Votum auch über Präsident Yoon
Korruptions-Vorwürfe und Attacken auf Politiker: Vor der Wahl ist Südkorea gespalten wie nie
Südkorea erlebt unruhige Zeiten: Die konservative Regierung polarisiert, die Demokratie gerät zunehmend unter Druck. Nun wählt das Land ein neues Parlament.
In Südkorea sollte man in diesen Wochen möglichst nicht ernsthaft krank werden. Denn in dem ostasiatischen Land weigern sich seit Monaten Tausende Nachwuchsmediziner, zur Arbeit zu erscheinen. Mehr als 2000 Beschwerden wegen ausgefallener oder verschobener Operationen sind deshalb zuletzt beim Gesundheitsministerium in Seoul eingegangen, manche Krankenhäuser mussten ganze Abteilungen dichtmachen, die Regierung schickte Militärärzte in die Spitäler.
Südkorea hat weniger Ärzte pro Einwohner als andere Industrienationen, nur etwa halb so viele wie beispielsweise Deutschland. Die Regierung von Präsident Yoon Suk-yeol wollte das eigentlich ändern und die Zahl der Plätze für ein Medizinstudium erhöhen. Doch die Nachwuchsmediziner gingen gegen die Pläne auf die Barrikaden. Sie glauben, dass sich die Probleme im Gesundheitssystem so nicht lösen lassen, außerdem klagen sie über schlechte Bezahlung und zu lange Arbeitszeiten. Inmitten dieser Krise hofften viele Südkoreaner auf ein Einschreiten ihrer Regierung. Doch statt nach einem Kompromiss zu suchen, drohte Präsident Yoon den streikenden Ärzten damit, ihnen die Lizenzen zu entziehen. Als könnte man so das Problem des Ärztemangels lösen.
Südkorea wählt ein neues Parlament
Am Mittwoch (10. April) sind gut 44 Millionen Wahlberechtigte in Südkorea aufgerufen, ein neues Parlament zu wählen. Die Ärztekrise ist das wohl drängendste Problem, das die Menschen beschäftigt, die Abstimmung wird auch ein Referendum über die Politik des ohnehin schon reichlich unbeliebten Staatschefs. Mit weniger als einem Prozentpunkt Vorsprung vor seinem wichtigsten Konkurrenten, Lee Jae-myung von der linksliberalen Demokratischen Partei (DP), wurde Yoon vor gut zwei Jahren ins Amt gewählt, und seitdem ist er nicht wirklich beliebter geworden – im Gegenteil: Nur noch 34 Prozent der Südkoreaner sind mit der Politik des 63-Jährigen zufrieden, wie unlängst eine Umfrage ergab.
Seine People Power Party (PPP) hat schon jetzt keine Mehrheit im Parlament, ob sich das nach Mittwoch ändern wird, ist unklar, die Umfragen sehen ein enges Rennen voraus. Für Yoon geht es um die Frage, ob er künftig ohne Gegenwind durchs Parlament regieren und die „Diktatur“ der Opposition, wie seine Partei das nennt, beenden kann. Für seine Kritiker eine beängstigende Vorstellung.
Denn unter Yoon, einem ehemaligen Staatsanwalt, hat sich das politische Klima in Südkorea deutlich verschlechtert. Viele sehen in ihm einen Hardliner, der rücksichtslos eigene Interessen verfolgt. Als etwa seine Frau unlängst in einen Korruptionsfall verwickelt wurde, weil sie teure Geschenke annahm, witterte der kritikresistente Yoon lautstark Verschwörung, statt für Aufklärung zu sorgen. Auch Angriffe auf Politiker haben in den vergangenen Monaten immer wieder für Schlagzeilen gesorgt. Ende Januar etwa wurde eine PPP-Abgeordnete in Seoul mit einem Stein angegriffen, ein paar Wochen zuvor DP-Chef Lee bei einer Messerattacke in Busan schwer verletzt. Südkorea ist ein gespaltenes Land geworden.
Südkoreas Wirtschaft schwächelt: Kaum Kinder, hohe Inflation, teure Lebensmittel
Yoon hatte Lee nach der Präsidentschaftswahl wegen angeblicher Korruption und anderen Anschuldigungen anklagen lassen, anstatt, wie sonst in Südkorea üblich, auf den Wahlverlierer zuzugehen. „Viele Wähler glauben, dass die Regierung von Yoon die Justiz beeinflusst, um seine Gegner zu verfolgen“, sagt Ramon Pacheco Pardo, Korea-Experte am Londoner King‘s College.
Der Demokratie-Index des schwedischen Forschungsinstituts V-DEM sieht Südkorea mittlerweile auf demselben Level wie etwa Myanmar und Kambodscha. Zu spüren bekommen Yoons Härte etwa die öffentlich-rechtlichen Medien, die der Präsident zunehmend unter Druck setzt, in seinem Sinne zu berichten. Auch gegen die Gewerkschaften geht Yoon vor, Streiks lässt seine Regierung schon mal per Erlass beenden. Kleinere Parteien haben kaum eine Chance, die Politik im Land mitzubestimmen, die von Yoons PPP und Lees DP dominiert wird.
Gleichzeitig versucht Yoon, sich auf der internationalen Bühne zu profilieren. Er erneuerte das Bündnis mit den USA und ging mit großen Schritten auf Japan zu, mit dem Südkorea eine komplizierte gemeinsame Geschichte verbindet. Punkten bei den Wählern kann Yoon damit allerdings nicht, auch nicht mit seinem harten Kurs gegenüber Nordkorea. „Viele Koreaner sind der Meinung, dass Yoon sich zu sehr auf die Außenpolitik konzentriert und die Innenpolitik vernachlässigt“, sagt Pacheco Pardo. Wichtiger seien den Menschen Themen wie Jobs oder bezahlbare Wohnungen. Asiens viertgrößte Volkswirtschaft leidet zudem unter einer hohen Inflation, vor allem Lebensmittel sind teuer. Zudem erlebt Südkorea eine demografische Krise – in keinem anderen Land werden so wenige Kinder geboren wie in dem 50-Millionen-Einwohner-Staat.
Opposition will Präsident Yoon „bestrafen“
Die Politik weiß um die Probleme. Nur sind die Fronten in Südkorea derzeit derart verhärtet, dass sachliche Debatten schwierig sind. Die Parlamentswahl habe sich „zu einem Referendum über die Regierung entwickelt, das alle konkreten politischen Maßnahmen oder Themen überschattet“, kommentiert die liberale Tageszeitung Hankyoreh. Dass auch Oppositionsführer Lee ein Populist ohne wirkliches Programm ist, macht die Sache nicht einfacher. Yoon müsse für seine Politik „bestraft“ werden, tönte es unlängst aus Lees Partei.
Yoon Suk-yeol gab bereits am Freitag seine Stimme ab, am ersten von zwei Tagen, an denen all jene zur Urne gehen können, die am eigentlichen Wahltag keine Zeit oder Lust haben. Mehr als 31 Prozent taten es ihm gleich, es war eine Rekord-Wahlbeteiligung. Immerhin das macht Hoffnung für Südkoreas angeschlagene Demokratie.