Altes Paket aufgebraucht
Rüstungsunternehmen verlangt von Ampel „weiteres Sondervermögen“ für Verteidigungshaushalt
Das Geld aus dem Zeitenwende-Sondervermögen der Ampel sind aufgebraucht. Daher verlangt ein norddeutsches Rüstungsunternehmen weitere Milliarden für den Verteidigungshaushalt.
Berlin – Die Öffentlichkeit staunte im April 2024 nicht schlecht. Das 2021 beschlossene Sondervermögen von über 100 Milliarden Euro sei fast auf den letzten Cent aufgebraucht, berichtete die FAZ. Konkret seien zu diesem Zeitpunkt bereits 99,99 Milliarden Euro aus dem Extra-Topf, den die Ampel-Koalition als Konsequenz aus dem russischen Überfall auf die Ukraine beschlossen hatte, an frühere Verpflichtungen und Projekte gebunden. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wollte mit der von ihm einberufenen Zeitenwende perspektivisch in die eigene Verteidigungsfähigkeit investieren – und ein militärisches Signal der Stärke nach außen senden.
„Weiteres Sondervermögen von 100 bis 200 Milliarden Euro“ – Rüstungsunternehmen appelliert an Bund
Doch längst ist die Aufbruchstimmung – ähnlich wie das Geld im Sondervermögen – nahezu versiegt. Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall oder Airbus heimsen zwar Milliardenaufträge ein – vom Bund und aus dem Ausland. Doch ist es besonders für mittelständische Betriebe aus der hoch spezialisierten Verteidigungswirtschaft derzeit schwer, den gestiegenen Mengen-Anforderungen in der Produktion gerecht zu werden: „Wenn Deutschland die Bundeswehr im nötigen Umfang modernisieren und ausbauen will, brauchen wir ein weiteres Sondervermögen von 100 bis 200 Milliarden Euro. Das zumindest spiegeln die Diskussion in der Rüstungsbranche wider“, erklärt etwa Kajetan von Mentzingen, CEO von Vincorion gegenüber der Welt.
Das schleswig-holsteinische Unternehmen hat drei Standorte in Deutschland und fertigt Seilwinden für Militärhubschrauber, Motoren sowie Stromversorgungselemente für Militärsysteme und -gerätschaften. Ohne die hoch spezialisierte Feinarbeit von Betrieben wie Vinvorion würden die Endprodukte wie Panzer oder auch Versorgungssysteme für die militärische Infrastruktur nicht funktionieren.
Finanzielle Möglichkeiten der KfW-Bank bleiben unangetastet – Unternehmen warnen vor Investitionsdefizit
Ein Teil von ihnen kommen derzeit in der Ukraine zum Einsatz. Besonders schwierig sei für mittelständische Betriebe laut dem CEO die kurzfristig steigende Nachfrage – speziell, wenn der Bund sich mit konkreten Anzahlungen zurückhalte. Auch die Möglichkeiten der staatlichen Förderbank KfW würden unangetastet bleiben. Diese können zum Beispiel bei Großaufträgen mit zinslosen Förderkrediten als Startkapital aushelfen.
Zu einem ähnlichen Urteil kommen auch Experten von Unternehmen, die in der Wehrtechnik des Landes Schleswig-Holstein tätig sind. In ihrem nun veröffentlichten Jahresbericht für 2024 sehen sie ein Investitionsdefizit von Seiten des Bundes: „Das bereits verplante 100-Milliarden-Euro Sondervermögen Bundeswehr, der geringe Aufwuchs im geplanten Verteidigungshaushalt 2025 und der nach 2027 erforderliche, jedoch ungeklärte signifikante Anstieg der Verteidigungsausgaben stellen die Zeitenwende und Verteidigungsfähigkeit infrage.“ Die Landesverteidigung kostet Deutschland Geld, das die drittgrößte Volkswirtschaft allerdings nur ungern investiert – so die Botschaft des Berichts.
Verteidigungsminister Pistorius beklagt Verteidigungsetat – und blickt sorgenvoll auf die USA-Wahl
Ausgerechnet Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) hatte sich im Zuge der Haushaltsverhandlungen im Sommer gegenüber dem Tagesspiegel über den angestrebten Verteidigungsetat von 52 Milliarden Euro ebenso geärgert: „Wir müssen uns in der Bundesregierung noch einmal grundsätzlich darüber unterhalten, wie wir unsere Sicherheit gewährleisten wollen“, ließ der SPD-Politiker vielsagend durchblicken. Das Budget seines Ministeriums sei nur um 1,25 Milliarden Euros gestiegen – zu wenig angesichts der „echten“ Bedrohungslage durch weltweite politische Instabilität und den Krieg in der Ukraine. In diesem herrscht zurzeit eine lähmende Patt-Situation. Experten sind skeptisch, dass die Ukraine den Konflikt trotz aller Unterstützung aus Deutschland, den USA und weiteren Verbündeten auf dem Schlachtfeld entscheiden werde.
Parallel blicken westliche Regierungen mit Sorgen auf die anstehende US-Präsidentschaftswahl: Sollte sich Hardliner Donald Trump (Republikaner) in zwei Wochen gegen Kamala Harris (Demokratin) durchsetzen, könnte die US-Militärhilfe für die Ukraine abrupt enden. Dann stünde die EU und speziell Deutschland vor einer Mammutaufgabe. Die Milliardenhilfen sowie Waffenlieferungen der USA könnte die Währungsunion nicht kompensieren.
Deutschlands erreicht 2024 Nato-Vorgabe – doch reichen perspektivisch zwei Prozent des BIP?
Deutschland erfüllt zwar in diesem Jahr erstmals die Vorgaben der NATO, mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigungsausgaben auszugeben. Doch basiert dieser Fortschritt auf zurückliegenden Investitionen. Unklar bleibt, wie der Bund dieses Niveau künftig halten will – und vielleicht sogar noch ausbauen kann: „Nötig wären mindestens 2,5 bis drei Prozent“, erklärt von Mentzingen. SPD und Grüne sehen eine Reform der Schuldenbremse als probates Mittel an, um Deutschland in allen Bereichen zukunftsfit zu machen, darunter auch in der Verteidigung. Auch einige Top-Ökonomen werben für „minimalinvasive Eingriffe“ bei der Schuldenbremse, wie es etwa Björn Kauder vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) nennt. Dabei könnten Investitionen über die Bereitstellung eines Sondervermögens ins Grundgesetz übernommen werden.
Ein anderer Weg sei, die erforderliche Verschuldung auf Nettoinvestitionen zu beschränken. Jens Südekum von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf warnt gar, dass Deutschland bei einem Festhalten an der Schuldenbremse „den Anschluss verlieren“ würde – auch bei der militärischen Handlungsfähigkeit.
Lindner stellt sich gegen Reform der Schuldenbremse – bröckelt die Unterstützung der CDU?
Das von Christian Lindner (FDP) geführte Bundesfinanzministerium lehnt diesen Schritt aber kategorisch ab. Spannend bleibt hingegen die Position der CDU. Aktuell vertritt die Partei strikt die Position der FDP, doch gibt es Stimmen, die diese Haltung als wahltaktische Finesse abtun. Die ehemalige Grünen-Chefin Ricarda Lang sagte unlängst in einer Podiumsdiskussion des Spiegel, dass es in der Bundespolitik ein offenes Geheimnis sei, dass die CDU die Schuldenbremse unter einem Kanzler Friedrich Merz aufweichen werde. Dafür bräuchte es eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und Bundesrat, die bei einem CDU-geführten Antrag durchaus möglich wäre. Für den Ökonomen Stefan Kolev vom FPD-nahen Thinktank Ludwig-Erhard-Forum stellt sich die Frage allerdings nicht.
Er plädiert im Wochenzeitung Das Parlament vielmehr für einen „gesonderten Schuldentopf“, um den Verteidigungshaushalt zu stärken. Dafür könne man „mittelfristig ein bis zwei Feiertage“ streichen und das zusätzliche Steueraufkommen für die Rückzahlung verwenden. Vorbild sei hier Dänemark, das diesen Weg gegangen sei. Wie es derzeit aussieht, mit Erfolg: Für 2025 hat das nordeuropäische Land angekündigt, 2,4 Prozent des BIP in die Verteidigung stecken zu wollen.
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