„Politik nicht basierend auf Fakten“
Offenbarung aus dem Heil-Ministerium: So vielen Empfängern wurde bisher das Bürgergeld gestrichen
Als Antwort auf die Arbeitsverweigerung im Bürgergeld-System hat die Ampel die totale Streichung erlaubt. Wie viele Totalverweigerer hat dies beeinflusst?
Berlin – Das Bürgergeld ist ein Dauerprojekt der Ampel-Koalition. Gerade angesichts der Rezession, durch die sich die deutsche Wirtschaft schleppt und den klammen Kassen im Bundeshaushalt steht die Grundsicherung für Arbeitssuchende im Fokus. Konkret geht es um die Personen, für die „arbeitssuchend“ die falsche Beschreibung ist: die sogenannten Totalverweigerer. Arbeitsminister Hubertus Heil und die Regierung haben im März die Chance geschaffen, den Arbeitsverweigerern das Bürgergeld komplett zu streichen. Nun äußerte sich das Arbeitsministerium erstmals zur Umsetzung dieser Maßnahme.
Wie vielen Totalverweigerern wurde das Bürgergeld bisher gestrichen?
Anlass ist eine Anfrage von Heidi Reichinnek. Die Vorsitzende der Linken-Gruppe im Bundestag wollte von der Regierung wissen, in wie vielen Fällen das Bürgergeld wegen Arbeitsverweigerung komplett gestrichen wurde. Die Antwort: „Statistische Angaben hierzu liegen nicht vor“, erklärte eine Staatssekretärin aus dem Ministerium. Ob auch nur in einem Fall das Bürgergeld um 100 Prozent gekürzt wurde, sei offiziell nicht bekannt, berichtete die Welt, der die Antwort vorliegt.
„Die Ampel macht Politik nicht basierend auf Fakten, sondern richtet ihr Fähnchen nach dem Wind“, erklärte Reichinnek laut Welt. Offenbar bestehe kein Interesse an der statistischen Erhebung der neuen Sanktionspraxis. „Gerade werden in der Gesellschaft Bürgergeld-Empfänger als Sündenböcke hingestellt“, sagte die Abgeordnete. Sie hoffe nun, dass das Bundesverfassungsgericht die Sanktionspraxis wieder einkassiere.
Seit Ende März können Jobcenter Totalsanktionen gegen Bürgergeld-Bezieher verhängen. Das ist möglich, wenn die Betroffenen innerhalb von zwölf Monaten zwei als zumutbar eingestufte Jobs oder Ausbildungen ablehnen oder zuvor ein Arbeitsverhältnis grundlos kündigen. Bereits kurz nach Einführung gab es Zweifel daran, ob die Bürgergeld-Streichungen in der Praxis häufig zum Einsatz kommen.
Kleiner Bruchteil der Bürgergeld-Bezieher verweigert Arbeit – kaum Sanktionen die Folge
Allgemein verweigern ohnehin nur sehr wenige Bürgergeld-Bezieher Arbeit. Laut der Bundesagentur für Arbeit gab es im gesamten Jahr 2023 knapp 14.000 Fälle, die deshalb sanktioniert wurden. Neuere Zahlen aus dem Februar ergeben 1740 vermeintliche Totalverweigerer, die sanktioniert wurden. Gemessen an der Gesamtzahl von Bürgergeld-Empfängern von 5,5 Millionen ist das ein verschwindend geringer Anteil. Das gilt auch, wenn nur die 1,6 Millionen Menschen berücksichtigt werden, die dem Arbeitsmarkt tatsächlich zur Verfügung stehen.
Das findet sich auch in der Statistik zu Sanktionen. Von 171.476 Leistungsminderungen waren 80 Prozent wegen Meldeversäumnissen, also etwa verpassten Terminen im Jobcenter, ausgesprochen worden.
Bürgergeld im Schnitt um 62 Euro gekürzt: Totalsanktionen laut Statistik nicht ausgewiesen
Im Februar gab es jedoch die Totalsanktionen noch nicht. Aber auch dann ist unklar, wie viele davon damit bestraft würden. Laut Welt-Bericht lag die durchschnittliche Leistungsminderung bei 62 Euro pro Monat. Das Bürgergeld werde damit am häufigsten zwischen zehn und 20 Prozent gekürzt. Wie oft zu 100 Prozent gekürzt wurde, könne „die Statistik nicht separat ausweisen“.
Trotz der Datenlücke hätten die Bürgergeld-Streichungen eine „erwartete präventive Wirkung“, erklärte das Bundesarbeitsministerium der Welt. Bereits die Möglichkeit einer Sanktionierung zeige Wirkung und wirke sich positiv auf das „Arbeitssuch- und -bereitschaftsverhalten“ aus.
Ab 2025 müssen Arbeitsverweigerer sofort mit Bürgergeld-Kürzung rechnen
Neben der kompletten Streichung der Grundsicherung hat das Bundeskabinett Anfang Oktober strengere Bürgergeld Regeln und damit härtere Sanktionen beschlossen, die ab dem 1. Januar 2025 gelten sollen. Wer dann eine Arbeit, Ausbildung oder Maßnahme ohne triftigen Grund ablehnt, muss schon beim ersten Mal für eine Kürzung von 30 Prozent für drei Monate rechnen. Bisher gab es dabei eine Staffelung – die Sanktionen wurden also mit jeder Pflichtverletzung härter. Die Verschärfung ist umstritten: Mit der Bürgergeld-Verschärfung verschiebe sich das „Sozialrecht zum Strafrecht“, lautete eine Kritik.
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