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Bange Stunden in Südkorea

Politisches Chaos nach Ausrufung des Kriegsrechts: Wohin steuert Südkorea?

Südkoreas Präsident Yoon hat das Kriegsrecht ausgerufen. Und jetzt? Das Land steht vor unsicheren Zeiten. Freuen dürfte das nur einen.

Es war schon spät am Dienstagabend, als Südkoreas Präsident Yoon Suk-yeol das Kriegsrecht ausrief. Ab 23 Uhr Ortszeit seien alle politischen Aktivitäten verboten, die Medien des Landes würden unter Kontrolle des Kriegsrechtskommandos gestellt, Streiks untersagt, erklärte in Seoul ein Armeegeneral. Kurz zuvor hatte sich Yoon in einer überraschenden Fernsehansprache an die Menschen gewandt. Der Schritt sei notwendig, so Yoon, um das Land „vor der Gefahr durch nordkoreanische kommunistische Kräfte“ zu beschützen.

Viele Südkoreaner dürften schon geschlafen haben während dieser entscheidenden Momente für ihr Land. Wenn sie in wenigen Stunden am Mittwochmorgen aufwachen, wird ihr Land ein anderes sein. Die Jungen, die nichts anderes kennen als die Demokratie, werden sich ungläubig die Augen reiben: Kriegsrecht, in Südkorea? Und die Alten werden sich an Ereignisse erinnert fühlen, die nur wenige Jahrzehnten zurückliegen: an die bleiernen und bisweilen blutigen Jahre der Diktatur, an den Staatsstreich vom 17. Mai 1980 und das Massaker von Gwangju am Tag darauf, als das Militär Dutzende friedliche Demonstranten niederschoss; an die Demokratisierung des Landes sieben Jahre später.

Kriegsrecht in Südkorea: Yoon hat der Demokratie im Land massiven Schaden zugefügt

Immerhin: Es blieb friedlich in Seoul und anderswo im Land. Hunderte, wahrscheinlich Tausende gingen auf die Straßen. Von Verletzten oder gar Toten aber gab es keine Berichte.

Noch ist unklar, wie es weitergeht in Südkorea. In der Nacht kamen im Parlament in Seoul 190 der 300 Abgeordneten zusammen, gegen teils massiven Widerstand des Militärs, das das Gebäude abzuriegeln versuchte. Einstimmig votierten die Parlamentarier für die Aufhebung des Kriegsrechts, ein Votum, an das Präsident Yoon gebunden ist. Der war zunächst abgetaucht, erklärte einige Stunden später dann, dem Votum Folge leisten zu wollen.

Auch wenn Yoon das Kriegsrecht in den nächsten Stunden tatsächlich aufheben sollte: Der Demokratie in Südkorea hat er einen Schaden zugefügt, der so schnell nicht wieder zu beheben ist. Jahrzehnte der Demokratisierung lassen sich so leicht zwar nicht zunichtemachen, bis aber das Vertrauen in die politischen Institutionen des Landes zurückkehrt, dürfte es lange dauern. Zumal Südkorea ein zutiefst gespaltenes Land ist.

Soldaten versuchen am Dienstagabend, das Parlament in Seoul zu stürmen.

Kriegsrecht: Südkorea ist ein gespaltenes Land

Mit weniger als einem Prozentpunkt Vorsprung wurde Yoon vor gut zweieinhalb Jahren ins Amt gewählt; seitdem hat die politische Spaltung im Land nur noch weiter zugenommen. Bei Parlamentswahlen im April erlitt Yoons People Power Party eine empfindliche Niederlage, einer Umfrage von vergangener Woche zufolge lag die Zustimmung für den Präsidenten bei nur noch 25 Prozent. Dass Südkorea heute derart polarisiert ist, hat auch Yoon selbst zu verantworten. Anstatt auf seine Kritiker zuzugehen, drohte er ihnen mit juristischer Verfolgung. Mehrfach kam es seit Yoons Wahl zu Angriffen auf Politiker beider Lager, im Januar wurde Oppositionsführer Lee Jae-myung bei einem Besuch in der Hafenstadt Busan niedergestochen und dabei schwer verletzt.

Was Yoon nun zu seinem Schritt, der auch für enge Verbündete wie US-Präsident Joe Biden überraschend kam, bewogen hat, darüber kann derzeit nur spekuliert werden. Mit der Ausrufung des Kriegsrechts wolle er „die verachtenswerten pro-nordkoreanischen, staatsfeindlichen Kräfte auszurotten, die die Freiheit und das Glück unseres Volkes ausplündern, und die freiheitliche Verfassungsordnung zu schützen“, hatte Yoon in seiner Fernsehansprache gesagt. Was genau er damit meint, sagte er nicht.

Nordkorea – Kim Jong-uns abgeschottete Diktatur

Menschen an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea
Nordkorea ist das wohl geheimnisvollste Land der Erde: eine totalitäre Diktatur, in der der Einzelne nichts zählt, ohne Freiheiten und Menschenrechte, abgeschottet vom Rest der Welt. Schätzungsweise 26 Millionen Menschen leben in dem Land, das im Norden an China und Russland grenzt und im Süden an das freiheitliche, demokratische Südkorea. Nordkoreas Grenzen sind für die meisten Menschen unüberwindbar – kaum einer kommt rein, noch weniger Menschen kommen raus.  © Ed Jones/afp
Die Skyline von Pjöngjang
Hauptstadt sowie kulturelles und wirtschaftliches Zentrum des Landes ist Pjöngjang. Rund drei Millionen Menschen leben in der nordkoreanischen Metropole, die so anders ist als die anderen Mega-Städte Asiens. Pjöngjang ist grau, geprägt von Hochhäusern, gesichtslosen Wohnblöcken und gigantischen Monumenten, die der herrschenden Kim-Familie huldigen sollen. Wer in der Hauptstadt leben darf, ist privilegiert: Hier ist die Stromversorgung besser als auf dem Land, die Regale der Geschäfte sind voller, es gibt Freizeitparks, Kinos, Theater. © Olaf Schuelke/Imago
Kim Jong-un auf einem Pferd
Beherrscht wird Nordkorea seit 2011 von Kim Jong-un, einem Diktator, der skrupellos vor allem ein Ziel verfolgt: den eigenen Machterhalt und den seiner Sippe. Nordkorea ist das einzige kommunistische Land der Welt mit einer Erb-Monarchie, in der die politische Macht vom Vater auf den Sohn übergeht. Die sogenannte „Paektu-Blutlinie“ kontrolliert das Land seit dessen Gründung im Jahr 1948. Die Macht der Kims ist unanfechtbar, Aufstände gab es nie, dafür sorgt die lückenlose Überwachung und Kontrolle der gesamten Gesellschaft. © KCNA via KNS/afp
Sowjetische Soldaten in Pjöngjang
Korea war über Jahrhunderte ein geeintes Land. Die Geschichte der Teilung beginnt erst im 20. Jahrhundert: Von 1910 bis 1945 ist Korea eine japanische Kolonie, nach der Niederlage der Japaner besetzen sowjetische Truppen den Norden des Landes, der Süden wird von amerikanischen Truppen besetzt. Weil Verhandlungen über eine Vereinigung der beiden Landesteile scheitern, gründen sich 1948 auf der koreanischen Halbinsel zwei Staaten. © Jacob Gudkov/Imago
Szene des Koreakriegs
Zwei Jahre später dann die Tragödie: Der Korea-Krieg bricht aus. Kim Il-sung, Machthaber im Norden, schickt seine Truppen in den Südteil des Landes, um Korea mit Gewalt zu vereinen. Wenige Wochen später greifen die UN-Truppen unter Führung der USA den Norden an, stoßen bis an die chinesische Grenze vor. Das beunruhigt Peking – das nun auf der Seite von Nordkorea in den Krieg eingreift. 1953 wird ein Waffenstillstand verhandelt, das Land bleibt entlang des 38. Breitengrades geteilt. Ein Friedensvertrag wurde bis heute nicht unterzeichnet. © Imago
Familie Kim
Kim Il-sung, der Gründer und erste Präsident Nordkoreas, ist ein Machthaber von Stalins Gnaden. Geboren 1912, ist er als junger Mann im Widerstand gegen die japanische Besatzungsmacht aktiv. 1940 geht er ins Exil in die Sowjetunion, wo er schließlich zum späteren Machthaber Nordkoreas aufgebaut wird. Ab 1948 etabliert Kim einen auf ihn zugeschnittenen Personenkult. Mit brutalen Säuberungsaktionen entledigt er sich seiner Gegner. Politisch pendelt sein Land zwischen China und der Sowjetunion, vor allem, nachdem sich die beiden kommunistischen Führungsmächte ab Ende der 50er-Jahre zunehmend voneinander entfremden. © Imago
Kim Il-sung und Kim Jong-il
Schon in den 1970ern beginnt Kim Il-sung, seinen Sohn Jong-il zu seinem Nachfolger aufzubauen. Als er 1994 stirbt, übergibt er Kim Jong-il ein verarmtes Land. Mit dem Untergang der Sowjetunion wenige Jahre zuvor hat Nordkorea seinen wichtigsten und engsten Partner verloren, es stürzt in eine wirtschaftliche Krise, auf die eine fatale Hungersnot folgt. Hunderttausende Menschen verhungern. Unter Kim Jong-il, der 1941 oder 1942 geboren wurde, verschlechtern sich die Beziehungen zwischen Nordkorea und dem Rest der Welt, das Land schottet sich immer mehr ab. Vor allem die USA sowie Südkorea – das sich seit den 80ern zur Demokratie gewandelt hat – werden zu Feindbildern. © KCNA via KNS/afp
Fernsehbilder vom ersten nordkoreanischen Atomtest 2006
Unter Kim Jong-il beginnt die beispiellose Aufrüstung des bettelarmen Landes. Wichtigstes Ziel Kims ist es, Nordkorea zur Atommacht zu machen. 2006 gelingt ihm das, Nordkorea testet erstmals eine Atombombe. Die Welt ist geschockt, die Vereinten Nationen erlassen Strafmaßnahmen, denen insgesamt neun weitere Sanktionsrunden folgen. Heute ist Nordkorea eine Atommacht, die wohl Dutzende Sprengkörper besitzt. © Jung Yeon-Je/afp
Kim Jong-un beobachtet einen Raketentest
Zudem testet das Land regelmäßig ballistische Raketen, auf denen die nuklearen Sprengköpfe montiert werden können. So kann das Regime mit seinen Atomwaffen sogar die USA erreichen – zumindest in der Theorie, denn noch ist unklar, wie leistungsfähig die Raketen tatsächlich sind. © KCNA via KNS/afp
Donald Trump und Kim Jong-un an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea
Kim Jong-il stirbt 2011. Ihm folgt einer seiner Söhne nach: Kim Jong-un. Der treibt das Raketen- und Nuklearprogramm seines Vaters weiter voran. Als Hauptfeinde hat er Südkorea und die USA ausgemacht, die sein Regime regelmäßig mit drastischen Beleidigungen überzieht. Unter US-Präsident Donald Trump sieht es für einen kurzen Moment so aus, als könnten sich die Spannungen zwischen Nordkorea und dem Westen abkühlen – dreimal treffen sich Kim und Trump, auch Südkoreas damaliger Präsident kommt mit Kim zu einem Gipfeltreffen zusammen. © Brendan Smialowski/afp
Passanten in Pjöngjang währen der Corona-Pandemie
Doch die diplomatischen Initiativen scheitern 2019. Ein Jahr später sucht die Corona-Pandemie die Welt heim. Auch Nordkorea schließt seine Grenzen – und schottet sich gegen das Virus so hermetisch ab wie kein anderer Staat weltweit. Trotzdem meldet das Regime im Mai 2022 erste Corona-Fälle. Auch nach dem Ende der Pandemie bleibt Nordkorea ein international isoliertes Land. © Imago
Putin und Kim in Russland
Enge Beziehungen unterhält das Regime in Pjöngjang heute vor allem zu seinen beiden nördlichen Nachbarn China und Russland. Zu Wladimir Putin pflegt Kim ein besonders gutes Verhältnis, denn Russlands Präsident benötigt Nordkoreas Unterstützung für seinen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine – als Lieferant von Waffen und Munition. Im Herbst 2023 treffen Putin und Kim in Russlands Fernem Osten zusammen, es ist Kims erste Auslandsreise seit der Pandemie. © KCNA via KNS/afp
Kim Jong-un und seine Tochter Ju-ae
Kim Jong-un wurde 1982, 1983 oder 1984 geboren, hat also möglicherweise noch viele Jahre vor sich. Nordkoreas Diktator ist allerdings bei schlechter Gesundheit. Er gilt als Kettenraucher und Alkoholiker und ist sichtbar übergewichtig. Was, wenn er stirbt? Experten glauben, dass Kim seine Tochter Ju-ae zu seiner Nachfolgerin aufbauen will. Seit November 2022 zeigen Staatsmedien das Mädchen, das wohl 2012 oder 2013 zur Welt gekommen ist, regelmäßig an der Seite ihres mächtigen Vaters. © KCNA via KNS/afp
Kim Yo-jong
Aber auch Kims Schwester Kim Yo-jong gilt als mögliche Erbin auf den Thron. Die Macht, die die Kims seit bald 80 Jahren innehaben, dürften sie jedenfalls so schnell nicht aus der Hand geben. © Jorge Silva/afp

Warum rief Südkoreas Präsident das Kriegsrecht aus?

Kriegsrecht wird üblicherweise dann ausgerufen, wenn einem Land Gefahr von Außen droht. Yoon schien diese Gefahr von innen her gewittert zu haben, wohl aus den Reihen der Opposition, die seit den Wahlen vom April das Parlament kontrolliert und dem Präsidenten das Regieren schwer macht.

Nicht nur Yoons Regierung steht seitdem unter Dauerbeschuss von Oppositionspolitikern, auch seine Frau geriet immer wieder ins Visier. Nach mehreren Skandalen sah sich Yoon vor wenigen Wochen zu dem Versprechen gezwungen, die First Lady künftig von der Politik fernzuhalten. Auch über den Haushalt hatte es zuletzt Streit gegeben. Mit ihrer Parlamentsmehrheit setzte die Opposition in der vergangenen Woche durch, dass der Haushalt nur mit starken Änderungen verabschiedet wurde. Das Parlament, so Yoon in einer Ansprache, sei „ein Zufluchtsort für Kriminelle geworden, ein Hort für eine legislative Diktatur, die das juristische und administrative System lähmen und unsere liberale demokratische Ordnung stürzen will.“

Aber deswegen die Demokratie in Gefahr bringen? Yoon Suk-yeol ist Jurist, vor seiner Wahl zum Staatspräsidenten war er Südkoreas Generalstaatsanwalt. Er dürfte also ganz genau gewusst haben, was er da tat. Yoon versuche möglicherweise, sich durch die Ausrufung des Kriegsrechts die Unterstützung der konservativen Wählerschaft zu sichern, glaubt der Korea-Experte Ramon Pacheco Pardo vom Londoner King‘s College. „Ich glaube aber nicht, dass das funktionieren wird“, sagte Pardo zu IPPEN.MEDIA.

Kim Jong-un dürfte sich über Chaos in Südkorea freuen

Nur einen dürfte das Chaos, das Yoon Suk-yeol an diesem Dienstagabend in Seoul angerichtet hat, freuen: Nordkoreas Diktator Kim Jong-un. Seit 1950 befinden sich Nord- und Südkorea im Kriegszustand, der Koreakrieg wurde 1953 lediglich mit einem Waffenstillstand eingefroren. Zuletzt brachen die Spannungen auf der Halbinsel wieder auf, Kim Jong-un erklärte den Süden zum „Hauptfeind“ und ließ diese Zuschreibung in die Verfassung seiner Diktatur schreiben. Einer friedlichen Wiedervereinigung erklärte er eine Absage, wenig später ließ er Schienen- und Straßenverbindungen im Grenzgebiet in die Luft sprengen.

Anders als sein Vorgänger Moon Jae-in, der mit seiner „Sonnenscheinpolitik“ auf eine Annäherung an den Norden gesetzt und so die historischen Treffen zwischen Kim und dem damaligen US-Präsidenten Donald Trump ermöglicht hatte, setzte Yoon auf Konfrontation. Mit scharfen Worten verurteile er die Menschenrechtslage in dem Nachbarland, alle Kommunikationskanäle zwischen Seoul und Pjöngjang brachen ab. Mit seiner Politik der harten Hand ist Yoon allerdings gescheitert, Nordkorea ist heute so selbstbewusst wie lange nicht mehr, testet regelmäßig Raketen und schickt Waffen und Soldaten in den Ukraine-Krieg. Nun, so scheint es, hat Yoon Suk-yeol auch innenpolitisch eine totale Niederlage erlitten.

Rubriklistenbild: © Yonhap/AFP

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