Vorstöße der Ukraine
Signal an Putin: Kursk-Offensive trifft Russlands Wirtschaft und EU-Länder an einem wunden Punkt
Die aggressive Aktion der Ukraine in Kursk erhöht die Ängste um die Auswirkungen auf die Gaslieferungen. Europäische Länder sind nach wie vor auf russisches Gas angewiesen.
Sudscha – Nach ukrainischen Angaben haben Kiews Truppen bei den Vorstößen in Kurs auch die Stadt Sudscha eingenommen. Der ukrainische Oberbefehlshaber Oleksandr Syrsky habe „die Befreiung der Stadt Sudscha aus den Händen des russischen Militärs“ gemeldet, teilte Präsident Wolodymyr Selenskyj jüngst auf Telegram mit. Bei Sudscha liegt die letzte Gasstation, über die weiter Gas aus Russland über die Ukraine nach Europa fließt. Nicht nur Wladimir Putin, sondern auch EU-Länder dürften sich um einen Lieferstopp von russischem Gas sorgen.
Folgen für Russlands Wirtschaft: Ukraine rückt in Kursk vor – Sorge um Lieferstopp von Putins Gas
Über Sudscha pumpt der russische Staatskonzern Gazprom sein Gas durch die Ukraine in die EU-Mitgliedsstaaten. Von Sudscha aus führt der Transit durch die Ukraine und weiter in die Slowakei und nach Österreich. In den ersten zehn Monaten des Jahres 2023 flossen zwölf Milliarden Kubikmeter russisches Gas über die Ukraine nach Europa, wie Daten von S&P Global belegten.
Jüngst hatte Gazprom noch mitgeteilt, es werde trotz der Offensive in Kursk weiterhin Gas durch den Knotenpunkt fließen. Auch der Chef des ukrainischen Energiekonzerns Naftogaz weist Sorgen um die Gasversorgung der EU zurück „Ich gehe davon aus, dass weiter Gas fließen wird“, sagte Oleksi Tschernischow dem Handelsblatt. Experten erwägen allerdings noch ein anderes Szenario.
„Es wäre möglich, dass Russlands Präsident Wladimir Putin Gazprom dazu veranlasst, die Lieferungen über Sudscha in die EU zu stoppen, falls der Ort langfristig von den Ukrainern gehalten wird“, sagt Szymon Kardaś, Energie-Experte im Warschauer Büro des European Council on Foreign Relations (ECFR), im Gespräch mit ntv.de. Ökonomisch wäre für Russlands Wirtschaft ein Lieferstopp wenig sinnvoll. Allerdings könne Putin auch die Situation nutzen, um Druck auf die Slowakei und Österreich auszuüben, so die Expertin.
Folgen nach Kursk-Offensive: EU-Länder beziehen noch immer russisches Gas
In Österreich bleibt die Abhängigkeit von russischem Gas weiterhin hoch. Im Dezember 2023 kamen 98 Prozent der Gasimporte aus Russland. EU-Mitglieder die Einfuhr von Gas aus Russland wegen der hohen Abhängigkeit einiger Länder in ihrer Energieversorgung nicht untersagt. Dabei könnte Österreich laut einer Studie auch ohne russisches Gas zurechtkommen.
Eine Quelle aus dem österreichischen Energieministerium erklärte gegenüber Reuters, dass das Land in den letzten zwei Jahren Maßnahmen ergriffen habe, um die Abhängigkeit von russischem Gas langfristig zu verringern. „Solange es eine Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen gibt, besteht ein massives Risiko eines entsprechenden Versorgungsausfalls mit weitreichenden Folgen“, so die Quelle weiter. Auch die Slowakei und Ungarn importieren trotz Ukraine-Kriegs russisches Gas in großem Stil.
Bei Lieferstopp von russischem Gas wegen Kursk-Offensive: Gäbe es Alternativen?
Im Falle einer Beschädigung oder Zerstörung der Pipeline oder der Station Sudscha gäbe es zwar Alternativen für russisches Gas. Österreich könnte beispielsweise über Deutschland und Italien mit Erdgas versorgt werden. Die meisten Empfänger von über die Ukraine geliefertem Gas haben zudem erklärt, dass sie sich auf die Einstellung der Gaslieferungen Ende dieses Jahres vorbereitet haben, wenn das Transitabkommen zwischen der Ukraine und Russland ausläuft. So teilte das slowakische Gasunternehmen SPP laut Reuters mit, es habe sich seit mehreren Jahren auf das Risiko eines Stopps der russischen Gaslieferungen vorbereitet und habe Handelsverträge mit nicht-russischen Lieferanten abgeschlossen.
Fachleute fürchten dennoch steigende Gaspreise bei einem vorzeitigen Ende der Lieferungen. „Zwar haben sich die regionalen Gasversorger auf diesen Fall vorbereitet, indem sie alternative Liefermöglichkeiten geschaffen haben, doch wird es teurer sein, Gas aus dem Westen zu beziehen“, sagte Natasha Fielding von der Preisagentur Argus Media der Welt. Auch Tschernischow zufolge wird günstiges Gas aus Russland weiter einen Preis in Sachen Sicherheit haben. „Wir müssen andere Wege finden“, sagte er zum Handelsblatt.
Russlands Wirtschaft besorgt: Wichtiger Gas-Deal zwischen Ukraine und Russland läuft aus
Zum Hintergrund: Noch vor dem russischen Überfall auf die Ukraine haben Gazprom und Naftogaz einen Gas-Transitvertrag ausgehandelt. Ende 2024 soll der Transitvertrag auslaufen und die Ukraine hat bislang kein Interesse gezeigt, das Abkommen zu verlängern oder zu erneuern.
Allerdings gibt es offenbar Gespräche, auf andere Weise Gaslieferungen über die Ukraine zu ermöglichen. Zur Diskussion steht der Vorschlag, russisches Gas durch Gas aus Aserbaidschan zu ersetzen. Für die Ukraine wäre dieser Weg ein Kompromiss, Europa weiterhin über die Ukraine mit Gas zu versorgen. Die Ukraine wolle ihre Rolle als Transitland aufrechterhalten und ihre westlichen Nachbarn bei der Gewährleistung der Energiesicherheit unterstützen, betonte Selenskyj Anfang Juli 2024 gegenüber Bloomberg TV. (bohy)