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Obersalzberger Filmgespräch im Kino Berchtesgaden

Nazi-Vergangenheit des Opas enthüllt: „Eine Eiserne Kassette“ zeigt Verdrängung und Verharmlosung

Ein alter Abzug zeigt den Großvater von Nils Olgers beim Fotografieren. Der Filmregisseur zeigte seine Dokumentation dem Publikum im Berchtesgadener Kino.
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„Eine Eiserne Kassette“ heißt Nils Olgers Dokumentarfilm über seinen Großvater und dessen Rolle im Zweiten Weltkrieg.

Ein bisschen autoritär, aber sehr liebevoll: So denkt Nils Olger für viele Jahrzehnte über seinen Opa. Er weiß nur am Rande, dass er im Zweiten Weltkrieg war. Das eiserne Schweigen hüllt sich jahrzehntelang darüber. Schließlich stirbt sein Großvater und ein Erbstück bringt den Filmemacher auf familiäre Spurensuche. Sie führt nach Italien - mitten in den Partisanenkrieg und in einige der grausamsten Massaker der damaligen Zeit. Heute sieht er seinen Großvater in einem anderen Licht.

Berchtesgaden - Mit seinem Dokumentarfilm „Eine Eiserne Kassette“ ging der Regisseur, der in Wien lebt und arbeitet, einer Frage nach, die immer wieder Menschen bewegt: Welche Rolle spielte meine Familie im Zweiten Weltkrieg? Am Donnerstagabend schilderte er beim Filmgespräch der Dokumentation Obersalzberg im Kino Berchtesgaden, wie beschwerlich der Weg war, die eigene Familienvergangenheit aufzudecken. Jegliche Versuche wurden von der Großmutter durch geschickte und ablenkende Gesprächsführungen im Keim erstickt. 2007 gelang es ihm, alleine mit seinem Opa ein Interview zu führen.

Doch er gab nicht wirklich etwas preis, wie die Aufnahmen im Dokumentarfilm zeigen, eher nebensächliches. An vieles kann - oder will - er sich nicht mehr erinnern, alles bleibt oberflächlich. Als Olger nach dem Tod seines Großvaters 2012 eine eiserne Kassette mit Fotoabzügen in die Hände fällt, lichtet sich so langsam das Geheimnis. Der Regisseur nimmt die Bilder als Anhalts- und Ausgangspunkte für seinen Dokumentarfilm. Stück für Stück ergibt sich ein neues Bild von seinem Großvater - nur dank seiner eigenen Recherche.

Filmregisseur Nils Olger und Historiker Carlo Gentile im Gespräch.

Grinsender Gesichter und malerische Landschaften

Als Sanitäter in der 16. SS-Panzerdivision „Reichsführer-SS“ diente Olgers Großvater während des Zweiten Weltkriegs in Italien. Unterwegs drückte er immer wieder auf den Abzug von seiner Kamera. Ob er auch auf den Abzug einer Waffe abdrückte, ist unklar. Stattdessen: Bilder von den Kameraden und Gruppenfotos, nach getaner Arbeit, freudestrahlend. Malerische Landschaften, abgelegene Bergdörfer, der Rückzug vor den Alliierten. Nichts zu sehen von den Gräueltaten, die natürlich im Sinne der damaligen Propaganda möglichst nicht fotografiert werden sollten.

Die vom Kriegsverbrecher Walter Reder geführte Abteilung verübte auf ihrem Rückzug durch die Apuanischen Alpen unter anderem die Massaker von Vinca, Fivizzano und Marzabotto, bei denen mehrere hundert Zivilisten ermordet wurden. „Sie warfen ein drei Monate altes Baby in die Luft und erschossen es“, wird später im Dokumentarfilm eine Zeitzeugin berichten. Frauen, Kinder, sie machten vor nichts und niemandem Halt. Manche Einwohner konnten sich nur retten, indem sie sich im Klo, im Wald oder tief in den Bergen versteckten. Als sie zurückkehrten, brannten die Häuser und in der Luft lag Leichengeruch.

Eine Zeitzeugin schildert ihre Erlebnisse, als die Deutschen in ihr Dorf einmarschierten und dort furchtbare Massaker an der Zivilbevölkerung durchführten.

Bei Zeitzeugen und Überlebenden

Vier Jahre dauerte es nach dem Öffnen der eisernen Kassette, bis Olger den Dokumentarfilm fertigstellte und veröffentlichte. Er untermalte die Abzüge mit Informationen, zeigte die Orte in der heutigen Zeit, ordnete sie ins damalige Zeitgeschehen ein. Beeindruckend und erschütternd zugleich: die Besuche in den italienischen Dörfern bei Überlebenden und Zeitzeugen.

„Es war keine Reise im touristischen Sinne, sondern vielmehr meine persönliche Aufgabe, die Verantwortung meines Großvaters herauszufinden“, erzählt der Regisseur dem Publikum im Anschluss an die Vorführung. Vor Ort habe er sich bei den Anwohnern durchgefragt, immer mit einer Art schlechtes Gewissen, „weil die Fotos auf die Taten hinweisen“. Wie er herausfand, war er der zweite Deutsche, der hier in den Alpendörfern Position zur eigenen Täterfamilie bezog. „Die meisten haben sich gefreut, dass sich jemand für sie und das Schicksal der Opfer interessiert.“

Vinca - eines der Dörfer in den Apuanischen Alpen, in denen Massaker verübt wurden.

„Größte Konzentration an hochgradig ideologisierten Personen“

Der Historiker Carlo Gentile, ebenfalls mehrmals im Film zu sehen, verrät im Berchtesgadener Kino: „Im Aufklärungskommando von Walter Reder gab es die größte Konzentration an hochgradig ideologisierten Personen. In diesen kleinen und sehr abgelegenen Dörfern spielen die Massaker heute noch eine sehr große Rolle, doch diese Orte wurden jahrzehntelang vergessen und sich selbst überlassen. Dabei sind die Gräueltaten noch heute in den Köpfen der Überlebenden und der Familien der Opfer.“ Erst in den 90er-Jahren hätten sich erste Historiker mit dem Schicksal der Dörfer befasst.

Es gab zwar Verurteilungen und Haftstrafen, doch diese seien meistens eher symbolischer Natur gewesen. Und Deutschland lieferte die Täter damals nicht aus. „Aber immerhin wurden nun die Namen der Kriegsverbrecher und Mörder sichtbar. Und die Opferfamilien fingen an, nachdem sie sich schon gegenseitig angefeindet hatten, sich zu vereinen“, so Gentile. Die Auseinandersetzung sei spät erfolgt, aber mit positiven Auswirkungen, meint der Historiker, der mit der Website NS-Täter-in-Italien die damaligen Verbrechen sichtbarer gemacht hat.

„Schweigen hat sich jahrelang negativ über unsere Familie gelegt“

Wie Olger gegen Ende des Abends schildert, gibt es das Bild seines liebevollen Opas nicht mehr. „Zumindest gibt es das nicht mehr ohne das andere Bild von ihm, das ich davor einfach nur nicht kannte. Ohne sein Schweigen wäre dieser Film vielleicht gar nicht notwendig geworden. Das Schweigen hat sich jahrelang negativ über unsere Familie gelegt.“ Ein Stück weit sei die Dokumentation auch für Olgers eigenen Vater entstanden. Und auch wenn sie ihn stets aufs Neue nachdenklich mache: Dieser will seinen eigenen Vater einfach nicht in einem komplett anderen Licht sehen.

Der Film hätte ihr vermutlich nicht gefallen.

Nils Olger über seine Großmutter

Olgers Großmutter wollte den Film nie sehen, obwohl sie extra dafür interviewt wurde und Teile davon auch zu sehen sind. „Ihre Beiträge sagen genug aus, dass sie nichts damit zu tun haben will. Inzwischen ist sie verstorben, aber der Film hätte ihr vermutlich nicht gefallen“, glaubt der Regisseur. Immer wieder wird deutlich, wie sie relativiert, verharmlost, abwiegelt und stets ihren Teil dazu beigetragen hat, dass die Vergangenheit ihres Manns verdrängt und verheimlicht wird.

Am klarsten wird diese Haltung ganz am Ende des Films: „Und dann haben die halt irgendwas in dem Bergdorf …“. Sie beendet den Satz nicht, weil sie vermutlich selbst nicht mehr weiß, wie sie diese Verharmlosung beenden soll. Passend dazu folgt das emotionale und ehrliche Abschluss-Statement von Nils Olger. Schwarze Buchstaben auf weißem Hintergrund, die Botschaft zählt. Und die hat es in sich: dass sein vertrautes Bild von seinem Opa verschwunden ist, dass es von einem negativen Bild ersetzt wurde, dass er Mördern geholfen hat und ihre Taten verschwiegen hat. „Daran werde ich mich erinnern.“

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