder vor, dass sich Rechte zur Dokumentation trauen. Er schätzt, dass etwa 200 Personen im Jahr entdeckt werden. Viele bleiben unerkannt, denn die Mitarbeiter können nicht alles überwachen und kontrollieren. „Im Sommer begrüßen wir hier etwa eine halbe Million Besucher. Viele Rechte sind als solche schwierig zu quantifizieren“, sagt der Bildungsreferent.
Das klassische Bild des Nazis - Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel - ist kaum noch zu beobachten. Stattdessen ist es eine Kombination von Symbolen auf Kleidungsstücken, Anhängern und als Tätowierungen im Zusammenspiel mit auffälligem Verhalten, bei dem die Mitarbeiter hellhörig werden. „Wir betreiben schon einen gewissen Aufwand, um unser Personal zu schulen und die Kenntnisse über Symbole aus der Szene zu aktualisieren.“
Ernst gemeint oder ein schlechter Scherz?
Ein eindeutiges Beispiel ist etwa die Verwendung der Zahlenkombination 88. Sie gilt als bekannter rechtsextremer Code. „Doch wenn jemand ein Hakenkreuz falsch herum zeichnet, war es vielleicht auch nur ein blöder Scherz von einem Jugendlichen“, verdeutlicht Irlinger die Problematik. Es gibt auch Klamotten der Marken „Lonsdale“ oder „Alpha Industries“, die nicht automatisch dem rechtsextremen Milieu zuzuordnen sind. „Doch hier an diesem Ort in Verbindung mit einem auffälligen Verhalten sind das für uns Warnzeichen.“
Mit einem auffälligen Verhalten meint er zum Beispiel, wenn sich jemand immer wieder auf dem Berghof-Gelände herumtreibt und dort scheinbar auf eine Gelegenheit wartet, alleine zu sein. „Hier wird nie jemand beobachtet, wie er aktiv zum Beispiel Grabkerzen aufstellt und anzündet. Diese Personen warten auf das Ende der Öffnungszeit, wenn die Dämmerung einsetzt“, weiß Melanie Diehm, zuständig für die Öffentlichkeitsarbeit.
Immer wieder das Berghof-Gelände
Auffällig ist für die Mitarbeiter auch, wenn jemand durch die gesamte Ausstellung kreuz und quer läuft, keine Infotafeln liest und direkt bestimmte Exponate oder den Bunker ansteuert. Als hilfreich hat sich herausgestellt, die rechten Besucher regelrecht zu nerven. Dazu gibt es mehrere Optionen: Etwa, sich ausgiebig unter Kollegen auf dem Berghof-Gelände zu unterhalten und dort zu bleiben, während eine Person immer wieder kommt und geht, weil sie offensichtlich dort ungestört sein möchte. Irlinger: „Man muss denen zeigen, dass sie gesehen werden. Unsere Hoffnung und Wahrnehmung: Die mögen das nicht, wenn es ungemütlich wird.“
Je mehr Öffentlichkeit, desto besser, so das Credo. Laut Irlinger sei auch schon der Chef von einem nahen Hotel mit dem Golfkart auf dem Berghof-Gelände auf und ab gefahren, um rechte Besucher zu stören. Auch an der Kasse werden manche Besucher aus dem Gebäude verwiesen, wenn die Zeichen zu eindeutig sind. Doch manchmal schicken die Rechten auch jemanden zur Kasse, der weniger auffällig aussieht, und packen es dadurch doch noch in die Ausstellung.
„Da geht der Puls schon mal hoch“
Am besten funktioniert laut Irlinger ein direktes Ansprechen. Ob einem da nicht mulmig wird? „Das ist auf jeden Fall nichts, das man gerne macht. Da geht der Puls schon mal hoch“, versichert der Bildungsreferent. „Im Idealfall sucht man zu zweit das Gespräch mit diesen Besuchern und sucht sich einen Ort mit einer Überwachungskamera aus. Wenn wir gleich darauf verweisen, dass alles aufgezeichnet wird, funktioniert das recht gut.“
Schwierig zu überwachen ist natürlich das Gästebuch: Auch hier gab es schon fragwürdige und strafbare Einträge. Melanie Diehm von der Öffentlichkeitsarbeit erklärt: „Wir stellen oft fest, dass die Hakenkreuze von anderen Besuchern schnell ausgestrichen werden. Die Öffentlichkeit reagiert meistens selbst.“
Hakenkreuze im Gästebuch, in Bäumen oder an Wänden
Das gilt auch für das Gelände: Eingeritzte Hakenkreuze in Bäumen oder an den Wänden im Bunker werden meistens durchgestrichen oder ausgekratzt. Sie sind dann nur noch als weiße, ausgeblichene Stellen erkennbar. Diehm: „Wir ziehen da eher ein positives Fazit: Natürlich gibt es Rechtsextreme bei uns, aber eben auch viel mehr Menschen, die etwas dagegen haben. Die ziehen wir viel mehr an.“
Schwieriger sieht es dagegen in Social Media aus: Laut Diehm gibt es dort häufiger rechte Kommentare. Einerseits kommt die Anonymität den Rechten zugute, anderseits kann die Dokumentation die Kommentarspalten nicht rund um die Uhr überwachen. „Wenn über einen Feiertag beispielsweise ein Facebook-Beitrag von uns dank des Algorithmus in einem rechten Milieu landet, hat man bei 20 fragwürdigen und hasserfüllten Kommentaren keine Chance mehr, dagegen zu argumentieren.“
Verboten oder erlaubt?
Auch hier kämpfen sie und die Mitarbeiter oft mit der Frage: Ist der Kommentar wirklich eindeutig rechts oder doch eher in einer Grauzone? Denn manchmal heißt es dann „Das alles ist doch schon so lange her, lasst die Vergangenheit ruhen“ oder „Das Kehlsteinhaus ist doch ein so schönes Bauwerk, aber ihr wollt das eh nur abreißen“ - die Richtung ist erkennbar, aber eindeutig rechts sind solche Meinungen nicht.
Manchmal fällt laut Diehm auch der Vorwurf, „wir hätten keine neutrale Sicht“. Diese Aussage sei vielseitig interpretierbar, doch wenn sich beim Klicken auf das Profil zum Beispiel AfD-Likes zeigen, werde auch hier schnell klar, in welchem Zusammenhang solche Sätze fallen.
Besucher helfen fleißig mit und melden Rechte
Natürlich gab es auch schon Fälle, in denen jemand zu Unrecht beschuldigt wurde. „Aber das Missverständnis klärt sich meistens schnell auf“, sagt Mathias Irlinger. Immer wieder erhalten die Mitarbeiter der Doku auch Hinweise von Gästen. Das hilft natürlich, aber manchmal wird die Dokumentation auch adressiert, wenn es um Fahrgäste der Buslinie zum Kehlstein geht. Oder wenn sich im Gelände am Obersalzberg rechte Gruppen aufhalten und Kränze niederlegen, zum Beispiel an Hitlers Geburtstag (20. April). „Dafür sind wir nicht zuständig. Wir können das nur an die entsprechenden Stellen weiterleiten.“
Die Mitarbeiter der Dokumentation versuchen trotzdem, so gut es geht, dagegen vorzugehen. Laut Irlinger vor allem aus zwei Gründen: „Zum einen wollen wir nicht, dass unser Ort, unsere Gebäude und unsere Ausstellung für rechtsextreme Propaganda missbraucht werden.“ Und zum anderen habe man auch einen Schutzanspruch gegenüber den Gästen. „Wir wissen, dass sich da auch teilweise Nachkommen von Opfergruppen darunter befinden. Und wir natürlich nicht wollen, dass die während des Ausstellungsbesuchs dann mit solchen Typen konfrontiert werden.“
„Ein gesellschaftliches Problem“
Irlinger findet: „Natürlich kann man sich fragen, was man dagegen machen muss. Aber wir wissen natürlich auch, dass sich das alles nicht nur hier bei uns zeigt und kumuliert. Das ist ein gesellschaftliches Problem: Auch in Fußballstadien, Schulhöfen und an anderen Orten gibt es ähnliche Probleme.“ Hier am Obersalzberg versuche man, diesen Personengruppen zu zeigen, dass sie hier nicht erwünscht sind. „Wir ignorieren das nicht, wie es vielleicht in Berchtesgaden über viele Jahrzehnte so gemacht worden ist. Da hieß es dann, dass die Leute ja nur wegen der schönen Aussicht kommen und dass es hier doch überhaupt keine Nazis gibt. Wir dokumentieren diese Vorfälle, wir kommunizieren sie auch und reden offen darüber.
Und mit verschiedensten Aktionen - egal, ob in Social Media oder Aktionen wie dem Obersalzberger Filmgespräch über „Eine eiserne Kassette“ - betreiben die Verantwortlichen aktive Aufklärungsarbeit. „Der Obersalzberg hat natürlich seine Historie. Aber der Vorwurf an uns, wir würden Geschichte vertuschen und verheimlichen, ist totaler Quatsch. Mit der Ausstellung betreiben wir doch das genaue Gegenteil.“
„Für uns stehen die Opfer im Vordergrund“
Als historisch interessierte Menschen seien die Mitarbeiter der Dokumentation grundsätzlich erst einmal immer für den Erhalt solcher geschichtsträchtigen Gebäude und Orte. Daher sei es schon interessant, wenn man vorgeworfen bekäme, Nazi-Spuren zu beseitigen. „Wir betreiben großen Aufwand, diese Spuren sichtbar zu machen. Aber für uns stehen die Opfer, deren Biografien und Aufenthaltsorte im Vordergrund.“


