Gastbeitrag Prof. Christoph M. Schmidt
Endlich Prioritäten setzen, auch wenn’s weh tut
Die Ampel-Regierung hat sich im Koalitionsvertrag auf eine Klima-freundliche Transformation der Wirtschaft verständigt. Doch statt dabei auf die Kräfte des Marktes zu setzen, gängelt die Politik Unternehmen und Bürger mit immer neuen und immer Detail-versesseneren Vorgaben, bemängelt der Präsident des RWI, Prof. Christoph M. Schmidt im Gastbeitrag, und fordert eine umfassende Kurskorrektur. Wie Deutschland zu alter Stärke zurückfinden kann, erläutert der frühere Chef der Wirtschaftsweisen im Gastbeitrag.
Die Ampelkoalition hatte sich in ihrem Koalitionsvertrag ursprünglich viel vorgenommen: eine „sozialökologische Transformation“ hin zu einer sozial inklusiven, wirtschaftlich erfolgreichen und zugleich klimaschützenden Zukunft. Es war schon früh erkennbar, dass sie dabei nur recht zögerlich den Kräften des Marktes vertrauen und – im Detail steuernd – tief in das Wirtschaftsgeschehen eingreifen wollte, und dass es daher ohnehin mehr als schwer werden dürfte, dieser großen Ambition gerecht zu werden. Doch nun hat eine – nicht nur geopolitisch – harsche Realität die hochfliegenden Pläne eingeholt. Daher stellt sich jetzt die Gretchenfrage: Soll wirtschaftliche Prosperität nur eine Worthülse bleiben? Wenn nicht, dann sollten jetzt unternehmerische Leistungspotenziale aktiviert werden, nicht zuletzt durch Verzicht auf Detailsteuerung. Diese Priorität erfordert die bewusste Anstrengung der Regierung.
Stimme der Ökonomen
Klimawandel, Lieferengpässe, Corona-Pandemie: Wohl selten zuvor war das Interesse an Wirtschaft so groß wie jetzt. Das gilt für aktuelle Nachrichten, aber auch für ganz grundsätzliche Fragen: Wie passen die milliarden-schweren Corona*-Hilfen* und die Schuldenbremse zusammen? Was können wir gegen die Klimakrise tun, ohne unsere Wettbewerbsfähigkeit aufs Spiel zu setzen? Wie sichern wir unsere Rente? Und wie erwirtschaften wir den Wohlstand von morgen?
In unserer neuen Reihe Stimme der Ökonomen liefern Deutschlands führende Wirtschaftswissenschaftler in Gastbeiträgen Einschätzungen, Einblicke und Studien-Ergebnisse zu den wichtigsten Themen der Wirtschaft – tiefgründig, kompetent und meinungsstark.
Im Jahrzehnt vor der Corona-Pandemie hatte ein lang anhaltender Aufschwung Politik und Gesellschaft eingeschläfert: Der demographische Wandel zeichnete sich zwar bereits ab, dennoch wurden Konsequenzen in der Rentenpolitik weitgehend verweigert. Die wachsenden Abhängigkeiten im Bereich der eigenen Sicherheit von den USA kostete man ebenso aus wie die steigenden Risiken einer Energieversorgung, die auf ein einzelnes Brückennarrativ setzte. Die Frage danach, wie dem Ausstieg aus bisherigen fossilen Energieträgern durch einen Einstieg in gleichsam leistungsfähige nicht-fossile Strukturen begegnet werden könnte, wurde nicht konsequent gestellt. Jetzt hat sich gezeigt, dass Pandemien, Lieferkettenengpässe und die Rückabwicklung der Globalisierung die Schar möglicher Herausforderungen sogar noch erweitern.
Weite Teile der Politik verkennen den Ernst der Lage
Es wird viel Wirtschaftsleistung erfordern, sich aus eigener Kraft gegen all diese Herausforderungen zu wehren. Statt auf politische Vereinbarungen zu verweisen, ist jetzt die Zeit, diese neue Situation zu erkennen. Richten wir den Blick auf die Bedingungen für das Gelingen bevorstehender Bemühungen und stellen wir die entscheidende Frage: Wie könnte der in der mittleren Frist aller Voraussicht nach deutlich schwindenden Wirtschaftsleistung wirksam begegnet werden? Allerdings: Vor der Wahl einer aussichtsreichen Therapie muss zunächst die richtige Diagnose gestellt werden. Daher ist es aktuell umso besorgniserregender, dass weite Teile der Politik die Einschätzung offenbar nicht teilen, dass unser Potenzialwachstum schwächelt.
Steigerung der Standortattraktivität
Wenn man aber diese Einsicht anzunehmen bereit ist, dann drängen sich folgende Lösungen auf: Neben einer gezielten Erweiterung der Fachkräftebasis – also nicht zuletzt mehr statt weniger Arbeitseinsatz – müssten die Investitionen in den Kapitalstock und die Erhöhung der Innovationsleistung attraktiver gestaltet werden. Denn diese Investitionen werden letztlich vor allem von privaten Akteuren zu leisten sein. Um die Attraktivität des Standorts für unternehmerisches Handeln zu steigern, dürfte also ein Schwenk hin zu einer Wirtschaftspolitik erforderlich sein, die – ohne überbordende Nebenbedingungen zu setzen – gute Rahmenbedingungen für unternehmerisches Handeln bietet. Zu den dafür erforderlichen Maßnahmen zählen vor allem die Bereitstellung einer funktionierenden digitalen Verwaltung, das technologieoffene Bemühen um eine Ausweitung des Energieangebots sowie die Sicherstellung diskriminierungsfreien unternehmerischen Wettbewerbs.
Zum Autor: Prof. Dr. Christoph M. Schmidt ist Präsident des RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung und Professor an der Ruhr-Universität Bochum. Von 2009 bis 2020 war er Mitglied des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, von März 2013 bis Februar 2020 dessen Vorsitzender.