„Kritische Entwicklungen“
Bürgergeld-Reform: Was wirklich nötig ist, um Empfänger in Arbeit zu integrieren
Mehr Unterstützung und Anforderungen sind das Versprechen von CDU und SPD in ihrer Bürgergeld-Reform, doch die neue Grundsicherung setzt vor allem auf Härte. Ist das der optimale Weg zur Arbeitsvermittlung?
Berlin – Union und SPD haben erste Details für den Umbau des Bürgergelds zur Grundsicherung festgeschrieben. Das Sondierungspapier spiegelt dabei die politische Diskussion um die Erwerbslosen wider, rückt also härtere Sanktionen für Arbeitsunwillige in den Vordergrund. Entscheidend ist dabei die komplette Streichung der Leistungen bei wiederholt abgelehnten Arbeitsangeboten. Dennoch enthält das Papier auch ein Bekenntnis, die Vermittlung in Arbeit zu stärken.
„Wir werden Vermittlungshürden beseitigen, Mitwirkungspflichten und Sanktionen im Sinne des Prinzips Fördern und Fordern verschärfen“, fassen CDU, CSU und SPD im Sondierungspapier selbst das Ziel der Bürgergeld-Reform zusammen.
Bürgergeld-Reform von CDU und SPD enthält „positive, aber auch kritische Entwicklungen“
In den Ergebnissen finden sich „positive, aber auch kritische Entwicklungen“, urteilt das Bundesnetzwerk für Arbeit und soziale Teilhabe auf IPPEN.MEDIA-Anfrage. Es ist ein Zusammenschluss von Sozialunternehmen, die Angebote zur Aktivierung, Ausbildung, Weiterbildung und Beschäftigung von Arbeitslosen umsetzen.
Kurz vor der Veröffentlichung der ersten Einigung von Union und SPD zur Bürgergeld-Reform hatte das Netzwerk gemeinsam mit dem Evangelischen Fachverband Arbeit und Soziale Integration (EFAS) einen offenen Brief an die neugewählten Bundestagsabgeordneten veröffentlicht und die politische Diskussion kritisiert. Diese konzentriere sich „unverhältnismäßig“auf die „marginale“ kleine Gruppe, die bewusst keine Arbeit aufnehmen wollen. „Fast alle arbeitslosen Menschen wollen arbeiten, finden aber keine passenden Angebote“, hieß es darin. Es brauche mehr „zielgerichtete Arbeitsangebote, damit alle entsprechend ihren Fähigkeiten einen Beitrag zur Gesellschaft leisten können“.
Sozialunternehmen kritisieren Vermittlungsvorrang in der Grundsicherung: „Drehtüreffekt“ droht
Dementsprechend kritisch betrachtet das Bundesnetzwerk für Arbeit und soziale Teilhabe nun die von Union und SPD geplante Wiedereinführung des Vermittlungsvorrangs. Damit ist wieder die möglichst schnelle Rückkehr in Arbeit das Ziel. Sie hat damit wieder gegenüber Qualifizierungsangeboten Priorität, selbst wenn diese eine langfristigere Rückkehr in Arbeit ermöglichen.
„Der Vermittlungsvorrang für Erwerbsfähige führte in der Vergangenheit oft zur Beschäftigung von nur kurzer Dauer, dem klassischen ‚Drehtüreffekt‘“, erklärt das Bündnis. „Die schnellstmögliche Aufnahme einer nicht passenden Beschäftigung, um Sanktionen zu verhindern, führt sehr selten zur dauerhaften Integration, sondern meist kurzfristig zu erneuter Arbeitslosigkeit.“
Netzwerk fordert mehr Geld für Jobcenter von Bürgergeld-Beziehenden – CDU und SPD ziehen nach
Im offenen Brief vom Donnerstag, 6. März, forderte das Bündnis, das Gesamtbudget des SGB II ausreichend auszustatten. Es umfasst neben dem Bürgergeld-Regelsatz auch Geld für die Jobcenter und die Eingliederung in Arbeit. Denn in den vergangenen Jahren musste Geld, das für die Vermittlung der Arbeitslosen gedacht war, in die Verwaltung der Jobcenter umgeschichtet werden. Dadurch könnten schon jetzt viele Jobcenter den Betroffenen keine Angebote mehr machen, so die Warnung.
Union und SPD wollen laut Sondierungspapier hier tatsächlich ansetzen. „Es muss sichergestellt werden, dass die Jobcenter für die Eingliederung ausreichend Mittel zur Verfügung gestellt bekommen“, heißt es darin. „Wir stärken die Vermittlung in Arbeit.“
Eingliederungsmittel „wesentliche Grundlage“ für Ausweg aus dem Bürgergeld
Das Bundesnetzwerk für Arbeit und soziale Teilhabe begrüßt diesen Teil des Plans. Die „Schwerpunktsetzung auf die aktive Arbeitsmarktpolitik ist sehr wichtig, um nicht passiv Arbeitslosigkeit zu finanzieren“, erklärt das Netzwerk nun nach Veröffentlichung der Ergebnisse. Dass die Jobcenter ausreichend Mittel für die Eingliederung bekommen, „ist eine wesentliche Grundlage für wirksame Integrationsarbeit“.
Dazu müssten jedoch auch ausreichend Mittel für die Verwaltungskosten der Jobcenter zur Verfügung gestellt werden. Sonst würden die Jobcenter das Geld für die Eingliederung in Arbeit weiterhin umverteilen. Davor hatte das Netzwerk bereits zuvor während der Haushaltsverhandlungen der damaligen Ampel-Koalition gewarnt – und den Bedarf der Jobcenter auf eine Milliarde Euro geschätzt.
Ebenfalls „zusätzliche finanzielle Mittel“ und die „Abschaffung der Jährlichkeit“ der Finanzierung „zugunsten mehrjähriger, gesicherter Budgets“, brauche es laut den Forderungen des Bündnisses aus Sozialträgern bei den Maßnahmen des Teilhabechancengesetzes. Es müsse „vor faktischem Aussterben“ gerettet werden. Tatsächlich wurde die Unterstützung für Langzeitarbeitslose deutlich zurückgefahren.
Netzwerk fordert Reform von Ein-Euro-Jobs in der Grundsicherung
Eine weitere Forderung betrifft die umgangssprachlichen Ein-Euro-Jobs. Die Arbeitsgelegenheiten müssten „flexibler und praxisnäher“ ausgestaltet werden, um besser Übergänge in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen. Dazu müssten die „restriktiven Kriterien der Zusätzlichkeit und Wettbewerbsneutralität“ abgeschafft werden. Bisher darf nur eine gemeinnützige Tätigkeit übernommen werden, die kein kommerzielles Geschäft ersetzt. Das führe zu „absurden Beschäftigungsprojekten“, die sich negativ auf die Motivation der Teilnehmenden auswirken. Zudem müssten diese Stellen mit Qualifizierungsangeboten verbunden werden können.
Die Ein-Euro-Jobs finden sich zwar nicht im Sondierungspapier. Im Zuge der Debatte um eine Arbeitspflicht für Bürgergeld-Beziehende waren die Arbeitsgelegenheiten jedoch von Unionpolitikern als Mittel vorgeschlagen worden. Zudem hatte bereits die Ampel-Koalition Ein-Euro-Jobs für Menschen eingeführt, die die Teilnahme an Eingliederungsmaßnahmen verweigern oder mehrfach Jobcenter-Termine verpassen.
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