Olympiasieger im WM-Interview
Biathlon: „Sie ist mit sich im Reinen“ - Peiffer über Preuß, Schießprobleme und die Boe-Brüder
Vor der Biathlon-WM 2025 spricht Arnd Peiffer im Interview über Franziska Preuß, die Probleme der deutschen Herren und teilt besondere Erfahrungen mit Tarjei und Johannes Thingnes Boe.
Lenzerheide - Arnd Peiffer hat den deutschen Biathlon über viele Jahre geprägt. Der Olympiasieger und mehrfache Weltmeister ist seit seinem Rücktritt 2021 als Biathlon-Experte im Ersten tätig und arbeitet hauptberuflich in der Sportkoordination bei der Bundespolizei in Bad Endorf.
Vor der Biathlon-WM 2025 in der Lenzerheide spricht der 37-Jährige im Interview mit chiemgau24.de über die Medaillenchancen des deutschen Teams, die Entwicklung von Franziska Preuß und die Probleme der deutschen Herren am Schießstand. Zudem erzählt er von Anekdoten über die Boe-Brüder und nennt seine Favoriten für die WM.
Biathlon-WM 2025: Arnd Peiffer über die deutschen Medaillenchancen und die DSV-Herren
Herr Peiffer, mit welcher Erwartungshaltung können die deutschen Biathlon-Fans in die WM gehen?
Arnd Peiffer: Die Ausgangslage ist anhand des bisherigen Saisonverlaufs recht klar. Bei den Damen sind Franziska Preuß und Selina Grotian Mitfavoritinnen. Auch die Damen-Staffel zählt zu den Anwärtern auf eine Medaille. Die Herren gehören hingegen nicht zum Favoritenkreis. Die individuelle Klasse haben sie, die aktuellen Ergebnisse geben es aber nicht her. Am ehesten sehe ich noch eine Medaillenoption in der Staffel.
Bleiben wir bei den Herren. Liegt in der niedrigen Erwartungshaltung vielleicht auch eine Chance?
Peiffer: Sie haben nichts zu verlieren. Es gibt bei der WM keine Weltcuppunkte, man kann sich voll auf das jeweilige Rennen fokussieren. Klar ist aber auch, dass alles passen muss, um in diesem hochkarätigen Feld eine Medaille zu holen. Dafür müssten in erster Linie die Leistungen am Schießstand deutlich stabiler werden.
Wie kann es denn sein, dass die gesamte Herren-Mannschaft mit Problemen am Schießstand zu kämpfen hat?
Peiffer: Das ist in dieser Konstellation schon ungewöhnlich. In erster Linie hängt das meiner Meinung nach mit Selbstvertrauen zusammen. Wenn das einmal weg ist, kann eine gewisse Eigendynamik entstehen. Man setzt sich selbst immer weiter unter Druck und will bessere Schießergebnisse erzwingen. Das führt dann oft ins Gegenteil – gerade bei den Heimweltcups, die hinter uns liegen.
Was meinen Sie damit genau?
Peiffer: Das zweite Trimester ist für die deutschen Athleten besonders anspruchsvoll. Heimweltcups sind ein Highlight, aber bringen auch besondere Herausforderungen mit sich. Man ist mit Aufgaben konfrontiert, die man an anderen Standorten nicht hat. Das mediale Interesse ist größer, man nimmt Sponsorentermine wahr, oft sind Familie und Freunde vor Ort, für die man sich auch noch Zeit nehmen will. Um nicht falsch verstanden zu werden: Heimweltcups sind etwas ganz Besonderes und ein echtes Privileg. Sie können beflügeln, aber in einer schwierigen Phase auch zur Belastung werden.
Fehlt der Mannschaft aktuell ein Typ wie Benedikt Doll?
Peiffer: Natürlich war Benni ein wichtiger Faktor. Er hat die Dinge klar angesprochen und immer nach Lösungen gesucht. Das können die aktuellen Athleten aber auch. Es mangelt nicht an starken Charakteren. Vielmehr fehlt Benni in der derzeitigen Lage aufgrund seiner Leistungsstärke. Ein Benedikt Doll in Topform hat die entsprechenden Ergebnisse erzielt und so den Druck aus der Mannschaft genommen.
In der vergangenen Saison waren die deutschen Herren beim Weltcup in der Lenzerheide sehr stark. Der Standort müsste ihnen also liegen . . .
Peiffer: Es hat dort im letzten Jahr alles gepasst. Das Material war gut, mit der Höhe sind sie gut klargekommen und auch das nötige Selbstbewusstsein war vorhanden. Darin liegt im Hinblick auf die WM schon eine Chance. Wenn man mit positiven Erinnerungen anreist, kann das für entsprechende Lockerheit sorgen und das Selbstvertrauen stärken. Eine Garantie für gute Ergebnisse sind positive Erinnerungen ans Vorjahr aber natürlich nicht.
Biathlon: Peiffer über Franziska Preuß - „Da ist jemand mit sich im Reinen“
Gehen wir zu den Damen. Wie bewerten Sie die bisherige Saison von Franziska Preuß?
Peiffer: Ich freue mich sehr über die Entwicklung von Franzi. Meiner Meinung nach ist ein zentraler Faktor, dass sie die nötige Gelassenheit entwickelt hat. Nach Olympia ist Schluss, sie ist auf der Zielgeraden ihrer Karriere. Bei manchen mag so eine Entscheidung den Druck erhöhen. Bei ihr scheint genau das Gegenteil der Fall zu sein. Ich habe mich mit ihr vor dem Saisonstart in Kontiolahti unterhalten und gemerkt: Da ist jemand mit sich im Reinen. Sie ist in eine Art Genussphase eingetreten, setzt die richtigen Prioritäten und kann sich voll und ganz auf das letzte Kapitel fokussieren. Das erinnert mich an mein Karriereende. Auch ich hatte die Entscheidung für mich recht früh getroffen und bin dann befreiter aufgetreten.
Was sind ihre weiteren Erfolgsfaktoren?
Peiffer: Die sportlichen Qualitäten hatte sie auch schon in den vergangenen Jahren. In Kombination mit der angesprochenen Gelassenheit ist auch eine gesundheitliche Stabilität eingetreten, die in der Vergangenheit das zentrale Problem war. Hier hat sie gezielt angesetzt. Die OP im Frühjahr hat offenbar geholfen und sie ordnet in Sachen Prophylaxe alles dem Erfolg unter. Sie handelt selbst und ist nicht mehr Passagier von äußeren Einflüssen. Ein weiterer Faktor ist ihr Partner Simon Schempp. Simon hat in seiner Karriere alles erlebt, ist somit ein guter Ansprechpartner und zeigt ihr auch Perspektiven für die Zeit nach der Karriere auf.
Schauen wir auf die internationale Konkurrenz und fangen mit den Damen an. Wer sind die Hauptkonkurrentinnen von Preuß und Grotian?
Peiffer: Das französische Team ist extrem stark, da kann man eigentlich jede nennen. Die Öberg-Schwestern Elvira und Hanna muss man ebenfalls auf dem Zettel haben. Auch Dorothea Wierer wird wieder stärker, kennt Großereignisse gut und ist mit der Höhenlage vertraut. Und natürlich kann es bei einer WM immer Überraschungen geben.
Ist der Männer-Biathlon im Umbruch?
Peiffer: Die bisherigen Ergebnisse deuten darauf hin. Auch wenn es sich zur WM wieder ändern könnte, war Johannes Thingnes Boe in dieser Saison läuferisch nicht so dominant, wie wir es in den letzten Jahren gesehen haben. Gerade bei den Norwegern ist viel Bewegung zu erkennen. Durch die angekündigten Rücktritte der Boe-Brüder wird schon jetzt eine besondere Dynamik in dieser so starken Mannschaft entstehen. Dann sind natürlich die Franzosen zu nennen, die ebenfalls im Kollektiv sehr stark sind und über hohe individuelle Klasse verfügen. Bei den Schweden Sebastian Samuelsson und Martin Ponsiluoma läuft es noch nicht ideal, man muss sie bei Großereignissen aber immer auf der Rechnung haben. Und der Italiener Tommaso Giacomel ist plötzlich auch Siegläufer. In Summe ist diese vielseitige Entwicklung gut für den Sport.
Biathlon-WM: Peiffer mit Anekdoten über die Boe-Brüder - „Das große Bild im Blick“
Sie haben die Boe-Brüder angesprochen – Was wird dem Biathlon fehlen?
Peiffer: Johannes und Tarjei haben auf und neben der Strecke neue Maßstäbe gesetzt. Fangen wir mit Johannes an. Er hat die These widerlegt, dass man nur zu den besten Biathleten der Geschichte gehören kann, wenn man zu sich und den Gegnern gnadenlos ist. Ich habe den direkten Vergleich mit Ole Einar Björndalen und Martin Fourcade. Da konnte es auf der Strecke schon richtig ungemütlich werden. Und wenn man Ole oder Martin besiegt hatte, hat man das nach den Rennen oft auch zu spüren bekommen. Bei Johannes war das ganz anders. Er war so gut, dass er diese Spielchen nicht nötig hatte. Auf der Strecke war er immer fair und wenn man besser war, hat er das anerkannt und glaubwürdig gratuliert.
Und Tarjei Boe?
Peiffer: Bei Tarjei muss ich immer an eine Begegnung in Oberhof denken. Wir steckten als deutsches Team in einer schwierigen Phase. Ich schaffte es endlich mal wieder aufs Podium. Tarjei kam im Anschluss an das Rennen zu mir und sagte, dass er froh ist, dass ein Deutscher auf dem Podest steht. „Schau dir die ganzen Sponsoren an, Arnd. Deutschland ist so wichtig für Biathlon, deswegen freue ich mich“. Das hat mich beeindruckt. Tarjei, und auch Johannes, haben schon früh das große Bild im Blick gehabt. Viele Athleten, so war es auch bei mir, sind in ihrer aktiven Zeit meist mit sich selbst beschäftigt und entwickeln den größeren Blick erst nach der Karriere.
Was macht den WM-Standort Lenzerheide aus?
Peiffer: Ich bin dort nie einen Weltcup gelaufen, kenne den Ort aber vom Sommertraining. Ein wichtiger Faktor ist die Höhenlage. Damit kommt nicht jeder Athlet zurecht. Die Strecke ist von längeren und ziehenden Anstiegen geprägt. Das ist ideal für Athleten, die eine hohe maximale Sauerstoffaufnahme haben – wie beispielsweise Johannes Thingnes Boe. (Quelle: chiemgau24.de, truf)

