„Wer bin ich ohne den Eisen-Renz?“
Deutschlands einst härtester Eishockeyspieler über Selbstzweifel und Verlustängste
Unter dem Namen „Eisen-Renz“ war er einst als der härteste Eishockeyspieler Deutschlands bekannt. Heute ist Andreas Renz, der mit der Bruckmühlerin Vroni Volke – Miss Herbstfest 2004 – zusammen ist, Coach und Autor. Im Interview spricht er über seinen Lebensweg, Selbstzweifel und Verlustängste.
Fast 20 Jahre lang war Andreas Renz, heute 46, Eishockey-Profi. Er bestritt an die 900 Spiele in der DEL, lief bei zwei Olympia-Turnieren und neun Weltmeisterschaften für Deutschland auf. Position: Verteidiger. Spielertyp: Schwerarbeiter. Was er in der Saison 2001/02 leistete, ist unerreicht: Binnen 270 Tagen bestritt er 107 Spiele.
Über zehn Jahre nach dem Ende seiner Karriere auf dem Eis überrascht der Mann, den man über seine harte Schale wahrnahm, mit einem Einblick in ein Leben voller Selbstzweifel und Geheimnisse. Zwei Jahre hat er an einem Buch gearbeitet, das diese Woche erscheint: „Dein härtester Gegner bist du selbst“ (Lailash, 272 Seiten, 22 Euro).
Andreas, in der Welt des Eishockeys kannte man Sie als den „Eisen-Renz“. Woher die Bezeichnung?
Andreas Renz: Die Kölner Boulevardpresse hat mir, als ich für die Haie spielte, den Titel verliehen – wegen meiner für den Gegner extrem harten Spielweise und der Härte zu mir selbst. Es war das Unkaputtbare: Ich habe mir die Bänder gerissen, den Knöchel gebrochen, hatte Fieber – doch ich habe gespielt.
Sie mussten hart sein, schon als Zehnjähriger, wie Sie im Buch schildern. Denn Sie kamen in Schwenningen als Anfänger in eine Mannschaft, in der die Mitspieler schon vier Jahre dabei waren.
Andreas Renz: Ich musste aufholen. Beim Fußball hatte mich der Trainer distanziert behandelt und weggeschickt, weil ich einen Elfmeter verschossen hatte. Das war eines der traumatischen Erlebnisse meiner Kindheit, das schlug krass in die Kerbe, dass ich nicht gut genug bin. Es gab den Schwur des 10-jährigen Andi Renz, dass mich keiner mehr wegschicken wird, das war der Motor meiner Karriere. Ich wurde besessen vom Training.
Sie hatten dann in Schwenningen einen sehr speziellen Trainer: den Kanadier Bob Burns. Er ließ die Spieler dreimal in Folge den Cooper-Test – zwölf Minuten volle Pulle laufen – absolvieren.
Andreas Renz: Er hat uns geschliffen, bei ihm habe ich gelernt, was es heißt, Grenzen zu überschreiten. Er war Ausbilder bei der kanadischen Armee – und so hat er uns trainiert. Er war der Mensch, den ich als junger Kerl brauchte, weil ich bei ihm für Leistung Anerkennung bekam. Er hat die Kampfmaschine Andi Renz geformt. Zu seiner Zeit hat Schwenningen so viele Profis hervorgebracht wie nie. Ich habe ihn später mal in Kanada besucht. Er hat ein Haus am Meer, es fuhr ein Truck aus einer Muschelfabrik vor und lud das ganze Zeug aus. Bob setzte sich den Kopfhörer auf und hat die Schalen tagelang alleine kaputtgetrampelt.
Sie heirateten Ihre Schwenninger Jugendliebe, dann kam der Vertrag in Köln – und es ging mit Ihrem Doppelleben so richtig los. One-Night-Stands und eine zusätzliche Beziehung, aus der dann ein Kind entstand.
Andreas Renz: Ich habe gemerkt, dass es einen Teil von mir gab, der es genoss, auf diese Weise Anerkennung zu bekommen. In dieses toxische Muster bin ich eingetaucht. Als Persönlichkeit war ich nicht stark genug, zu widerstehen.
Das sind sehr intime Details, die Sie nun mit einem Buch öffentlich machen. Das kostet Überwindung.
Andreas Renz: Ich wollte kein Buch schreiben, weil ich ein außergewöhnlich guter Eishockeyspieler gewesen wäre, sondern einen Lebensratgeber vorlegen, aber keinen standardmäßigen und langweiligen. Ich habe meine Lebensgeschichte radikal ehrlich und schonungslos aufbereitet, man muss auch mal Tabus brechen. Das Fremdgehen passiert in vielen Beziehungen und in allen Gesellschaftsschichten. Heute ist das aufgearbeitet, die Frauen von damals sind meine besten Freundinnen. Sie sagten auf das Buchprojekt bezogen: „Andi, tu’s!“ Wenn ich mit dem Buch nur einem Menschen in einer Krise helfe, hat es sich gelohnt.
Man nimmt Eishockeyspieler während der Saison wahr, aber kaum außerhalb des Eises und zwischen den Saisonen. Sie haben allerhand off ice erlebt: Eine Hellseherin und einen Schamanen konsultiert, einen Aufenthalt im Kloster gebucht – und 2007 sind Sie mit frisch gerissenem Innenband, was Sie die WM-Teilnahme kostete, auf Afrikas höchsten Berg, den Kilimandscharo, gestiegen.
Andreas Renz: Der Kilimandscharo war symbolisch dafür, dass ich mit der Härte hoch bin und mit dem Gefühl fast gestorben wäre. Ich war sehr verzweifelt in meiner Konstellation zwischen zwei Frauen, und durch die Verletzung ist der Eisen-Renz weggebrochen. Wer bin ich dann noch?
Mit zwei Zweitligajahren in Schwenningen und auch infolge einer im Training erlittenen schweren Augenverletzung ging Ihre Karriere als Spieler dann zu Ende, bei einem Strandlauf 2012 in Rio de Janeiro konnten Sie nicht mehr weiter – und der Eisen-Renz war Geschichte. Der Tiefpunkt?
Andreas Renz: Das Eishockey war meine Welt, da gab es den Gegner, den Puck und mich, alles andere konnte ich vergessen. Es war die einzige Zeit des Tages, zu der ich nicht über meine Krise nachgedacht habe. Dann waren Job, Anerkennung, Geld, das Interesse an mir und die Perspektive für mich weg. Es ist ein Loch, in das Athleten und Künstler fallen.
Sie haben sich unter den Eishockey-Kollegen lediglich ihrem Kölner Mitspieler Tino Boos offenbart, was die komplizierte private Situation angeht.
Andreas Renz: Mit Tino habe ich gesprochen, aber nicht in der Tiefe. Es ist toxisch männlich, dass man nicht über seine Themen spricht. Ich habe mich selbst verurteilt und geschämt. Und ich musste stark sein – das war der Ursprung meiner Kindheit.
Sie fanden für sich heraus, dass Sie von Verlustängsten geprägt waren.
Andreas Renz: Ich war nicht stark genug, meinen Papa zu retten. Er hatte psychische Probleme, wurde, als ich fünf war, abgeholt, vor meinen Augen weggerissen. Am nächsten Tag war er mit Medikamenten so vollgepumpt, dass er mich nicht mehr erkannte.
Ihrem Vater ging es später wieder gut, er kehrte zur Familie zurück.
Andreas Renz: Aber diesen Moment, als man ihn holte, den hat lange niemand mit mir aufgearbeitet, der sitzt dann eben in der Wäsche. Ich sehe das jetzt als Coach und als Selbstfindungsexperte, der Menschen aus ihren Krisen begleitet: Es gibt prägende Zeiten in der frühen Kindheit, zwischen null und sechs. Ich hatte eine Klientin, die als Achtjährige in der Schule weinte, ausgelacht wurde und beschloss, nie mehr im Leben zu weinen.
Was Sie auch kurz erwähnen: Sie kamen mit sechs Fingern an der linken Hand zur Welt.
Andreas Renz: Sechsfingrigkeit ist eine genetische Sache, die in jeder achten Generation wiederkommt. Bei der Geburt fragen Mütter als Erstes: „Ist alles in Ordnung, hat das Kind zehn Zehen und Finger?“ Die Antwort lautete: „Es sind elf Finger.“ Meine Mutter hat geweint, und die Kinderpsychologie geht davon aus, dass ein Kind so feine Antennen hat, dass es bemerkt, was in der Mutter vorgeht. Mein sechster Finger an der linken Hand wurde damals schroff abgebunden und fiel ab.
Wir sehen einen glücklichen Andreas Renz vor uns. Sie haben alles bewältigt, was Sie quälte?
Andreas Renz: Es muss einem bewusst sein, was los ist, dann kann man es verändern. Das Gefühl meiner Kindheit musste ich noch einmal durchleben, um damit umgehen zu können.
Sie leben am Bodensee, haben mit Ihrer neuen Partnerin, mit der Sie im Coaching zusammenarbeiten, zwei Kinder, insgesamt sind es vier Kinder von drei Frauen geworden – was Ihnen auch die von Ihnen konsultierte Hellseherin angekündigt hatte. Bei MagentaSport sieht man Sie gelegentlich noch als Experte. Wie nah dran sind Sie an Ihrem alten Sport?
Andreas Renz: Dem Eishockey habe ich viel zu verdanken, es ist der schönste Sport der Welt, er hat mir viel gegeben, wofür ich tiefe Dankbarkeit empfinde. Aber nach 20 Jahren als Profi habe ich gemerkt, dass ich das nicht als Trainer oder Manager 24/7 machen will. Es rief mich was anderes. Als Coach erlebe ich die zweite Berufung nach dem Eishockey. Ab und zu brauche ich aber noch den Eisen-Renz, der körperlich und energetisch Dinge halten kann und Präsenz hat.