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Rechtsextreme Attacke vor Thüringen-Wahl

„Ohne Pfefferspray geh ich nicht aus dem Haus“: Björn Höcke verändert das Leben eines 22-Jährigen

Linken-Kandidat muss bei der Thüringen-Wahl gegen Höcke antreten und wurde von Rechtsextremen angegriffen. Nun setzt er auf eine spezielle Strategie.

Greiz – Alle paar Meter grinst Björn Höcke aus großer Höhe herab. Seine Plakate hängen meist ganz oben an den Laternen, die AfD hat früh mit dem Wahlkampf angefangen – und plakatiert als einzige Partei vor der Thüringen-Wahl nicht hochkant, sondern im Querformat. Das fällt auf. Höcke füllt fast die komplette Fläche aus: die Arme ausgebreitet, den Kopf auf die Handrücken gestützt. Ein bisschen muss man an einen Schuljungen denken, der sich verschmitzt ans Pult fläzt. Nun ist Björn Höcke natürlich kein verschmitzter Schuljunge – und wie sein Schwarz-Weiß-Konterfei da jetzt über Leon Walter schwebt, der gerade sein eigenes Plakat mit Kabelbindern an der Laterne festzurrt, das hat schon ein bisschen was von Damoklesschwert.

Thüringen-Wahl: AfD-Chef Björn Höcke wechselt Wahlkreis

Leon Walter tritt für die Linke zur Landtagswahl im Wahlkreis Greiz an, seiner Heimat. Genau wie Björn Höcke, der allerdings woanders wohnt. Vor einigen Monaten hatte der Chef der Thüringen-AfD angekündigt, nicht im Eichsfeld ganz im Westen des Bundeslandes zur Wahl zu stehen, sondern ganz im Osten in Greiz, wo er sich wohl mehr Direktstimmen erhofft. Für den 22-jährigen Walter hat sich seitdem alles verändert: „Ohne Pfefferspray verlasse ich das Haus nicht mehr“, sagt er.

Ein bisschen wie ein Damoklesschwert: Die Plakate von Björn Höcke sind die einzigen, die im Querformat hängen.

Der Rechtsaußen-Politiker Höcke mobilisiere rechtsextreme Kreise allein durch seine Anwesenheit, die Stimmung sei spürbar umgeschlagen, erzählt Walter. Jüngst gab es sogar einen Übergriff auf Walter und Parteigenossen am Wahlkreisbüro der Linken. „Wir waren auf dem Weg von einem Demokratiefest zurück ins Parteibüro. Da stand dann an der Straße so ein Mob von ungefähr fünfzehn Personen“, erzählt Walter. „Die haben gebrüllt: Leon, wir kriegen dich.“

Wahlkreis-Kandidatur gegen Höcke: Linke-Politiker vor Thüringen-Wahl von Rechtsextremen angegriffen

Die Gruppe habe ihn verfolgt, bis zur Toreinfahrt, auf die Walter jetzt zeigt. „Einem Genossen, der dazwischen gegangen ist, haben die gesagt: ‚Dir wollen wir eigentlich nichts tun.‘ Denn die sind hinter mir her.“

Leon Walter ist plötzlich das personifizierte Feindbild für Rechtsextreme in der Gegend. Seine Plakate hängen ja überall – direkt unter denen der AfD. Man erkennt den jungen Mann mit dem Lockenkopf und der runden Brille in der 20.000-Einwohner-Stadt. „Das Schockierendste für mich ist, dass der Rädelsführer als Beamter in der Stadtverwaltung einer Nachbarstadt arbeitet. Mit dem hatte ich sogar während meiner Ausbildung zu tun“, erzählt Leon Walter. Eigentlich habe der immer ganz nett gewirkt.

Linken-Kandidat Leon Walter mitten in Wahlkampfvorbereitungen: Er tritt in seinem Wahlkreis bei der Thüringen-Wahl direkt gegen AfD-Chef Björn Höcke an.

Postkartenidylle Thüringen: Aktive Neonazi-Szene auch um Greiz

Auch bekannte Leute aus der Neonazi-Szene seien bei dem Übergriff dabei gewesen, erzählt der Jungpolitiker. Die ist in Ostthüringen seit vielen Jahren aktiv, und hat seit einigen Monaten Aufwind, wie Experten beobachten. Woran das eigentlich liegt, kann sich Leon Walter auch nicht so recht erklären. Greiz wirkt mit seiner hübschen Altstadt und den prächtigen Stadtvillen auf den ersten Blick eigentlich wie eine Postkartenidylle. Einst arbeiteten hier Tausende im Textilbereich. Doch nach der Wende passierte das, was sie hier „das Übliche“ nennen: Treuhand, Unternehmensschließung, viele wurden arbeitslos. „Aber deswegen wird man doch nicht einfach rechtsextrem“, sinniert Walter.

Einer der führenden Köpfe der Szene ist der rechtsextreme Aktivist David Köckert. Er trägt als Tätowierung eine Schwarze Sonne mitten im Gesicht – ein aus drei Hakenkreuzen bestehendes Symbol, das auch die SS verwendet hat. Über seinen Shop vertreibt er Shirts mit Reichsadler-Aufdruck oder dem Slogan „Adolf, der Verführer“.

Manchmal stellt Walter sich vor, wie das Gesicht mit der schwarzen Sonne plötzlich auftaucht, wenn er gerade mit seinem Infostand auf dem Marktplatz steht: „Unheimlich“, sagt Walter und packt Plakate und Flyer ins Auto. Mit ein paar Parteifreunden will er die Dörfer abfahren. Auch Zeulenroda liegt auf der Route, wo Rechtsextremist Köckert sein Geschäft betreibt. Hat er da nicht ein mulmiges Gefühl? „Ich hab mittlerweile überall ein mulmiges Gefühl“, sagt Walter knapp. „Bei vorherigen Wahlkämpfen habe ich immer alleine Plakate aufgehängt. Inzwischen hat sich die Stimmung aber so aufgeheizt, dass ich mich das nicht mehr traue.“  

„Meine Eltern haben Angst, aber ich will einfach nicht kneifen“

Auch seine Familie, seine Freunde sorgen sich. „Meine Eltern haben Angst, das sagen sie mir klipp und klar.“ Als feststand, dass Höcke in Greiz antritt, habe er lange mit sich gerungen, habe mit Freunden und Genossen gesprochen. „Aber ich will nicht einfach kneifen“, sagt Walter.

Werbung für den Ministerpräsidenten: Unterwegs auf den Dörfern in Ostthüringen.

Mit so einem prominenten Gegner steigt der Druck. Auch aus der eigenen Partei. „Ich habe das Gefühl, bestimmte Erwartungen erfüllen zu müssen“, sagt Walter. Neulich habe ihm ein Genosse aus dem Bundestag geschrieben und ihn mit den Worten gegrüßt: „Na, du Drachentöter“.

Fast jeden Tag ist Walter jetzt so kurz vor der Thüringen-Wahl unterwegs. Er setzt auf direkte Gespräche am Gartenzaun, an der Haustür, in der Plattenbausiedlung – wo immer er Menschen in seiner Region trifft. „Ich kann mich natürlich hinstellen wie andere und sagen: Ihr habt sicher schon von mir gehört, ich bin der Geilste, wählt mich. Aber das bringt den Leuten nichts.“ Er wolle erfahren, wo der Schuh drückt. Mal geht es um kaputte Gehwege, mal um Probleme mit der Rente oder die Brennnesseln an der Bushaltestelle, die zu hoch stehen. „Oft kann ich direkt helfen, manchmal reicht ein Anruf beim Ortsteilbürgermeister oder beim Bauhof.“ Es seien Probleme, um die sich sonst niemand kümmere.

Probleme der Menschen vor der Thüringen-Wahl

Unterwegs, auf der Fahrt vorbei an Feldern und durch Dörfer, von denen manche aus kaum mehr als einer Handvoll Häusern bestehen, wächst die Anspannung ein bisschen. Wegen Zeulenroda. Doch ein Mann mit schwarzer Sonne im Gesicht taucht dort nicht auf, als Walter und seine Mitstreiter aus dem Auto steigen und ihre Plakate aufhängen. Dafür eine ältere Frau, die gerade vom Einkaufen kommt. Die finde das „tüchtig“, dass so junge Leute sich einsetzen, sagt sie und kommt ins Plaudern. Mit der Rente habe sie zu knapsen, obwohl sie früher hart gearbeitet habe – „in drei Schichten“, sagt die Frau und hält drei Finger in die Höhe. Warum bekommen die im Westen denn so viel mehr? Vieles kommt ihr ungerecht vor.

Leon Walter kann das verstehen: „Als Abgeordneter würde ich nur so viel von meiner Diät behalten, wie ich in meinem aktuellen Job verdiene. Alles andere wird gnadenlos gespendet.“ Man müsse mit gutem Beispiel vorangehen. „Und bei den niedrigen Mietpreisen in Greiz ist das eh kein Problem“, sagt er und grinst. Was sie denn von Björn Höcke halte, fragt Walter die Frau. Die winkt nur ab und geht die Straße hoch.

Rubriklistenbild: © Peter Sieben

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