Sozialleistungen
Streit um Bürgergeld: Am Monatsende leerer Geldbeutel oder tausend Euro übrig?
Die Bürgergeld-Erhöhung hat für hitzige Debatten gesorgt. Doch wie geht es den Beziehern von Sozialleistungen selbst? Zwei unterschiedliche Beispiele zeigen: Die Antwort ist nicht einfach.
Berlin – Die mehr als fünf Millionen Bürgergeld-Empfänger sollen zum 1. Januar 2024 im Schnitt rund 12 Prozent mehr Geld bekommen. Das hat das Bundeskabinett im September beschlossen – und eine hitzige Debatte ausgelöst. CDU-Chef Friedrich Merz und die Union hatten die starke Erhöhung kritisiert. So gebe es ein Problem mit dem Lohnabstandsgebot, nach dem die Sozialleistungen spürbar unter den Löhnen liegen sollen, erklärte Merz. Arbeitsanreize sollten nicht verloren gehen, Arbeit solle sich lohnen. Sozialverbände kritisierten dagegen die Erhöhung angesichts der Inflation als nicht ausreichend.
Doch wie geht es den Beziehern und Bezieherinnen von Sozialleistungen selbst? Kommen sie mit den Geldern über die Runden? Zwei Beispiele, die unterschiedlicher nicht sein könnten, zeigen: Die Antwort ist nicht einfach.
Erwerbsminderungsrente und Bürgergeld: Ab dem 20. ein leeres Portemonnaie
Da ist einmal Colin G. aus Bad Bevensen in Niedersachsen. Der 63-Jährige, der auf eine Krücke angewiesen ist, erhält eine Erwerbsunfähigkeitsrente von 598 Euro, dazu 3 Euro und 84 Cent Bürgergeld, wie er der Allgemeinen Zeitung berichtet. Zudem übernimmt das Jobcenter die Miete bis auf einen Eigenanteil von 76 Euro und die Heizkosten. Doch das Geld reicht ihm nicht, so Colin G.: Der frühere Projektassistent berichtet der Zeitung, dass bei ihm schon ab dem 20. des Monats das Portemonnaie leer wäre. Dann lebe er nur von Kaffee.
Das Problem: Die Stromkosten seien auf 116 Euro gestiegen und auch die Nahrungsmittel im Supermarkt seien teurer geworden. Für die Fleischwurst, die früher unter fünf Euro kostete, zahlt er im Supermarkt jetzt acht Euro, rechnet er der Zeitung vor. Auf Zigaretten wolle er nicht verzichten. Und eine finanzielle Kerbe schlagen auch die Taxifahrten zum Supermarkt, da er seine Einkäufe nicht alleine tragen könne.
Ein Problem ist aber auch, dass Hilfestellungen der Kommune nicht anzukommen scheinen, betont die Zeitung. So gebe es einen Bürgerbus, der auch für Gehbehinderte nutzbar sei und in der Nähe seine Wohnung halte. Doch davon wusste der 63-Jährige nichts. Aber auch mithilfe des Bürgerbusses würde es wohl für Colin G. knapp bleiben. Gegenüber der Allgemeinen Zeitung, zeigt sich der Erwerbsminderungsrentner wütend, dass die CDU auf den Abstand zwischen Bürgergeld und kleinen Einkommen pocht. Das sei realitätsfern. 17,3 Millionen Menschen seien von Armut betroffen, sagte Colin G. der Zeitung. „Tendenz steigend. Und jetzt diese unmögliche Bürgergeld-Erhöhung.“
Familie im Bürgergeld-Bezug: Geld sparen mit Budgeting-Methode
Ganz anders als bei Colin G. läuft es dagegen bei der Familie von Angelina aus Recklinghausen in Nordrhein-Westfalen. Sie haben vier Kinder und beziehen Bürgergeld. Die Familie erhält insgesamt 2200 Euro – die sich aus Bürgergeld, Unterhalt, Kindergeld und Elterngeld zusammensetzen. Auch hier übernimmt das Jobcenter zusätzlich Miete und Heizung, wie Angelina gegenüber focus.de berichtet. Anstatt sich finanziell von Monat zu Monat kämpfen, bleibt ihr und ihrer Familie aber sogar monatlich Geld übrig, das sie ansparen können. Angelina nutzt die Video-Plattform TikTok, um zu zeigen, wie sie das bewerkstelligt. Sie nutzt die sogenannte „Umschlagmethode“, um ihr Budget am Anfang des Monats einzuteilen und zu überwachen.
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Für Frühstück, Mittagessen und Abendbrot seien beispielsweise pro Woche 115 Euro vorgesehen – ein Limit, das sie sich gesetzt hat und einhalten möchte. Für alle Produkte, die Angelina als „Luxus“ deklariert, gibt es ein viel strengeres Budget: Zum Beispiel sind für Energy-Drinks nur 20 Euro im Monat einkalkuliert. „Man muss solche Suchtmittel ja nicht im Unverstand konsumieren, kann sie auch definiert genießen“, so die 30-Jährige gegenüber focus.de.
Für Angelina funktioniert die Methode super: „Ich habe anfangs auch nicht schlecht gestaunt, aber von den 2200 Euro, die wir als Familie zur Verfügung haben, können wir tatsächlich jeweils 914 Euro weglegen“, sagte die Bürgergeld-Empfängerin dem Nachrichtenportal. Manchmal sei es sogar mehr: „Im September haben wir einiges über 1000 Euro gespart.“
Ihr Budgeting-Methode legt sie deshalb auch anderen Menschen ans Herz, für die es finanziell eng ist: „Wer keinen Überblick hat, verzettelt sich – und dann passiert es, dass man entweder unangemessen sorglos mit Geld umgeht oder aber, dass man panisch wird“, sagte Angelina zu focus.de. „Bei vielen Betroffenen gehört es fast schon zum guten Ton, zu sagen, dass man als Leistungsbezieher kaum klarkommen kann. Dabei ist vieles Psychologie.“
Im Bürgergeld-Bezug will die Familie aber nicht bleiben. Ihr Partner mache eine vom Jobcenter geförderte Umschulung zum Fachinformatiker. Zudem sollen die Kinder in wenigen Jahren so weit sein, dass sie als gelernte Einzelhandelskauffrau wieder Vollzeit arbeiten könne.