Gastbeitrag Ludovic Subran
Finanzielle Bildung zahlt sich aus – für alle
Die finanzielle Bildung ist in weiten Teilen der Bevölkerung rudimentär. Viele Menschen wissen nicht, wie Inflation zu Vermögensverlusten führen kann oder wie Rendite und Risiko zusammenhängen. Dabei kann schon grundlegendes Wissen in Finanzfragen auf lange Sicht zu spürbaren Vermögensunterschieden führen, schreibt der Chefvolkswirt der Allianz Gruppe, Ludovic Subran, im Gastbeitrag.
Um die finanzielle Bildung in Deutschland ist es nicht gut bestellt. Das ist das Ergebnis unserer jüngsten Befragung. Nur 16 Prozent der Befragten konnten dabei mindestens sieben von neun (relativ einfachen Fragen) rund um die Themen Zinsen, Inflation und Risiko richtig beantworten; 28 Prozent der Befragten schafften gar nur höchstens zwei Fragen. Es ist dabei nur ein schwacher Trost, dass die Ergebnisse in den anderen Ländern der Untersuchung ebenso schlecht ausfielen. In den USA beispielsweise wiesen etwa ein Drittel der Befragten eine nur sehr geringe bis nicht vorhandene finanzielle Bildung auf; in Frankreich schafften nur 10 Prozent die höchste Stufe (Schaubild 1).
Finanzielle Bildung in Deutschland: Frauen kennen sich besser aus als Männer
Spannender jedoch als diese – leider zu erwartenden – Ergebnisse sind die Unterschiede zwischen den Geschlechtern und Generationen. In allen untersuchten Ländern bleiben die Frauen deutlich hinter den Männern zurück: Ihr Anteil an den Befragten mit nur sehr geringer Finanzbildung liegt um bis zu 20 Prozentpunkte höher; bei denjenigen mit hoher Finanzbildung dagegen um etwa 10 Prozentpunkte niedriger. Es gibt nur eine Ausnahme: Deutschland. Bei uns weisen die Frauen im Durchschnitt eine deutlich höhere Finanzbildung als die Männer auf. Eine mögliche Erklärung liegt in der hohen Teilzeitquote der beschäftigten Frauen in Deutschland, die dazu führt, dass nach wie vor das Gros der häuslichen Arbeiten von den Frauen erledigt wird – dies scheint sich auch auf die finanziellen Entscheidungen im Haushalt zu erstrecken: Mit 58 Prozent ist der Anteil der deutschen Frauen, die angaben, alleiniger Finanz-Entscheider im Haushalt zu sein, mit Abstand am höchsten. Hausarbeit ist nicht mehr nur Putzen und Bügeln, sondern umfasst offenbar auch viele finanzielle Entscheidungen, von der Planung der nächsten Reise bis hin zum Wechsel der Autoversicherung. Und wer Verantwortung übernehmen muss, stärkt sein Selbstbewusstsein und lernt dazu.
Stimme der Ökonomen
Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?
In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.
Vertrauen in die eigenen Entscheidungen
Damit ist ein wichtiger Punkt angesprochen, das allgemeine Niveau der finanziellen Bildung zu verbessern: Vertrauen in die eigenen Entscheidungen. Denn finanzielle Bildung ist nicht allein und nicht vornehmlich ein Problem des Rechnens. Die „emotionale“ Seite, die Überwindung der Furcht vor finanzielle Entscheidungen aus Unsicherheit, ist ebenso wichtig. Es ist bezeichnend, dass – mit Ausnahme Deutschlands – in allen anderen Ländern weibliche Teilnehmer deutlich häufiger die Antwortoption „Ich weiß nicht“ wählten als männliche; dies kann als ein Ausdruck fehlender Überzeugung in die eigenen Fähigkeiten interpretiert werden.
In diese Richtung weisen auch die Unterschiede in der finanziellen Bildung nach Alter. Während sich unter den Befragten der GenZ 40 Prozent mit nur geringer Finanzbildung finden, sind es in der Generation der Boomer „nur“ 16 Prozent. Dagegen verfügen immerhin 21 Prozent der letztgenannten über eine hohe Finanzbildung, aber nur 6 Prozent unter den Jüngsten. Die Gründe liegen auf der Hand. Wobei es dann auch wiederum erschreckend ist, dass nach einem Leben voll von täglichen Finanzentscheidungen nur etwa ein Fünftel der älteren Generation über eine hohe Finanzbildung verfügt. Es zeigt, dass dieses Thema keineswegs ein „Selbstläufer“ ist, das sich mit den Jahren, durch die wachsende Erfahrung im Umgang mit Geld, quasi von selbst löst. Aktive Interventionen sind vielmehr das Gebot der Stunde. Denn es steht viel auf dem Spiel.
Geldanlage: Rendite steigt mit Finanzbildung
Die Ergebnisse unserer Umfrage, in der wir die Teilnehmer auch nach ihrer Einschätzung verschiedener Anlageklassen im aktuellen Anlageumfeld fragten, ermöglichten es uns, ein idealtypisches Portfolio in Abhängigkeit vom Grad der Finanzbildung zu konstruieren. Auffällig ist dabei, dass die Teilnehmer mit geringer Finanzbildung am häufigsten Bargeld als Anlage wählten; noch größer ist nur die Gruppe der Unentschlossenen unter ihnen, die ihr Geld letztlich unangetastet auf dem Bankkonto belassen. Im Ergebnis ist das Portfolio dieser Gruppe sehr „Cash-lastig“. Für diese drei Portfolien wurde dann die tatsächliche Finanzmarktentwicklung der letzten 20 Jahre simuliert. Das Ergebnis: die Rendite steigt mit der Finanzbildung. Dies gilt für alle untersuchten Länder (Schaubild 2). Dies ist keineswegs selbstverständlich. Denn der betrachtete Zeitraum umfasst auch die Jahre 2008 und 2022, in denen Aktienanleger (2008) und Anleiheinvestoren (2022) stark an Boden verloren. Für die „Profis“ waren dies katastrophale Jahre; die Standardoption „Cash“ erwies sich in diesen Jahren als die weitaus bessere Alternative.
Über die lange Frist schneidet dennoch das Portfolio „Niedrige Finanzbildung“ deutlich schlechter ab als die beiden anderen. Für Deutschland beispielsweise lag die Renditedifferenz zwischen niedriger und durchschnittlicher Finanzbildung bei 1,3 Prozentpunkten pro Jahr. Bezogen auf das Geldvermögen des durchschnittlichen deutschen Haushalts ergibt sich eine jährliche Renditedifferenz in Höhe von etwa EUR 2,300. Über lange Anlagezeiträume ein kleines Vermögen.
Aber finanzielle Bildung macht sich nicht nur für den einzelnen bezahlt, es ist nicht allein eine Frage des persönlichen Wohlergehens. Ohne ein breites Verständnis in der Gesellschaft über die Zusammenhänge von Rendite und Risiko, die Wirkungen des Zinseszins und den schleichenden Vermögensverlust durch Inflation wird es kaum möglich sein, Mehrheiten für eine vernünftige kapitalgedeckte Altersvorsorge zu organisieren. Damit fehlt auch das Kapital, das für die grüne Transformation, für Investitionen in neue Technologien und Unternehmen, so dringend benötigt wird. Finanzielle Bildung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die über die Zukunftsfähigkeit einer Gesellschaft (mit)entscheidet.
Zum Autor: Ludovic Subran ist Chef-Volkswirt der Allianz SE und von Allianz Trade/Euler Hermes. Vor seinem Eintritt in die Allianz Gruppe arbeitete er für renommierte Institutionen wie das französische Finanzministerium, die Vereinten Nationen und die Weltbank. Er unterrichtet außerdem Wirtschaftswissenschaften an der HEC Business School.

