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Reform der Schuldenbremse

„Deutschland verliert wertvolle Zeit“: Ökonomen machen Forderungen an die Ampel deutlich

Immer mehr Ökonomen fordern eine Reform der Schuldenbremse: Deutschland brauche dringen neue Spielräume für Investitionen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Berlin – Entgegen dem strikten Festhalten an der Schuldenbremse der FDP unter Finanzminister Christian Lindner fordern immer mehr Wirtschaftsexperten eine Reform der Schuldenbremse. Sie warnen, dass die aktuelle Regelung Deutschlands wirtschaftliche Entwicklung behindere und dringend notwendige Investitionen verhindere. Neue Schulden seien ein wichtiger Wachstumsmotor. Die vor 25 Jahren als Reaktion auf die Finanzkrise im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse müsse darum überarbeitet werden, so Ökonomen.

Finanzminister Lindner (FDP) will nicht an der Schuldenbremse rütteln (Archivbild).

Diskussion um notwendige Investitionen: Strikte Schuldenbremse „dringend reformbedürftig“

Die Beschränkung der Kreditaufnahme des Bundes auf 0,35 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und die der Bundesländer auf null sei dringend reformbedürftig, argumentieren die Experten. „Wir haben ein riesiges Defizit bei Investitionen in die Infrastruktur, wie den Bau und den Verkehr“, erklärte Björn Kauder vom arbeitgebernahen Institut der deutschen Wirtschaft (IW) am Montag (8. Juli) im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. „Deutschland hinkt da weit hinter den skandinavischen und Benelux-Ländern, Österreich und der Schweiz hinterher“.

Es hat sich in den letzten Jahren zu wenig getan, und speziell in den 10er-Jahren, in denen es große Spielräume durch gesunkenen Zinsen gab, sind Investitionschancen verpasst worden.

Björn Kauder, Institut der deutschen Wirtschaft (IW)

Das IW habe in Studien gemeinsam mit dem gewerkschaftsnahen Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) errechnet, dass der Investitionsbedarf bei inzwischen 600 Milliarden Euro liegt. „Es hat sich in den letzten Jahren zu wenig getan, und speziell in den 10er-Jahren, in denen es große Spielräume durch gesunkenen Zinsen gab, sind Investitionschancen verpasst worden“, so Kauder.

IW-Experte fordert Reform der Schuldenbremse: „Minimalinvasive Eingriffe“

Die starre Schuldenbremse erschwere öffentliche Investitionen in die Transformation. Das Institut trete zwar nicht dafür ein, die Schuldenbremse direkt abzuschaffen, sondern zu reformieren, „minimalinvasive“ Eingriffe seien dringend erforderlich. „Wir schlagen dafür zwei Wege vor. Zum einen wäre es möglich, die Investitionen über die Bereitstellung eines Sondervermögens ins Grundgesetz zu übernehmen“, erläutert der Ökonom.

„Zum anderen könnte die erforderliche Verschuldung auf Nettoinvestitionen beschränkt werden – also auf Ausgaben, die den Kapitalstock des Bundes, also etwa Gebäude, erhöhen.“ Instandhaltungsinvestitionen seien davon jedoch ausgenommen. Sie müssten weiter über den Haushalt finanziert werden.

Eine echte Investitionsoffensive ist nicht durch kleine Buchungsoperation innerhalb der Schuldenbremse zu schaffen. Hierfür braucht es eine echte Reform der Schuldenbremse oder die Verankerung eines Sondervermögens im Grundgesetz.

Jens Südekum, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf 

„Riesiger Handlungsbedarf“: Ökonomen fordern Raum für zusätzliche Investitionen

Auch Top-Ökonom Jens Südekum kritisierte die Schuldenbremse und fordert, Raum zu schaffen für zusätzliche Investitionen: „Deutschland könnte den Anschluss verlieren“, warnt der Wirtschaftswissenschaftler von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf gegenüber IPPEN.MEDIA. „In den Bereichen Infrastruktur, Investitionen und Transformation besteht ein riesiger Handlungsbedarf, der in den kommenden zehn Jahren im hohen dreistelligen Milliardenbereich liegt. Der Bereich Militär ist da noch nicht mitgerechnet.

Er gibt zu bedenken: „Eine echte Investitionsoffensive ist nicht durch kleine Buchungsoperation innerhalb der Schuldenbremse zu schaffen. Hierfür braucht es eine echte Reform der Schuldenbremse oder die Verankerung eines Sondervermögens im Grundgesetz, ähnlich wie bei dem für die Bundeswehr.“ Beide Optionen benötigten eine Zweidrittelmehrheit in Bundestag und Bundesrat, die Union müssten also mitziehen.

„Deutschland verliert wertvolle Zeit“: Ökonomen warnen vor Investitions-Defizit

Südekum glaubt: „Diese Reformen werden auch kommen, das zeigen die Signale von Seiten der Ministerpräsidenten der Union recht deutlich“. Aber diese Korrekturen würden „wohl frühestens“ nach der nächsten Wahl passieren, „bis dahin verliert Deutschland wertvolle Zeit.“

Das sind die fünf Wirtschaftsweisen

Sachverständigenrat Wirtschaft/Andreas Varnhorn
Monika Schnitzer (61) ist die erste Frau an der Spitze des Sachverständigenrats. Die Ökonomin (Ludwig-Maximilians-Universität, München) forscht vor allem zu Wettbewerb, Innovationen, Digitalisierung und multinationalen Unternehmen. Schnitzer gilt als ideologie-freie Pragmatikerin.  © Sachverständigenrat Wirtschaft/Andreas Varnhorn
Veronika Grimm
Veronika Grimm (51) hat zuletzt vor allem als Co-Vorsitzende der Regierungskommission zur Gaspreisbremse für öffentliches Interesse gesorgt. Zu den Forschungsfeldern der Wirtschaftsweisen (Uni Erlangen-Nürnberg) gehören Energiemärkte, Auktionen und das optimale Marktdesign.  © Sachverständigenrat Wirtschaft/Andreas Varnhorn
Ulrike Malmendier
Ulrike Malmendier (49) ist das erste Mitglied in der Geschichte der Weisen, das im Ausland lebt und forscht. Die mit mehreren Preisen dekorierte Verhaltensökonomin (University of California, Berkeley) hat unter anderem gezeigt, dass Konzernchefs mit dickem Ego zu überteuerten Investitionen neigen. © Sachverständigenrat Wirtschaft/Andreas Varnhorn
Achim Truger
Achim Truger (53) ist 2019 auf Vorschlag der Gewerkschaften in den SVR berufen worden. Der Finanzwissenschaftler (Uni Duisburg-Essen) ist Experte für Steuer- und Finanzpolitik. Truger hält angesichts der Energiekrise eine erneute Aussetzung der Schuldenbremse im nächsten Jahr für gerechtfertigt.  © Sachverständigenrat Wirtschaft/Andreas Varnhorn
Martin Werding
Martin Werding (58) ist auf Vorschlag der Arbeitgeber berufen worden. Zu den Forschungsschwerpunkten des Professors (Ruhr-Uni Bochum) gehören die Folgen des demografischen Wandels für die öffentlichen Finanzen, Alterssicherung, Familienpolitik und der Arbeitsmarkt.  © Sachverständigenrat Wirtschaft/Andreas Varnhorn

„Zukunftsgerichtete öffentliche Ausgaben“: Wirtschaftsweise fordern Reform der Schuldenbremse

Selbst der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, die sogenannten Wirtschaftsweisen, schlägt eine Reform der Schuldenbremse vor, um mehr Spielraum zu ermöglichen. „Unter der aktuellen Regelung wird mehr gespart, als nötig“, so Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft im Gespräch mit IPPEN.MEDIA, „Sie ist zu streng und unflexibel.“ Der Rat habe darum bereits im Januar Anpassungsmodelle der Regelung vorgelegt.

Es gibt enorme Investitionsbedarfe, und für die Reformen sind Verfassungsänderungen nötig. Das sollte man nicht so lange vor sich herschieben, denn für die notwendige Zweidrittelmehrheit braucht es die demokratische Mitte.

Martin Werding, Sachverständigenrat Wirtschaft

„Zu streng und unflexibel“: Sachverständigenrat empfiehlt Anpassung

Zum einen sei eine längere Übergangszeit nach Notlagen erforderlich, um die Kreditaufnahme schrittweise zurückzufahren. „Zum anderen ist die Verschuldungsgrenze von aktuell 0,35 Prozent der Wirtschaftsleistung unnötig gering“, so der Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum. In Abhängigkeit von der Schuldenquote könne diese auf 1,0 Prozent bei einer Schuldenquote unter der Maastricht-Grenze, und bis zu 0,5 Prozent bei einer Schuldenquote zwischen 60 und 90 Prozent erhöht werden.

Auch Werding hält rasches Handeln für nötig. Es gebe enorme Investitionsbedarfe, und für die Reformen seien Verfassungsänderungen nötig. „Das sollte man nicht so lange vor sich herschieben, denn für die notwendige Zweidrittelmehrheit braucht es die demokratische Mitte.“

Rubriklistenbild: © Soeren Stache/dpa

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