Bitte deaktivieren Sie Ihren Ad-Blocker

Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.

Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für . Danach können Sie gratis weiterlesen.

Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
  • Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
  • Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
  • Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
  • Jederzeit kündbar

Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.

Vor Thüringen-Wahl

Staatsfeind der DDR wird vor Thüringen-Wahl von Rechtsextremen bedroht

Ulrich Töpfer war maßgeblich an der friedlichen Revolution beteiligt – und wurde zum Stasi-Opfer. Heute wird er wieder angefeindet – weil er Grüner ist.

Meiningen – Fürs Foto zu posieren, das ist nicht so Ulrich Töpfers Ding. Er lässt es trotzdem über sich ergehen, immerhin steht er jetzt genau da, wo einst Geschichte geschrieben wurde. Die Tür, an die sich Töpfer – grünes Shirt, grauer Bart, Goldring im Ohrläppchen – jetzt lehnt, führt zum Keller des Pfarrhauses in Meiningen, wo vor über 40 Jahren die friedliche Revolution in Thüringen ihren Anfang nahm.

Vor Thüringen-Wahl: Anfeindungen und Drohungen

Töpfer war maßgeblich daran beteiligt, gilt als Mit-Initiator der Wendebewegung in Thüringen. Das machte ihn einst zu einem der obersten Staatsfeinde des DDR-Regimes in Thüringen, er wurde bedroht und beschattet. „Am Ende war es das wert“, sagt Töpfer, der heute stellvertretender Bürgermeister von Meiningen ist. Heute, 40 Jahre später und kurz vor der Thüringen-Wahl, gibt es wieder Anfeindungen und sogar Todesdrohungen. Diesmal aus einer anderen Ecke.

Ulrich Töpfer vor dem Pfarrhaus, in dem Geschichte geschrieben wurde.

Während Ulrich Töpfer vor den Stufen zum Keller des Pfarrhauses steht, in dem er heute lebt, kommen die Erinnerungen an damals hoch. Er und sein Zwillingsbruder waren christlich erzogen worden, hatten keine Lust auf FDJ. Das DDR-System, damals in den 60ern, machte sie zu Außenseitern. Beim Fahnenappell in der Schule durften sie als einzige aus der Klasse nicht vortreten. „Da guckt die ganze Schule auf einen, das ist kein schönes Gefühl.” 

Außenseiter in der DDR: „Exklusiv zu sein, kann ja auch was für sich haben“

Manchen ging es noch schlimmer. Ein Schüler, dessen Verwandte in den Westen geflohen waren, habe während der Stunde in der Ecke stehen müssen. „Die anderen mussten ihn dann ausbuhen”, erzählt Töpfer. All das widerstrebte ihm, er lehnte sich auf, auch aus christlicher Überzeugung: Konfirmation statt Jugendweihe, Kirchenkreis statt Handgranaten-Weitwurf in der Freizeit. Bei manchen Gleichaltrigen kam das gut an. „Exklusiv zu sein, kann ja auch was für sich haben“, sagt Töpfer und lacht.

Man wollte anders sein. Beatmusik hören, heimlich Westfernsehen schauen. „Flower-Power und Jesus-People, das hat uns bis in den Osten geprägt”, erzählt Ulrich Töpfer. Eine Jeans aus dem Westen sei damals das größte Glück gewesen. Seine erste war von Lee, frisch über die Grenze geschmuggelt: „Die war viel zu groß. Ich hab mich damit in die Badewanne gelegt, ins kalte Wasser, weil wir gehört hatten, dass die sich dem Körper anpasst. Hat nicht funktioniert.“ Getragen wurde sie trotzdem, sagt Töpfer. Auch beim Tanznachmittag, obwohl das da verboten war.

Das System habe überall seine Finger im Spiel gehabt, und das Rebellentum von Menschen wie Töpfer ging dem Staat gegen den Strich. Sein Vater, der Ingenieur war, verlor schließlich seinen Posten – „weil seine Kinder rebelliert haben.” Gab es deswegen Familienstreit? „Nein, meine Eltern haben uns ja so erzogen und waren stolz.“

Manchmal kamen die Leute von der Stasi und nahmen ihn mit

Weil er den Wehrdienst verweigerte, konnte er kein Abitur in der DDR machen. Töpfer wurde Mitarbeiter in der Meininger Kirchengemeinde, gründete in den frühen 80ern den Gesprächskreis für Frieden und Ökologie. „Den gibt es heute noch. Obwohl er jetzt mehr ein Stammtisch von alten Freunden ist“, sagt er. Damals diskutierten sie darüber, wie man aus der DDR einen besseren Staat machen könne. Dann fing die totale Überwachung an. Briefe lagen geöffnet im Briefkasten. Sein Telefon wurde abgehört. Töpfer war jetzt im Fokus des Ministeriums für Staatssicherheit.

Manchmal kamen Leute von der Stasi, nahmen ihn mit. „Wenn man gefragt hat, worum es geht, haben die nur gesagt: Das werden Sie schon selber wissen“, erzählt Ulrich Töpfer. Stundenlang saß er dann in Verhörräumen. Maßnahmen zur Zersetzung der Persönlichkeit, so nannte die Stasi diese und andere Methoden. Zum Beispiel: Gerüchte über unliebsame Personen streuen, anonyme Briefe an Vorgesetzte schreiben. Auch bei Ulrich Töpfer haben sie das gemacht. Erst nach der Wende erfuhr er, dass einige seiner vermeintlichen Freunde als Stasi-Spitzel gearbeitet hatten. Manche trifft er heute noch auf der Straße, die gucken dann weg. Andere hätten sich entschuldigt – und wieder andere hätten gesagt, dass sie es wieder genauso machen würden. „Da musste ich schon schlucken“, sagt Töpfer.

Nach 40 Jahren DDR: „Erhebendes Gefühl, als die Mauer fiel“

Trotz der Drohungen – Töpfer machte weiter, veranstaltete Friedensgebete in der Stadtkirche, schrieb Briefe an Erich Honecker mit Reformvorschlägen. Die Gesprächskreise entwickelten sich zu Großveranstaltungen und der Keller im Pfarrhaus wurde bald zu klein. „Die ganze Gesellschaft war politisiert. Jeder wollte mitmachen. Bei den Demos waren dann irgendwann 25.000 Menschen.“ Und Ulrich Töpfer, der eigentlich gar nicht so gern im Mittelpunkt steht, hielt plötzlich Reden vor Menschenmassen. Und wurde fast zum Propheten: „1988 hab ich gesagt: Nächstes Jahr kippt die DDR.“ Seine Rechnung: 40 Jahre zog das Volk Israel durch die Wüste. „Und 40 Jahre mussten wir durch die DDR, dann kommt die Erlösung.“ Ganz ernst gemeint habe er das nicht – Recht sollte er dennoch behalten. Als die Mauer ein Jahr später fiel, sei das „ein erhebendes Gefühl“ gewesen.  

Auf der Straße vor dem Pfarrhaus, wo er einst mit Zehntausenden für eine friedliche Revolution gekämpft hatte, sind auch heute Menschen unterwegs. Sie tragen schwarz-weiß-rote Reichsflaggen mit Slogans in Frakturschrift. Skandieren „jagt die Grünen aus dem Land“. Ulrich Töpfer ist selbst bei den Grünen. Und hat schon Schlimmeres gehört. Einmal hätten Hunderte vor seinem Haus gestanden. „Töpfer an die Wand”, hätten sie gebrüllt. Oder: „Ein Baum, ein Strick, ein Töpfergenick.“

Am Gartenzaun von Ulrich Töpfer hing eines Tages dieses Bettlaken.

Während Corona fing das an, als manche Menschen in Meinungen plötzlich die Bundesregierung eine „Diktatur“ nannten und überall Verschwörungen witterten. Zu Tausenden marschierten sie durch die Stadt, irgendwann gesellten sich Rechtsextreme dazu, Leute aus der Neonazi-Szene. Und ihr Hass richtete sich auch gegen ihn, den ehrenamtlichen Bürgermeister. Einmal hing ein Bettlaken an seinem Gartenzaun, darauf in riesigen Buchstaben das Wort „Volksverräter“. Und einmal, da wollten sie ihn wohl wirklich umbringen.

Unzufriedenheit bei vielen in Thüringen: „Nach der Wende ist vieles falsch gelaufen“

An seinem Auto hatte jemand die Radmuttern gelockert. „Im Tunnel hab ich gedacht: Irgendwas stimmt doch nicht”, erzählt Ulrich Töpfer. Auf der Werkstatt ist dann das Vorderrad während der Fahrt abgefallen. Er habe Glück gehabt, dass ihm nichts passiert sei. „Da war manipuliert worden“, sagt Töpfer. Den Täter konnte die Polizei nicht finden.

Er könne ja sogar verstehen, dass manche in Thüringen unzufrieden seien. Nach der Wende sei vieles falsch gelaufen. Eigentlich wollten sie mehr Selbstbestimmung, es gab Ideen für eine neue Verfassung – aber dann habe man einfach den Westen über den Osten gestülpt. Viele wurden arbeitslos, manche fühlten sich abgehängt. Ulrich Töpfer fährt sich durchs Haar und wird dann doch ein bisschen ärgerlich. Dass jetzt Leute „Wir sind das Volk“ rufen, den Slogan der Friedensbewegung von damals, aber AfD wählen und mit Reichsflaggen herummarschieren, das findet er „unverschämt“. „Jeder Mensch hat sein einmaliges Leben, das ist kurz genug. Wer es verkacken will, hat das Recht dazu. Wer in die Irre gehen will, muss es dann halt verantworten“, sagt er.

Rubriklistenbild: © Peter Sieben

Kommentare