Soziale Gerechtigkeit
Arbeitgeberpräsident Dulger pocht auf Ende der Rente ab 63 – Heil kontert scharf
Die Rente ab 63 birgt weiterhin politischen Zündstoff für die Ampel. Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger fordert erneut ihre Abschaffung – und ein „Stoppschild bei den Sozialausgaben“.
Berlin – Fachkräftemangel, Generationengerechtigkeit oder Frühverrentungswelle – die Sprachbilder, die sich rund um die sogenannte Rente mit 63 entstehen, sind fast so gewaltig wie die Debatten selbst. Und die kreisen nun schon seit mehr als zehn Jahren durch die gesellschaftspolitischen Sphären in Deutschland.
Rente ab 63 spaltet die Lager – BDA-Präsident fordert sofortige Abschaffung des Gesetzes
„Den Menschen soll es besser gehen. Wir wollen mehr Gerechtigkeit“, hatte die damalige Arbeitsministerin in der Großen Koalition, Andrea Nahles, kurz nachdem der Bundestag das Gesetz 2014 verabschiedet hatte, erklärt. Doch längst hat sich dieses Versprechen zu einem Feindbild innerhalb der CDU, arbeitgeberfreundlichen Verbänden und so manchem Ökonomen entwickelt – bis hin zu den aktuellen Wirtschaftsweisen um Veronika Grimm und Martin Werding. Vor wenigen Tagen forderte zum Beispiel Rainer Dulger, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), in der FAZ einmal mehr ein „Stoppschild bei den Sozialausgaben“ – und forderte auch die sofortige Abschaffung der Rente ab 63.
Damit ergänzte er frühere Äußerungen, in denen er das Gesetz als „Braindrain“ bezeichnet hatte. Das Wort ist eine Anspielung auf eben jenen Fachkräftemangel: Die frühere Berentung führe dazu, dass es in den deutschen Industrie-Betrieben vielerorts an qualifizierten Arbeitskräften mangelt – so das Argument von Dulger.
Erwartungen der Merkel-Regierung übertroffen: über zwei Millionen Frührentner seit 2014
Die damalige Große Koalition von Union und SPD unter Kanzlerin Angela Merkel hatte die verfrühte Altersrente für jene Menschen eingeführt, die mindestens 45 Jahre in die Rentenversicherung eingezahlt haben. Alle Geburtenjahrgänge vor 1953 konnten dann abschlagsfrei mit 63 in Rente gehen. Für alle nachfolgenden Generationen erhöht sich das Eintrittsalter stufenweise auf 65 Jahre, ehe für alle Jahrgänge ab 1963 nur noch diese Marke zählt. Die GroKo hatte damals rund 200.000 Anträge jährlich anvisiert – doch diese Zahl wird seitdem jährlich deutlich übertroffen. Zuletzt beantragten 2023 279.134 Neu-Rentner den Schritt in den früheren Ruhestand.
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) konterte Dulgers Aussage gegenüber ntv: „Es gibt die Rente mit 63 nicht mehr. Es gibt flexible Übergänge in den Ruhestand. Richtig ist, dass diejenigen, die 45 Versicherungsjahre voll haben, jetzt mit 64 und demnächst mit 65 in Rente gehen.“ Zudem betonte er, dass es für Menschen, die 45 Versicherungsjahre gearbeitet hätten, möglich sein müsste „auch abschlagsfrei in Rente“ gehen zu können. Dabei sei diese speziell für jene Arbeitnehmer mit körperlich anstrengenden Tätigkeiten, wie etwa Bauarbeiter oder Pflegekräfte. Experten wie Grimm befürworten diese Idee grundsätzlich – sehen jedoch gerade in Bezug auf den Renteneintritt der sogenannten Babyboomer ein drohendes Ungleichgewicht zwischen den Generationen.
Wirtschaftsweise monieren Generationengerechtigkeit – Mehrarbeit und höhere Kosten
Die dadurch steigenden Beiträge belasten in erster Linie die jüngere Generation, die zudem im Vergleich zu ihren Großeltern- und Eltern deutlich länger arbeiten müssten. Gegenüber der Funke Medien Gruppe folgte Grimm auch Dulgers Argument: Die derzeitige Regelung schaffe für viele einen Anreiz, früher in den Ruhestand zu gehen, ob mit oder ohne Abschläge. „Vor allem Gutverdiener machen davon Gebrauch. Das verschärft den Fachkräftemangel“, beklagte Grimm. In der Regierungskoalition bleiben diese Worte vorerst ungehört. Speziell die SPD unter Kanzler Olaf Scholz wird am aktuellen Status quo wenig ändern – das bekräftigte er in der Vergangenheit häufiger.
Und auch die Grünen lehnen eine Überarbeitung der Rente ab 63 strikt ab. „Eine solche Reform würde keineswegs kurzfristig den Haushalt 2025 sanieren, aber stattdessen zu einem massiven Vertrauensverlust führen“, sagte Markus Kurth, Rentenexperte der Grünen-Bundestagsfraktion, der Deutschen Presse-Agentur in Berlin.
Initiative errechnet Einsparungen im einstelligen Milliardenbereich – FDP hält sich noch zurück
Eine Schätzung der arbeitgebernahen Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft e.V. hatte im Mai vorgerechnet, dass der Bund rund 1,7 bis 3 Milliarden Euro sparen könnte, sollte er eine Abschaffung anstreben. So weit wollte die FDP bisher zwar nicht gehen, doch dachte Christian Lindner gegenüber den Funke Medien laut über eine Änderung hin zu einem Anreizmodell nach. „Experten haben beispielsweise vorgeschlagen, gesundheitliche Probleme zur Voraussetzung zu machen. Jedenfalls müssen 22 Prozent Beiträge in den 2030er-Jahren abgewendet werden.“
CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz hatte sich in der Süddeutschen Zeitung zuletzt für eine Abkehr von der Rente mit 63 eingesetzt – und wie Grimm generell einen an die Lebenszeit angepassten Renteneintritt gefordert: „Sonst ist unser Rentensystem perspektivisch nicht mehr finanzierbar.“ Und auch in ihrem Grundsatzprogramm hat sich die CDU strikt für ein höheres Renteneintrittsalter ausgesprochen – ohne Ausnahmen.
DIW-Experten fordern: Anreize schaffen – sonst droht eine Lücke am Arbeitsmarkt
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) fordert hingegen einen anderen Ansatz: Statt radikal zu kürzen, solle die Politik Anreize schaffen, damit die Gruppe der 55- bis 70-Jährigen sich bewusst dazu entscheide, länger zu arbeiten. Steuerliche Vorteile, flexiblere Arbeitszeitmodelle oder Boni für einen späteren Renteneintritt seien hier etwa denkbar. Ansonsten, so das DIW weiter, drohten rund 1,5 Millionen Erwerbstätige vom Arbeitsmarkt zu fallen.
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