Einsatz gegen Kinderarmut
Warum der Arche-Chef keine Erhöhung des Bürgergelds will und was er stattdessen fordert
Bernd Siggelkow hält die Debatte rund um Bürgergeld für nicht zielführend. Eine einfache Erhöhung sei nicht der Weg. Er fordert konkrete Schritte.
Berlin – 61 Euro mehr für Erwachsene, 51 Euro für Jugendliche: Im Januar 2024 steht die Erhöhung des Bürgergeldes an. Mehr Ausgaben für den Staat, die den Haushalt belasten, der durch das Urteil zur Schuldenbremse ohnehin schon belastet ist. Die Regierung muss sparen. Politiker aus Union und FDP haben deshalb die Erhöhung in Frage gestellt, mit der die Ampel-Koalition im Jahr nach Einführung des Bürgergelds die Sozialleistung an die Inflation anpassen wollte.
Bernd Siggelkow, Gründer und Vorstand der Arche, einer Stiftung, die sich in zahlreichen Städten um armutsbetroffene Kinder kümmert und ihnen etwa ein kostenloses Essen und Betreuung bietet, hält von der Debatte wenig. „Die Gesellschaft muss heute investieren und kann dann über die Zukunft reden“, sagt der Arche-Gründer. „Und das passiert eben nicht, indem man sagt: Bürgergeld-Erhöhung, ja oder nein, Kindergrundsicherung zwei oder zwölf Milliarden. Da sitzen Leute, die einfach nur Unsinn reden“, sagt Siggelkow. Beim Kompromiss von 2,4 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung würde so gut wie nichts bei den Kindern ankommen.
Wie die Arche die Symptome von Kinderarmut gekämpft
Siggelkow und die Arche fordern, direkt bei den Kindern anzusetzen und diese zu stärken. In der Praxis machen sie das in zahlreichen deutschen Städten – darunter die erste Arche in Berlin-Hellersdorf. Die Arche bietet den Kindern und Jugendlichen dort ein kostenloses Mittagessen, Betreuung bei den Hausaufgaben, kreative Kurse und längere Projekte. Dadurch wollen die Mitarbeitenden die Kinder stärken und ihnen einen Weg aus der Armut bieten.
Ortsbesuch in Berlin-Hellersdorf: Betreuer Florian Egert ist mittendrin im Alltag der Arche. Um ihn herum ist Action. Im Spielzimmer spielen zehn Kinder im Grundschulalter. „Zieh bitte deine Socken an“, sagt Egert. Er ist seit zwölf Jahren bei der Arche, seit sieben leitet er die Kinderstation. „Flo, wo sind meine Socken?“, fragt der Junge – und überlässt ihm die Suche.
Damit ist das Gespräch über die Folgen von Inflation und Debatten rund um die Kindergrundsicherung mit dem Reporter erstmal beendet. Es ist nicht die letzte Unterbrechung. Egert steht als Betreuer im Spielzimmer. Sein Blick richtet sich auf einen hölzernen Spielturm mit einer Rutsche. Oben springen zwei Mädchen immer wieder auf den Boden. Sie machen damit gewaltigen Lärm. „Hört doch bitte auf, so einen Lärm zu machen“, sagt Egert. Sein Ton ist freundlich, aber bestimmt.
In einer Höhle unter der Rutsche, die mit einem schwarzen, weitmaschigen Netz vom Rest des Raumes abgegrenzt ist, spielen ein paar Jungs. Dort gibt es Ärger. Ein Mädchen sagt, einer der Jungs habe ihr den Mittelfinger gezeigt. Egert schreitet ein.
Diese Szenen könnten sich an jedem Ort in Deutschland abspielen. Doch Arche-Gründer Bernd Siggelkow erklärt, welchen entscheidenden Unterschied es bei diesen Kindern gibt. „Im Grunde haben die Kinder massive Probleme. Sie sind eigentlich keine Kinder mehr, weil sie sich viel zu früh mit den anderen Dingen auseinandersetzen müssen, die eigentlich von ihnen ferngehalten werden müssen.“
Statt immer mehr Bürgergeld: Arche-Mitarbeiter wollen direkt in Kinder investieren
Die Arche fängt diese Probleme auf. Sie hilft den Kindern und entlastet damit – zum Teil – überforderte Eltern. Arche-Gründer Bernd Siggelkow, Betreuer Florian Egert und seine Kolleginnen und Kollegen müssen dabei ganz genau zuhören. Etwa, wenn die Kinder und Jugendlichen andeuten, dass zu Hause der Kühlschrank leer ist.
Dann hilft die Arche mit Lebensmitteltüten im Wert von etwa 60 Euro, die die Familien einmal im Monat bekommen, aus. Der Wert dieser Tüte, die zwischen Hunger und vollem Magen entscheidet, entspricht der Erhöhung des Bürgergeldes im Januar. Die soll die Inflation ausgleichen, um das Existenzminimum zu sichern. Was im nur sieben Kilometer entfernten Bundestag abstrakt diskutiert wird, ob die Erhöhung kommen soll und wie viel Geld angemessen ist oder zugunsten der Schuldenbremse gespart werden soll, wird bei der Arche in Hellersdorf und andernorts konkret. 61 Euro sind dann eben eine Tüte mit Lebensmitteln, die den Hunger stillt.
Trotzdem: Auch Arche-Betreuer Florian Egert fordert beim Thema Bürgergeld nicht einfach mehr Geld. „Ich glaube, dass es gut ist, wenn es einen Anreiz zur Arbeit gibt“, sagt er. Und er fordert, dass das Geld bei den Kindern ankommt. Die Erhöhung im Januar hält er zwar als Inflationsausgleich für richtig. Beim Einsatz gegen Armut in den Familien setzt er aber so wie Siggelkow einen anderen Fokus.
Wo Arche-Gründer Bernd Siggelkow zusätzlich zum Bürgergeld ansetzen will, um Kinderarmut zu bekämpfen
Die Kritik vom Arche-Gründer: Das Bürgergeld und die geplante Kindergrundsicherung würden nicht bei den Kindern landen, sondern bei den Familien. „Nun geben die Familien das Geld nicht falsch aus oder versaufen es. Wir wissen von vielen Eltern, die alles für ihre Kinder tun und verzichten. Aber wenn der Kühlschrank kaputtgeht, muss er repariert werden.“ Dazu würde dann auch das Geld der Kinder eingesetzt. „Es kommt dem Kind ja auch zugute, aber damit hat das Kind noch keine Nachhilfe.“
Siggelkow schlägt deshalb eine „Chancen-App“ vor. Diese habe das Ziel, dass die Kinder gefördert werden. Mit dieser App könnten die Kinder zur Nachhilfe gehen und damit sachbezogen bezahlen. Neben Zahlungen für Bildungsangebote sollen so auch Vereinsmitgliedschaften, Freizeitangebote und – je nach Budget – auch Urlaube bezahlt werden können. „Kinderarmut bedeutet Chancenungleichheit und Teilhabeungleichheit“, erklärt Siggelkow.
Wolfgang Büscher, Pressesprecher der Arche, führt die Idee weiter aus. Neben der App sollen pro Kind außerdem 300 Euro im Monat an Schulen fließen, um die Ausstattung zu verbessern. Der Arche schweben dabei mehr Lehrerinnen und Lehrer, Erzieherinnen und Erzieher und Psychologinnen und Psychologen vor. Zudem wollen die Arche-Mitarbeiter „Brennpunktschulen“ abbauen und die Kinder besser verteilen.
Arche-Gründer Siggelkow sieht Politik und Wirtschaft in der Pflicht, gute Jobs zu schaffen
Der Arche-Gründer will aber auch bei den Eltern ansetzen. Dazu müssten gute Jobs geschaffen werden. Auch außerhalb des Niedriglohnsektors, denn viele Eltern der Arche-Kinder seien Aufstocker, seien also vom Bürgergeld abhängig, weil der Lohn nicht reiche. Noch dazu müssten die Arbeitsplätze für Alleinerziehende – besonders für Mütter – zugänglich sein. „Warum schaffen es die Kinder nicht? Weil ihre Eltern keine Perspektive haben.“ „Familien sind die Säule der Gesellschaft. Wenn ich für die Eltern keine Arbeitsplätze schaffe, reiße ich die Säule weg.“ (Max Schäfer)
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