Kommentar von Redakteur Heinz Seutter
„Overtourism“: Haben Barcelona und die Bayerischen Alpen bald dasselbe Problem?
Nein, so einen Touristenansturm und die einhergehenden Probleme wie beispielsweise in Barcelona haben wir in der Region noch nicht. Werden wir auch wahrscheinlich nicht haben. Aber im Grundsatz sind leider vergleichbare Entwicklungen erkennbar, findet Redakteur Heinz Seutter.
Barcelona/Landkreis Berchtesgadener Land - „Video! Jetzt!“, ruft die junge Frau auf einmal. Mit entsprechenden Handbewegungen weist sie ihren Begleiter an, alles für eine Aufzeichnung bereit zu machen. Die beiden sind sichtlich ein Influencer-Duo. Wir stehen inmitten des „Rambla“ der großen Straße an der Meeresküste in Barcelona, wo gerade umfangreiche Baumaßnahmen stattfinden. Entsprechend ist überall der Boden aufgerissen, grobschlächtige Absperrungen begrenzen die Baustelle. Im Hintergrund der Stelle, an der die Dame Aufstellung nimmt, läuft gerade ein Polizeieinsatz. Zwei Beamte haben es mit einem Betrunkenen zu tun, an sich nichts besonderes. „Oh mein Goooooott Leute! Barcelona, da sagen ja alle so: So schön! Aber ...“, und sie macht eine ausladende Handbewegung, „Das ist hier WIE IM GHETTO! Oh mein Gott! Alles kaputt! Polizei im Einsatz. Also ich muss sagen ...“
Das ist jetzt eine der kurioseren Episoden, die ich vor kurzem während eines ausführlichen Urlaubs in Barcelona erlebt habe. Eine wunderschöne Stadt, deren Besuch ich jedem nur empfehlen kann. Nur ich persönlich werde dort, wenn die Dinge bleiben, wie sie aktuell sind, nicht unbedingt noch einmal hinreisen. Das eine Mal war voller wunderbarer Erlebnisse. Diese wurden jedoch durch das Verhalten mancher anderer Urlauber und die Tatsache, dass die Stadt in mancher Hinsicht durch die schiere Menge an Touristinnen und Touristen überlastet ist, immer wieder getrübt. Versteht mich bitte nicht falsch: Wenn sich mal jemand auf kuriose Weise daneben benimmt, dann kann ich durchaus auch darüber schmunzeln. Aber wie bei so vielen Dingen im Leben, macht es halt die Menge am Ende aus. Jemand klettert auf ein Denkmal, um darauf ein Erinnerungsfoto zu machen? Das mag, je nach Ansicht, ärgerlich oder jugendlicher Leichtsinn den jeder mal gemacht hat, sein. Aber wenn die Leute teilweise dafür anstehen, weil jeder dieses Motiv haben will, verliert das, meiner Ansicht nach, jeden Charme.
„overtourism“: Haben Barcelona und die Bayerischen Alpen bald dasselbe Problem?
„Ich habe ja selbst schon davon gehört, aber es sind schon wirklich eine Menge anderer Leute, die sich hier teilweise unglaublich respektlos und dumm anstellen?“, fragte ich, offenbar sichtlich entgeistert, eines Abends den Spät-Rezeptionisten in meinem Hotel. So kamen wir in ein ausführliches Gespräch, in dem wir anfingen, allerhand selbst beobachtete oder gehörte Geschichten auszutauschen. Ziemlich schnell wurde mir dann klar: Bei uns in der Region kommen wir nicht auf eine derartige Frequenz wie in der katalanischen Metropole aber sind inzwischen schon gut dabei. Ob Leute, die sich im Naturschutzgebiet daneben benehmen. Oder für eine Fotogelegenheit alles niedertrampeln, um sich dann in einem potenziell gefährlichen natürlichen Becken über einem Wasserfall abzulichten. Wiederum andere, die sich heillos darin verschätzen, mit welcher Ausrüstung man auf den Berg geht beziehungsweise welche Herausforderungen so eine Tour rein körperlich an einen stellt.
Übrigens auch hinsichtlich der Erwartungen, mit denen manche Leute daher kommen. Bei uns sind das dann Menschen, die hierher ziehen oder eine Ferienwohnung kaufen und dann gegen den Brotgeruch einer Bäckerei oder das Leuten von Kuhglocken vor Gericht ziehen. „Ich bestell ein Essen, dann redet der Kellner erstmal auf spanisch mit seinem Kollegen. Wie soll ich da wissen, was die jetzt über mich sagen?“, klagte wiederum mir gegenüber ein Herr in Barcelona. „Boah lass Mäcces (McDonalds) gehen, endlich nicht mehr dauernd das spanische Zeug hier“, vernahm ich wiederum eine Dame an anderer Stelle. „Ist ja schön hier, aber muss das dauernd so warm sein?“, beschwerte sich ein Landsmann lautstark am Strand der Stadt. „Die kriegen hier nix gebacken, alles zahlen wir ihnen und dann dauernd Kontrolle und was weiß ich“, verlor wiederum eine ältere deutsche Touristin bei der Sicherheitskontrolle am Flughafen ihre Fassung. Sie polterte schließlich derart über ihre Ansichten zur Kompetenz spanischer Sicherheitskräfte, dass es für sie erstmal in eine Sonderkontrolle weiter ging.
Tourismusphobie in Barcelona, Mahnungen vor „overtourism“-Panikmache bei uns
„Man sollte sie alle zum Teufel jagen, am besten die Grenzen dichtmachen! Die Engländer und die Deutschen sind die schlimmsten, die machen uns das Leben zur Hölle hier“, schimpfte wiederum eine ältere Dame in Barcelona im Gespräch mit Kollegen der Deutschen Presseagentur (dpa) vor kurzem. Nicht alle äußerten ihren Zorn so drastisch - aber in diesem Sommer sei es schwer, in Barcelona einen Einheimischen zu finden, der den stetig wachsenden Tourismus nicht satt habe, so die Nachrichtenagentur in ihrem Bericht weiter. Das Wort „Turismofobia“ (Tourismusphobie) mache in Spanien - dem beliebtesten ausländischen Reiseziel der Deutschen - immer mehr die Runde. „Solche Städte sind nichts anderes als ein Freilichtmuseum“, warnte bereits vor einigen Jahren Vladimir Preveden, auf der Tourismusmesse CMT, „Denn die Bewohner verlassen zunehmend die Stadt, die Innenstädte verwaisen, die Bausubstanz leidet.“
„Den Begriff ‚overtourism‘ würde ich am liebsten aus dem Sprachgebrauch verbannen! Sowas hat es vielleicht beispielsweise am Markusplatz in Venedig aber bei uns kann man allenfalls von punktuellen Überhitzungen sprechen. Wir müssen aufpassen, dass die Akzeptanz für Tourismus nicht durch solche Rhetorik zerstört wird“, mahnte Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands DEHOGA Bayern sowie CSU-Bezirksvorsitzender bei einer Podiumsdiskussion über den Tourismus im ländlichen Raum Ende des vergangenen Jahres, „Dabei ist jede touristische Struktur auch Infrastruktur für die Bürger. In meiner Heimatstadt erlebe ich es leider selbst, dass beispielsweise unser Bürgermeister weiter hinter dem Gastgewerbe steht, ihm aber eine immer kritischere Haltung aus dem Stadtrat entgegenschlägt.“
Noch bei weitem keine Zustände wie in Barcelona bei uns, aber ...
Und ich würde ihm auch erstmal zustimmen: Natürlich haben wir rein mengenmäßig noch keine Zustände, wie sie in Tourismus-Metropolen andernorts herrschen. „Das Schlagwort ‚overtourism‘ kam schon vor Corona auf. Während den Hochzeiten der Pandemie, als Urlaub auf einmal nur noch an Nahzielen möglich war, wurde es manchen Gemeinden teilweise zu viel“, räumte auf der selben Veranstaltung dann allerdings auch Ulrike Wolf, Ministerialdirektorin des Bayerischen Wirtschaftsministeriums ein. „Zumal die Besucherströme einerseits Belastungen wie Parkplatzprobleme mit sich brachten, gleichzeitig auch angesichts der geschlossenen Gastronomie die Gemeinden nichts davon hatten. Aus einer Arbeitsgruppe dazu, die übrigens bis heute noch regen Zuspruch fand, entstand dann der Ausflugsticker.“
In Maßnahmen wie dem genannten Ticker dürfte dann auch die Lösung für das Problem der Lenkung von Besucherströmen liegen. Langfristig sind hier die Kommunal- und Landespolitik gefordert. So haben wir noch die Chance, in dieser Hinsicht langfristig verträgliche Lösungen zu finden. Aber dann ist da noch eine andere Sache, die ich mit der eingangs geschilderten Episode illustrieren wollte: Das scheinbar immer mehr Leute im Urlaub automatisch davon ausgehen das alles ein All-Inclusive-Disneyland ist. Es würde mich daher nicht mal überraschen wenn die Dame ihren Blick auf Barcelona durchaus, zumindest teilweise, ernst meinte. Aber so etwas führt dann halt auch zu Leuten, die mit Flipflops auf den Berg steigen oder in einem Naturwasserbecken potenziell Leib und Leben für ein Foto vor dem beliebten Motiv riskieren. In letzterem Fall nahmen dann übrigens Menschen aus der Region die Sache mit in die Hand und sind teils bis heute unermüdlich dabei, unter solchen Aufnahmen kritisch zu kommentieren und die Leute zur Vernunft aufzurufen.
Verfasst von Heinz Seutter (heinz.seutter@ovb24.de)
Dieser Kommentar muss nicht die Ansicht der gesamten Redaktion widerspiegeln.
hs