Historisches zum 75. Jubiläum
Ukraine-Hilfen: Nato will 100-Milliarden-Euro-Paket – Baerbock hält Stoltenberg-Plan für „nicht sinnvoll“
Zum 75-jährigen Jubiläum der Nato herrscht keine Feierlaune. Im Mittelpunkt steht ein Unterstützungspaket für Kiew. Der News-Ticker.
Update vom 3. April, 18.51 Uhr: Die Nato treibt Vorbereitungen für die Übernahme von mehr Verantwortung bei der Unterstützung der Ukraine voran. Die Bündnisstaaten hätten sich darauf verständigt, konkrete Pläne für eine größere Koordinierungsrolle erarbeiten zu lassen, erklärte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg am Mittwoch nach dem ersten Tag eines Außenministertreffens in Brüssel. Die Hilfe der Ukraine-Verbündeten koordinieren bislang federführend die USA. Stoltenberg sagte, es gehe darum, die Unterstützung für die von Russland angegriffene Ukraine auf eine festere und dauerhaftere Grundlage zu stellen. Den Ukrainern gehe nicht der Mut aus, ihnen gehe die Munition aus, warnte er.
Zu Details wollte der Norweger keine Angaben machen. Nach Angaben von Diplomaten sehen erste Vorschläge von Stoltenberg allerdings vor, dass sich das Bündnis künftig über eine „Nato Mission Ukraine“ um die Koordination von Waffenlieferungen und Ausbildungsaktivitäten für die ukrainischen Streitkräfte kümmern soll. Derzeit liegt dieser Job in den Händen der USA, die dazu regelmäßig Treffen auf ihrem Luftwaffenstützpunkt im rheinland-pfälzischen Ramstein oder zum Beispiel in Brüssel organisieren.
Hintergrund der Vorschläge ist insbesondere auch die Sorge, dass die USA ihr Engagement für die Ukraine stark reduzieren oder sogar einstellen könnten, wenn im November der Republikaner Donald Trump die Präsidentenwahl gewinnen sollte.
Update vom 3. April, 16.25 Uhr: Positive Signale gab es bei dem Nato-Treffen für einen zweiten Vorschlag Stoltenbergs. Der Norweger will Waffenlieferungen der Mitgliedsländer an Kiew künftig durch die Nato koordinieren lassen. Bisher organisieren die USA die Unterstützung im Rahmen der sogenannten Ramstein-Unterstützergruppe.
Baerbock nannte es „richtig und wichtig“, die Hilfen in „wirklich strukturierte, verlässliche, langfristige Strukturen zu gießen“. Hintergrund ist die Furcht der Europäer vor einem nachlassenden US-Engagement, insbesondere im Fall eines Wahlsiegs von Ex-Präsident Donald Trump im November. Auf Trumps Druck blockieren die Republikaner im US-Kongress seit Monaten neue Ukraine-Hilfen von 60 Milliarden Dollar (rund 56 Milliarden Euro).
Update vom 3. April, 15.30 Uhr: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock (Grüne) reagierte zurückhaltend auf den 100-Milliarden-Plan. Es sei zwar „vollkommen klar, dass wir weitere Zahlungen leisten müssen“, sagte sie. Es sei aber „nicht für sinnvoll“, mit Zahlen in dieser Größenordnung „zu jonglieren“. Skeptisch äußerte sich auch Belgien: „Es ist gefährlich, Versprechen zu machen, die wir nicht halten können“, warnte die belgische Außenministerin Hadja Lahbib. Nach ihren Angaben sollen die 32 Nato-Länder gemäß ihrer Wirtschaftsleistung zu dem Milliardenfonds beitragen. Auf Deutschland kämen damit nach den USA die zweitgrößten Beiträge zu. Die Bundesregierung hat Kiew dieses Jahr mehr als sieben Milliarden Euro an Militärhilfen zugesagt.
Polen unterstützt dagegen Stoltenbergs Finanzplan, wie Außenminister Radoslaw Sikorski sagte. Der lettische Außenminister Krisjanis Karins sprach von einem „sehr guten Vorschlag“. „Es ist niemals zu spät, das Richtige zu tun“, sagte er zu den zuletzt stockenden Nato-Hilfen und der schwierigen militärischen Lage der Ukraine.
Update vom 3. April, 13.00 Uhr: Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg hat zum Auftakt eines Außenministertreffens der Bündnisstaaten für eine deutlich stärkere Rolle der Militärallianz bei der Unterstützung der Ukraine geworben. Es gehe darum zu diskutieren, wie die Nato mehr Verantwortung für die Koordinierung von Waffenlieferungen und Ausbildungsaktivitäten übernehmen könnte, sagte Stoltenberg am Mittwoch in Brüssel. Zudem brauche es mehrjährige Finanzzusagen, um die Unterstützung aufrechtzuerhalten.
„Jede Verzögerung bei der Bereitstellung von Unterstützung hat derzeit Konsequenzen auf dem Schlachtfeld“, erklärte Stoltenberg mit Blick auf die jüngsten großen Angriffe Russlands. Es gehe deswegen darum, eine neue Dynamik zu schaffen und mehr auf feste mehrjährige Nato-Zusagen als auf freiwillige Beiträge zu setzen. „Wir müssen der Ukraine auf lange Sicht zuverlässige und vorhersehbare Sicherheitshilfe gewährleisten“, sagte Stoltenberg. Zu Details seiner Pläne wollte sich Stoltenberg am Mittwoch zunächst nicht öffentlich äußern. Endgültige Entscheidungen sollen beim Bündnisgipfel im Juli in Washington getroffen werden.
Update vom 3. April, 11.27 Uhr: Angesichts des Treffens der Nato-Außenministerinnen und -Außenminister in Brüssel hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj seine Forderungen nach Luftabwehrsystemen erneut bekräftigt. Auf X (ehemals Twitter) schrieb Selenskyj, dass allein im März „russische Terroristen über 400 Raketen verschiedener Typen, 600 Shahed-Drohnen und über 3000 gelenkte Luftbomben gegen die Ukraine“ eingesetzt hätten.
Diese „verheerende Schäden“ und Angriffe auf Wohngebäude wären nicht möglich, „wenn die Ukraine zuverlässige Luftabwehrsysteme erhält“, so Selenskyj weiter. Der 46-Jährige verwies auf die von den USA gelieferten Patriot-Flugabwehrsysteme, die von der ukrainischen Armee seit Monaten erfolgreich eingesetzt werden.
Erstmeldung: Brüssel – Am Mittwoch und Donnerstag (3./4. April) treffen sich die Nato-Außenminister in Brüssel. Eigentlich soll der 75-jährige Gründungstag des Bündnisses gefeiert werden. Feierlaune wird aber nicht erwartet. Viel mehr stehen die Hilfen für die Ukraine im Vordergrund, denn der russische Krieg gegen Kiew ist der größte Härtetest in der Geschichte des transatlantischen Bündnisses.
Laut Diplomatenkreisen will Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg einen Fonds in Höhe von 100 Milliarden Euro zur Unterstützung der Ukraine auf den Weg bringen. Dieser solle auf fünf Jahre angelegt sein, berichtet die Deutsche-Presse-Agentur.
Trump setzt Nato unter Druck: Es muss mehr Geld für Verteidigung fließen
Das Paket soll noch vor dem Nato-Gipfel im Juli in Washington geschnürt werden. Aktuell scheint die Unterstützung für die Ukraine wichtiger denn je, denn der Ausgang des Krieges ist ungewiss. Und eine weitere Zerreißprobe für die Nato könnte zudem die mögliche Wiederwahl des früheren US-Präsidenten Donald Trump werden.
Der Ex-Präsident hat im Bündnis mit der Drohung für Unruhe gesorgt, im Fall eines Siegs bei der Präsidentschaftswahl im November Verbündete nicht mehr zu unterstützen, wenn sie nicht genug für Verteidigung ausgeben. Er werde die Russen dann sogar ermutigen, mit ihnen zu tun, „was immer zur Hölle sie wollen“, sagte er wenige Monate vor dem Jubiläumsgipfel in Washington im Juli.
Stoltenberg wiederholt bei jeder Gelegenheit, dass „eine starke Nato gut für die Vereinigten Staaten ist“. Dank des Bündnisses hätten die USA „mehr als 30 Freunde und Verbündete“, mehr als jede andere Weltmacht, betont der Norweger. Deshalb sei es „im nationalen Sicherheitsinteresse der USA, die Nato stark zu halten“. Mit dem geplanten Hilfspaket könnte der Nato-Chef versuchen, Trump milde zu stimmen.
Nato: Die wichtigsten Kampfeinsätze des Verteidigungsbündnisses




Zwei Zukunftsszenarien für Nato: Rückzug der USA oder Druck auf Europa wächst
Denn auch wenn der 77-jährige Trump inzwischen dies als Verhandlungstaktik relativiert hat, gibt es dennoch nur zwei Zukunftsszenarien für die Nato: einen weitgehenden Rückzug der USA, falls Trump siegreich aus den Präsidentschaftswahlen im November hervorgeht. Oder zumindest starken Druck auf die Europäer, ihre Sicherheit fast 80 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg selbst in die Hand zu nehmen.
Ein Rückzug Washingtons wäre das „Worst-Case-Szenario“, sagt James Black von der Denkfabrik Rand Corporation, welche die US-Streitkräfte berät. Dann wäre die Allianz gut 75 Jahre nach ihrer Gründung de facto tot. Selbst bei einem Wahlsieg von Präsident Joe Biden besteht für Black jedoch ein großes Risiko, dass die USA „weniger Führungsbereitschaft“ in der Allianz zeigen und sich auf den Konflikt mit China konzentrieren. Die Europäer müssten sich also in jedem Fall ins Zeug legen.
Eine endgültige Entscheidung wird nicht fallen: Vorschlag erfordert Konsens der 32 Mitgliedstaaten
Geplant sind für die beiden Tage erste Gespräche zwischen den 32 Ministern der Mitgliedstaaten. Eine endgültige Entscheidung werde jedoch noch nicht getroffen. „Die Außenminister werden erörtern, wie die Unterstützung der Nato für die Ukraine am besten organisiert werden kann, um sie schlagkräftiger, berechenbarer und dauerhafter zu machen“, hieß es aus Diplomatenkreisen. Die Finanzierung des Fonds wird noch diskutiert. Die Idee sei, dass jedes Nato-Mitglied entsprechend seines Bruttoinlandsprodukts dazu beitragen solle.
Der Vorschlag bedarf auf alle Fälle einen Konsens, denn alle Nato-Beschlüsse erfordern eine Zustimmung aller 32 Mitgliedsstaaten des Bündnisses. Das Ergebnis muss dementsprechend einstimmig sein.
Außenminister Frankreichs, Deutschland und Polens fordern klare Kante gegen Putin
Die Außenminister von Deutschland, Frankreich und Polen fordern zum Nato-Jubiläum vor allem eins: Klare Kante gegen Putin: Sie wollen die militärischen Fähigkeiten Europas verbessern. Das bedeutet Aufrüstung. „Wir müssen das gesamte industrielle Potenzial unseres Kontinents nutzen, um unsere militärischen Fähigkeiten zu verbessern“, schrieben Annalena Baerbock, Stéphane Séjourné und Radoslaw Sikorski in einem Gastbeitrag am Mittwoch (3. April) auf der Nachrichtenseite Politico. (red mit Agenturen)
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