Volkswagen im Krisenmodus
Sagte Habeck bereits 2019 das VW-Debakel voraus? „Dann werden Sie am Markt scheitern“
Volkswagen erwägt Werksschließungen und Kündigungen in Deutschland. Hat der Wirtschaftsminister Robert Habeck die gegenwärtige Volkswagen-Krise schon 2019 vorhergesehen?
Berlin – Höhere Ausgaben als Einnahmen, ein schwächelnder Verkauf von Elektroautos und über fünf Milliarden Euro fehlende Gelder: Volkswagen, immerhin Europas größter Auto-Konzern, ist in eine deftige Krise geschlittert – mit Folgen für die Unantastbarkeit des Produktionsstandorts Deutschland und dessen Beschäftigte. Anfang der Woche hatte die VW-Spitze um CEO Oliver Blume verkündet, dass Fabriken und Arbeitsplätze in den deutschen VW-Werken auf dem Prüfstand stehen.
Seitdem laufen die Gewerkschaften Sturm, Beschäftigte protestieren verzweifelt und Ökonomen sehen in der brisanten Ankündigung den ersten Dominostein für Deutschlands (Auto-)Industrie fallen.
Wegen Volkswagen: Merz attackiert die Ampel, Habeck-Anhänger kontern mit altem Interview
Ist der Bruch etwa erst der Anfang einer Abwärtsspirale für die deutsche Wirtschaft? Auf der politischen Bühne jedenfalls ist die Suche nach den Schuldigen im vollen Gange. Erster Kandidat aus Amtsgründen ist die Ampel – oder genauer: Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne). Der Zwang zum Elektroauto sei ursächlich für die Misere, polterte der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz. Und weiter: Die Verantwortung für den Zustand der deutschen Industrie trage „vor allem die Bundesregierung, nicht nur die Weltkonjunktur.“
Doch Anhänger Habecks holen nun zum Konter aus und haben ein Interview des Grünen-Chefs aus dem Jahre 2019 hervorgeholt. Die Welt hatte einst Habeck und den damaligen VW-Chef Herbert Diess zum Doppelinterview geladen.
Habeck kritisiert Elektro-Strategie von VW – und prophezeit ein Scheitern
Der heutige Wirtschaftsminister äußerte scharfe Kritik an der damaligen Strategie des größten Autobauers: „Wenn Sie 2025 kein E-Mobil für unter 20.000 Euro anbieten, dann werden Sie – so fürchte ich – im Markt scheitern.“ Habeck, damals noch ohne Regierungsbeteiligung in der Opposition, monierte speziell die Strategie des Konzerns, erst die Modelle der Premiumklassen, also Porsche und SUVs, mit E-Antrieb auszustatten. Wobei sich doch die wenigsten Menschen ein Auto in der Preisklasse um 100.000 Euro leisten könnten. Provokant ergänzte er: „Dann bieten Sie nur noch Premiumwagen an und müssten sich in PW umbenennen.“
Diess hatte laut der Welt tatsächlich von einer Elektrostrategie gesprochen, die Autos aus dem Preissegment ab 80.000 Euro wie den Audi e-tron oder den Porsche Taycan für eine Umrüstung priorisieren. Diese Modelle würden „die zusätzlichen Kosten durch die teurere Batterie gut verkraften“.
Diess ist Geschichte – doch auch unter Nachfolger Blume gibt es kein VW-Elektroauto unter 20.000 Euro
Heute, rund fünf Jahre später, ist Diess an der Spitze von Volkswagen zwar Geschichte. Doch auch unter seinem Nachfolger Oliver Blume existiert noch kein E-Auto-Modell für unter 20.000 Euro. Das günstigste Fahrzeug in diesem Segment liegt mit dem ID.3 bei rund 36.900. Helena Wisbert, Direktorin des privaten Center Automotive Research (CAR) in Duisburg, hatte zuletzt im Interview mit dem Spiegel dieses Preisniveau kritisiert. „Von einem echten ‚Volkswagen‘ könnte man erst bei einem Preis zwischen 20.000 und 25.000 Euro sprechen.“
Ende Mai hatte Blume für 2027 in einer Pressemitteilung die Weltpremiere des ersten Elektrofahrzeugs aus dem VW-Konzern für unter 20.000 Euro angekündigt. Diese preiswertere Variante der bisherigen Modelle werde „aus Europa für Europa“ auf den Markt kommen.
VW-Markenversprechen: „Elektromobilität für alle“ - Preiswertere Modelle erst Ende 2025
Thomas Schäfer, CEO der Marke Volkswagen und Leiter der Markengruppe Core, ergänzte damals: „Unser Markenversprechen lautet: Elektromobilität für alle.“ Einen ersten Schritt in diese Richtung will Volkswagen dafür schon Ende 2025 mit vier neuen Modellen tätigen. Unter dem Markenclaim „Electric Urban Car Family“ sind zwei elektrische Kompaktwagen von VW und Cupra sowie zwei kleinere SUVs von Škoda und VW geplant – für unter 25.000 Euro.
Doch kommen diese Modelle angesichts der aktuellen Krise im Elektrosegment zu spät? Im ersten halben Jahr 2024 verkaufte Volkswagen nur rund 317.200 E-Fahrzeuge. Aus dieser Misere zogen die VW-Chefs nun die Konsequenzen – und stellen die eigene Konzern-Struktur in Deutschland auf den Prüfstand.
Habeck sieht hohe Verantwortung bei VW: Ampel will E-Autos als Dienstwagen attraktiver machen
Es scheint also, als ob Habeck im Jahr 2019 eine Art Vorahnung gehabt hatte, wenngleich Volkswagen natürlich noch längst nicht am Ende ist. Und auch Habeck erlebte Ende Dezember 2023, wie es ist, unpopuläre Maßnahmen aufgrund von Sparzwängen umzusetzen. Damals strich der Wirtschaftsminister die Förderung für den Kauf eines E-Autos. Als Schuldigen für die VW-Krise eruiert ihn das noch lange nicht – genauso wenig wie der Fokus auf die Elektrostrategie der Branche oder das Verbrenner-Aus bei neu zugelassenen Pkws ab 2035. Diese Gesetze entstammen der Feder der EU in Brüssel.
Zu seiner Äußerung im damaligen Welt-Interview hat sich Habeck übrigens noch nicht geäußert. Zur aktuellen Situation bei Volkswagen hingegen schon: „Alle Beteiligten müssen ihrer Verantwortung für die Beschäftigten in den Standorten gerecht werden“, erklärte er in einem Statement in Berlin. Das Unternehmen sei Innovationstreiber quer durch alle Branchen hinweg und Wohlstandsmotor für unzählige Beschäftigte.
Parallel wurde am Mittwoch (4. September) bekannt, dass die Bundesregierung nun die Nachfrage nach E-Autos als Dienstwagen attraktiver machen möchte – mit steuerlichen Anreizen. Ein entsprechender Entwurf wurde bereits im Kabinett verabschiedet. Habeck erwarte sich davon einen Schub für die Elektromobilität in Deutschland.