Vertreter aus Bad Aibling und Berchtesgaden bei Diskussion zu Tourismus im ländlichen Raum
„Den Begriff ‚overtourism‘ würde ich am liebsten aus dem Sprachgebrauch verbannen!“
Am Donnerstag lud die Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft in München zu einer Podiumsdiskussion über den Tourismus im ländlichen Raum. Mit dabei waren auch Vertreter aus Politik und Gastgewerbe aus Bad Aibling und Berchtesgaden.
Bad Aibling/Berchtesgaden/München - „Den Begriff ‚overtourism‘ würde ich am liebsten aus dem Sprachgebrauch verbannen! Sowas hat es vielleicht beispielsweise am Markusplatz in Venedig aber bei uns kann man allenfalls von punktuellen Überhitzungen sprechen. Wir müssen aufpassen, dass die Akzeptanz für Tourismus nicht durch solche Rhetorik zerstört wird“, mahnte Thomas Geppert, Landesgeschäftsführer des Hotel- und Gaststättenverbands DEHOGA Bayern sowie CSU-Bezirksvorsitzender, „Dabei ist jede touristische Struktur auch Infrastruktur für die Bürger. In meiner Heimatstadt erlebe ich es leider selbst, dass beispielsweise unser Bürgermeister weiter hinter dem Gastgewerbe steht, ihm aber eine immer kritischere Haltung aus dem Stadtrat entgegenschlägt.“
„Die finanziellen Spielräume vieler Kommunen werden schlicht inzwischen immer kleiner, so wird es auch in Bad Aibling sein“, entgegnete Markus Reichardt, Bezirksvorsitzender für Schwaben des Bayerischen Gemeindetags und Bürgermeister von Heimenkirch (Bündnis 90/Die Grünen) dem. „Jeder hat dringende Aufgaben zu erledigen und die Wirtschafts- und Tourismusförderung sind nun mal freiwillige Leistungen. Wir müssen jetzt nachhaltige Konzepte entwickeln, denn beispielsweise die Energiepreise werden auch nicht so bald wieder sinken. Ich vermute, dass sie etwa bald für fünf touristisch wichtige Gemeinden nur noch zwei statt fünf Freibäder haben werden. Diese dann aber betrieben mit Strom aus nachhaltigen Quellen und statt Parkplatzanlagen braucht es dann einen ausgebauten öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV). So begegnet man dann auch gleich dem Problem des übermäßigen Tourismus.“
Vertreter aus Bad Aibling und Berchtesgaden bei Diskussion zu Tourismus im ländlichen Raum
„Während Corona haben bei uns viele Einwohner festgestellt, wie es ausschaut, wenn die Touristen fehlen“, berichtete Franz Rasp, Erster Bürgermeister von Berchtesgaden (CSU), „Plötzlich waren die Fußgängerzonen teils wie ausgestorben. Und man muss sich klarmachen: Ohne die zusätzliche Kundschaft aus Touristen würde sich unser vielfältiges Einzelhandelsangebot im Ort nicht halten können.“ Allerdings habe es auch bereits Maßnahmen zur Besucherlenkung gegeben, von denen auch Einheimische profitiert hätten. „Beispielsweise, dass am Kehlstein die Besucherzahl reduziert wurde. Klar bedeutete das auch höhere Fahrpreise, aber auch die Menschen von hier konnten dann ein ruhigeres Besuchserlebnis genießen.“
„Das Schlagwort ‚overtourism‘ kam schon vor Corona auf. Während den Hochzeiten der Pandemie, als Urlaub auf einmal nur noch an Nahzielen möglich war, wurde es manchen Gemeinden teilweise zu viel“, berichtete Ulrike Wolf, Ministerialdirektorin des Bayerischen Wirtschaftsministeriums. „Zumal die Besucherströme einerseits Belastungen wie Parkplatzprobleme mit sich brachten, gleichzeitig auch angesichts der geschlossenen Gastronomie die Gemeinden nichts davon hatten. Aus einer Arbeitsgruppe dazu, die übrigens bis heute noch regen Zuspruch fand, entstand dann der Ausflugsticker.“ Was als Projekt der Tourismusverbände des Berchtesgadener Lands, des Chiemgaus, der Zugspitzregion, der Alpenregion Tegernsee-Schliersee und der Inn-Salzach-Region begann, wurde Anfang 2021 vom Wirtschaftsministerium zum bayernweiten Ausflugsticker ausgebaut. Es ruhten Hoffnungen darauf, er könne beim zuvor nicht unerheblichen Problem von zu viel Besucheransturm an einzelnen Orten helfen. Schon in einer ersten Bilanz am Ende des Jahres zeigten sich alle Beteiligten gegenüber unserer Redaktion damit zufrieden.
Wichtiges Thema der Diskussion war auch der Fachkräftemangel der Branche. Es herrschte Einigkeit darüber, dass dieser nur durch Zuwanderung in den Griff zu bekommen sei. „Aber auch da zeigt sich halt: Es hängt alles miteinander zusammen“, mahnte Berchtesgadens Bürgermeister Rasp, „Es braucht dann auch bezahlbaren Wohnraum sowohl für Einheimische wie auch die Mitarbeiter dieser Betriebe.“ Seine Gemeinde sei sehr bemüht, bei der Behandlung etwa der Baugenehmigung von touristischen Betrieben auch ausdrücklich die Frage des Wohnraums dafür zu berücksichtigen. „Vor zehn, zwölf Jahren waren Vermieter bei uns noch froh, wenn sie Interessenten fanden. Inzwischen ist bezahlbarer Wohnraum der auch Zugang zu ÖPNV, Einzelhandel und so weiter in guter Weise bietet knapp geworden.“
Beispielhaft wurden die Mitarbeiterwohnungen des Kempinski Hotels Berchtesgaden durch Manager Werner Müller präsentiert. „Beim Bau hatten wir das damals nicht berücksichtigt und standen auf einmal vor der Aufgabe, unseren Mitarbeitern bei der Wohnungssuche helfen zu müssen. Wir haben uns dann umfangreich informiert und nun ein Mitarbeiterhaus geschaffen, das weit weg ist von ‚man stellt ein paar Ikea-Möbel in eine Wohnung und gut ist‘.“ Vielmehr biete das Haus nun neben angenehmen Wohnungen auch Freizeitangebote direkt vor Ort an. „Man muss da heutzutage mehr bieten.“ Es entstünden nebenher auch Infrastrukturangebote, von denen auch die Einheimischen profitierten. „Unsere Arbeitsplätze werden natürlich auch attraktiver, wenn wir uns mit dafür einsetzen, dass es vor Ort ÖPNV-Angebote gibt, so dass unsere Mitarbeiter kein Auto unterhalten müssen und schnelles Internet, das ja inzwischen für die Freizeitgestaltung und das soziale Leben wichtig geworden ist, vorhanden ist.“
hs

