Neue Studie entlarvt hohe Preise
„Vom Regen in die Traufe“: Verbraucher werden bei der Fernwärme immer noch abgezockt
Die Fernwärme soll eigentlich eine wichtige Rolle in der Energiewende spielen. Doch die Preise sind immer noch intransparent und nicht nachvollziehbar.
Berlin – Die Fernwärme soll eigentlich eine Schlüsselrolle in der Energiewende spielen. Warum, leuchtet schnell ein: Es gibt viele Industrieprozesse, bei denen unvermeidbare Abwärme entsteht, die sehr gut umleitbar und fürs Heizen geeignet wäre. Es gibt auch Orte in Deutschland, die von Erdwärme profitieren können, auch das ist ein Beispiel, wie sinnvoll Fernwärme eingesetzt werden kann. Kurzum: es ist ein Hebel, der noch zu wenig in Deutschland genutzt wird und riesige Mengen CO₂-armer Wärmeenergie zur Verfügung stellen könnte.
Doch die Fernwärme hat ein großes Problem, für das es politische Lösungen braucht. Denn wer sich heute an ein Fernwärmenetz anschließend lässt, weiß sehr wenig bis gar nichts darüber, was er bezahlen wird. Und wofür genau. Was das Problem verschärft: Wer einmal angeschlossen ist, kann nicht so einfach wieder weg – und den Anbieter kann man sowieso nicht wechseln.
Bundeskartellamt untersucht Fernwärme-Anbieter wegen Marktmissbrauch
Dieses Konstrukt nennt sich „natürliches Monopol“. Damit ist gemeint: Es gibt innerhalb einer Postleitzahl, wenn überhaupt, dann nur einen einzigen Anbietenden für Fernwärme. Mehrere Netze zu bauen, wäre auch völlig unrealistisch und unwirtschaftlich. Doch das natürliche Monopol führt selbstverständlich dazu, dass es keinen Wettbewerb gibt, die Kunden und Kundinnen können bei einer Erhöhung der Preise nicht zu einem günstigen Anbieter wechseln. Sie sind, so beschreiben es Verbraucherschützende, „gefangene Kunden“.
Das Bundeskartellamt hat also eigentlich die Aufgabe, diese Marktsituation regelmäßig zu überprüfen. Im November hat die Behörde auch Verfahren gegen sechs Stadtwerke und Fernwärmeversorger eröffnet, wegen des Verdachts auf missbräuchlicher Preiserhöhungen. Sie hegt den Verdacht, dass Fernwärmeanbieter regelmäßig ihre Kosten von der eigentlichen Preisentwicklung des jeweiligen Energieträgers abkoppelt. Also zum Beispiel: Ein Anbieter, der die Wärme von einer Müllverbrennungsanlage bezieht, verlangt Preise, als ob er Erdgas verwendet. Das hat in den vergangenen zwei Jahren zu massiven Preisverzerrungen geführt, Kunden wurden mit enormen Rechnungen konfrontiert. Wie genau diese Rechnung zustande kommt, ist den Kunden aber meistens nicht klar. Sie haben aber keine Wahl, und müssen zahlen.
Verbraucherzentrale stellt fest: Fernwärme immer noch intransparent und teuer
Diese Situation ruft Verbraucherschützer schon länger auf den Plan. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat Anfang 2023 damit begonnen, die Fernwärmepreise in ganz Deutschland genauer unter die Lupe zu nehmen, um die Missstände offenzulegen. Sie untersucht dabei quartalsweise die Preisdaten in 31 Fernwärmenetzen in ganz Deutschland. Und auch für das erste Quartal 2024 stellt der vzbv fest: Die Preise sind regional extrem unterschiedlich – was überhaupt nicht nachvollziehbar ist. So stieg der effektive Preis pro Kilowattstunde für einen Haushalt in einem typischen Mehrfamilienhaus im untersuchten Fernwärmenetz in Leipzig von 17 Cent im vierten Quartal 2023 auf 20 Cent im ersten Quartal 2024. Beim untersuchten Netz in Stuttgart hingegen fiel der effektive Preis pro Kilowattstunde während des gleichen Zeitraums von 22 auf 17 Cent.
„Für Verbraucher und Verbraucherinnen ist die Preisgestaltung im Fernwärmemarkt eine Blackbox. Verbraucher und Verbraucherinnen erwarten faire Preise, und sie müssen Preisänderungen nachvollziehen können. Das muss die Bundesregierung sicherstellen und endlich eine verbraucherfreundliche Novellierung der Fernwärme-Verordnung angehen“, sagt Ramona Pop, Vorständin des vzbv.
Ampel denkt über neues Fernwärme-Gesetz nach
Die Ampel-Koalition denkt auch darüber nach, politische Maßnahmen zu ergreifen. Offen ist im Moment nur, was genau man tun kann. Der Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW), der Verband kommunaler Unternehmen (VkU) und die Arbeitsgemeinschaft Fernwärme (AGFW) hatten Anfang des Jahres bereits angekündigt, eine Transparenzplattform einführen zu wollen, damit Verbraucher ihre Preise vergleichen können.
Nach Ansicht von Daniel Föst, bau- und wohnungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, ist das auch der erste richtige Ansatz. „Mit einer Transparenzplattform sollten wir ansetzen. Auch in Schweden, wo die Fernwärme einen hohen Marktanteil hat, funktioniert der Mechanismus der Preistransparenz sehr gut“, sagt er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. „Um die neuen Herausforderungen zu adressieren, wird es im 3. Quartal einen weiteren Fernwärmegipfel der Bundesregierung geben. Wir müssen auf alle Fälle verhindern, dass Verbraucher ungewollt vom Regen in die Traufe kommen, wenn sie im guten Glauben auf Fernwärme setzen.“ Föst betont aber auch, dass er das Kartellamt und die Bundesnetzagentur hier in der Pflicht sieht.
Dem Energierechtsexperten Werner Dorß zufolge fehlt dem Bundeskartellamt dafür jedoch das Personal. Im Interview mit der WirtschaftsWoche wies er kürzlich darauf hin, dass es einen Grund gebe, weshalb der Fernwärmemarkt so schlecht reguliert ist. Immer wenn der Bund versucht habe, etwas anzupassen, sei der Vorstoß im Bundesrat gekippt worden. Denn viele Fernwärmebetreiber sind Stadtwerke, also in kommunaler Hand. Und die brauchen das Geld. „Ohne die Gewinne aus der Fernwärme müssten die Gemeinden an anderer Stelle einsparen. Der Fernwärmekunde bezahlt quasi den defizitären öffentlichen Nahverkehr, das teure neue Schwimmbad oder die Eissporthalle“, sagt Dorß.
Verbraucherzentrale reicht Sammelklage gegen Fernwärme-Anbieter ein
Bis sich die Politik also durchgerungen hat, an der Situation etwas zu ändern, wird es noch dauern. Der vzbv will sich das nicht mehr tatenlos anschauen und hat Sammelklagen gegen die beiden Fernwärmeanbieter EON und HanseWerk Natur eingereicht. Betroffene Verbraucher und Verbraucherinnen können sich für diese noch anmelden. „Der Fernwärmemarkt in Deutschland muss endlich verbraucherfreundlicher werden“, sagt Ramona Pop.
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