Gastbeitrag Prof. Friedrich Heinemann
Eigene Steuern für die Bundesländer: Ein Mittel gegen die Wünsch-dir-was-Mentalität
Vor den Landtagswahlen in Deutschland überbieten sich die Parteien regelmäßig mit immer neuen Ausgaben-Versprechen. Doch welchen Mehrwert diese Ideen wirklich liefern könnten, wird kaum je ernsthaft diskutiert. Dabei geht es auch anders, wie ein Blick in die Schweiz zeigt. Dort werden Vorschläge für staatliche Mehrausgaben stets minutiös und eingehend auf ihren möglichen Nutzen abgeklopft. Das funktioniert. Bei Infrastruktur, Bildung oder der Qualität des Gesundheitssystems landen die Eidgenossen im internationalen Vergleich mit schöner Regelmäßigkeit in der Spitzengruppe. Woran das liegt, was Deutschland daraus lernen kann, erläutert Prof. Friedrich Heinemann vom ZEW Mannheim im Gastbeitrag.
Wer Landtags-Wahlkämpfe in Deutschland beobachtet, erlebt regelrechte Wettbewerbe des „Wünsch dir was“. Regelmäßig überbieten sich die Parteien mit Ideen zum Geldausgeben. Ob kostenlose Kitas, mehr Polizistinnen, höhere Gehälter für Lehrer, höhere Sozialleistungen, mehr Geld für die Kultur oder Subventionen für die Industrie in der Transformation – überall sind die Wahlprogramme gespickt voll mit teuren Versprechen. Gleichzeitig fragt kaum jemand zurück, was all das eigentlich kostet, ob sich das wirklich lohnt und wer dafür bezahlen soll.
Wir haben uns in Deutschland in allen 16 Ländern derartig an dieses Muster gewöhnt, dass wir es als unabänderlich hinnehmen. Das ist jedoch eine Fehleinschätzung. Der Blick in die Schweiz beweist, dass es so einseitig nicht sein muss. In der Schweiz und ihren Kantonen werden Vorschläge, mehr Geld auszugeben, zwar auch diskutiert. Dennoch gewinnt keine Partei eine Wahl, die nicht sehr genau überlegt, ob neue Programme auch ihr Geld wert sind. Schweizer Wähler fragen sehr viel rascher als hierzulande, was denn dieses oder jenes Projekt kostet.
Stimme der Ökonomen
Klimawandel, Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona-Hilfen und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?
In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.
Der Vorteil der Steuerautonomie
Wie ist dieser Gegensatz zu erklären? Der wichtigste Unterschied ist: Schweizer Kantone haben Steuerautonomie, deutsche Bundesländer nicht. Die Kantone erheben neben anderen Steuern eine eigene Einkommensteuer und finanzieren damit einen guten Teil ihrer Ausgaben. Dabei sind sie frei, welchen Steuersatz und welche Steuerprogression sie wählen. Ganz anders in Deutschland, wo die Länder ihre Haushaltsausgaben überwiegend aus den Gemeinschaftssteuern (Einkommen-, Mehrwert- und Körperschaftsteuer) decken. Dabei besteht keinerlei Eigenständigkeit bei der Wahl des Steuersatzes. Lediglich bei der Grunderwerbsteuer gibt es in Deutschland eine eigene Steuersetzung der Länder, diese trägt aber nur einen sehr kleinen Teil zum Haushalt bei.
Es ist diese eigene Steuersetzung der Kantone, die in der Schweiz das politische Rennen um immer höhere Staatsausgaben verhindert. Die direkte Verbindung zwischen Mehrausgaben und spürbaren Steuererhöhungen vor Ort verändert das Kalkül grundlegend. Weil neue Programme für jeden Steuerzahler mit spürbaren Kosten verbunden sind, wird sofort gefragt: Was ist der Nutzen zusätzlicher Staatsausgaben und stehen Kosten und Nutzen in einem vernünftigen Verhältnis? Nicht nur Wähler schauen mit solchen Anreizen kritischer auf die Ausgabenseite der Landeshaushalte. Auch Landespolitiker fangen endlich an, umfassend Verantwortung für beide Seiten der Budgets zu übernehmen.
Finanzpolitisches Erziehungsprogramm
Ganz offensichtlich fährt die Schweiz nicht schlecht mit diesem finanzpolitischen Erziehungsprogramm, das über die Geldbörse funktioniert. Denn das Land hat eine im internationalen Vergleich geringe Staatsquote, deutlich niedrigere Steuern und dennoch einen sehr leistungsfähigen Staat. Bei der Infrastruktur, im Bildungssystem, im Gesundheitssystem und in der Lebensqualität schneidet die Schweiz regelmäßig exzellent ab. Mit anderen Worten: Öffentliche Mittel werden ganz offensichtlich hochgradig effizient eingesetzt, wenig wirksame Programme erst gar nicht aufgelegt oder rascher wieder beendet. Es spricht somit viel dafür, dass auch Deutschland endlich seinen Ländern eine höhere Steuerautonomie einräumen sollte.
Ein häufiger Einwand ist, dass autonome Steuern zu einem Wettbewerb der Steuersätze nach unten führen könnten. Empirisch ist für Deutschland aber eher das Umgekehrte beobachtbar. Dort wo Kommunen – bei der Gewerbesteuer – oder Länder – bei der Grunderwerbsteuer – Autonomie haben, sind die Steuersätze in den letzten Jahren eher angestiegen. Letztlich kann man diese Entscheidung aber den Wählern überlassen: Wenn sie lieber niedrige Steuern in Kombination mit geringeren öffentlichen Leistungen wollen (oder umgekehrt), dann sollte ein demokratisches Land dies akzeptieren.
Finanzausgleich und Steuerautonomie gehören zusammen
Außerdem verweisen Kritiker auf die Benachteiligung armer oder hoch verschuldeter Bundesländer. Diese könnten durch ihre schlechtere Ausgangsbedingung zu starken Steuererhöhungen gezwungen werden und dann in eine Abwärtsspirale von hohen Abgaben und sinkender Standortattraktivität geraten. Diese Gefahr ist ernst zu nehmen. Die Unterschiede im Pro-Kopf-Einkommen zwischen den 16 Ländern sind immens. Das Problem löst aber der bundesdeutsche Finanzausgleich, der mit seinen Instrumenten die Finanzkraft der Länder weitgehend nivelliert. Der Finanzausgleich stellt die fairen Ausgangsbedingungen her, die für ein System der Steuerautonomie notwendig sind. Ein starker Finanzausgleich und Steuerautonomie gehören somit zusammen. Richtig ist also, dass die Einführung autonomer Ländersteuern nicht dazu führen darf, den Finanzausgleich zu beseitigen.
Welche Steuern wären als autonome Ländersteuern geeignet? Hier sind drei Anforderungen zu beachten: Die Steuer sollte spürbar und einem Bundesland klar zuordenbar sein und sie sollte nicht leicht durch Verlagerung in andere Länder umgehbar sein. Die Mehrwertsteuer erfüllt zwar die Spürbarkeit, weil alle Bürger Mehrwertsteuer zahlen. Sie schneidet aber schlecht bei den anderen beiden Kriterien ab. Schon alleine angesichts der digitalen Handelsmöglichkeiten würden viele Transaktionen sich rasch in die Niedrigsteuer-Bundesländer verlagern. Die Körperschaftsteuer scheidet ebenfalls aus. Sie ist nicht ausreichen spürbar für die Wähler und würde daher kaum Anreize für den verantwortungsvollen Umgang mit Steuermitteln setzen.
Einkommensteuer bietet zentralen Ansatzpunkt
Besser geeignet ist die Einkommensteuer. Viele Menschen zahlen Einkommensteuer und durch die wachsende Steuerpflicht der Rentner sind auch diese zunehmend einbezogen. Menschen sind zwar mobil. Aber wenn die Steuerpflicht an den Wohnort anknüpft, gibt es wenige Probleme. Denn dann zahlen die Bürger dort Steuern, wo sie öffentliche Leistungen in Anspruch nehmen. Insofern stellt die Mobilität bei der Einkommensteuer kein grundlegendes Problem dar.
Diese Überlegungen und die guten Erfahrungen von anderen föderalen Staaten belegen, dass ein Land mit dezentraler Steuerautonomie besser fährt. Eine solche Reform mit einer eigenen Einkommensteuer der Bundesländer wäre daher ein großer Schritt in Richtung eines Systems des „Verantwortungsföderalismus“. In Deutschland streiten Bund und Länder seit langem über notwendige Reformen der Bund-Länder-Finanzbeziehungen. Immer mehr Vertreter von Bund und Ländern fordern eine neue Föderalismusreform. Steuerautonomie für die Länder gehört ganz oben auf die neue Föderalismus-Reformagenda.
Zum Autor: Prof. Dr. Friedrich Heinemann leitet den Forschungsbereich „Unternehmensbesteuerung und Öffentliche Finanzwirtschaft“ am ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung und lehrt Volkswirtschaftslehre an der Universität Heidelberg.