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Interview mit NRW-Minister
Staatskanzleichef Liminski: „Sicherheit ist nicht mehr so selbstverständlich, wie sie mal schien“
Nathanael Liminski nennt die Drittstaatenlösung im Interview einen „ernsthaften Lösungsansatz“. Einen solchen erkenne bei der Kirche und bei anderen Parteien nicht.
Düsseldorf – Der Minister fährt sich vor dem Foto fürs Interview noch einmal schnell mit der Hand durchs Gesicht. Neulich, da habe er auf einem Bild irgendwie ein bisschen müde ausgesehen, sagt er. Verständlich wär’s. Das Aufgabenspektrum von Nathanael Liminski ist außerordentlich breit, sein Titel passt auf keine Visitenkarte: Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten, Internationales sowie Medien des Landes Nordrhein-Westfalen – und dann ist der CDU-Politiker auch noch Chef der Staatskanzlei von Ministerpräsident Hendrik Wüst.
Der nächste Termin steht schon an, es geht um Filmförderung und den Kulturstandort NRW. Und immer wieder ist er in diesen Tagen mit TikTok im Gespräch, ein regelrechter „Desinformationskrieg“ tobe dort im Netz in diesem Superwahljahr, um den will er sich kümmern. Doch erst mal geht es um Europa.
Herr Liminski, können Sie die Bedeutung der EU mit nur einem Satz erklären?
Die Europäische Union ist in dieser Welt für seine Bewohner Garant für Frieden, Freiheit und Wohlstand.
Da haben Sie aber schon ein bisschen überlegen müssen.
Weil ich versucht habe, es wirklich in einem Satz zu sagen. Ich sehe das zu 100 Prozent so. Seit dem Zweiten Weltkrieg gab es gut 20 militärische Konflikte auf europäischem Boden, der Ukraine-Krieg ist längst nicht der erste. Aber nie auf dem Gebiet der Europäischen Union. Das zeigt: Die EU schafft Frieden und das gibt Raum für Freiheit und Wohlstand.
Warum steht Ihr Satz nicht auf den CDU-Wahlplakaten vor der Europawahl?
Die Begriffe aus meinem Satz finden Sie auf den CDU-Plakaten. Ich habe am Europawahlprogramm der CDU mitgearbeitet. Wir haben unser Angebot fokussiert und konkretisiert. Wahlkampf ist immer die Chance, die Relevanz einer Wahl für das tägliche Leben der Menschen herzustellen. Dafür müssen Sie am konkreten Leben der Menschen anknüpfen.
Im CDU-Wahlkampf geht es sehr viel um Sicherheit. Warum?
Die Begründung Europas als Friedensprojekt erfährt eine neue Aktualität. Der Ukraine-Krieg ist nur zweieinhalb Flugstunden von hier entfernt. Die Leute spüren, dass Krieg etwas ist, das auch sie konkret bedroht. Und sie auch jetzt schon im Alltag beschäftigt. Stichwort Flüchtlinge aus der Ukraine, Stichwort Energiepreise, Stichwort Lieferkettenprobleme. Das erschüttert das Sicherheitsgefühl. Und die Menschen merken, dass Sicherheit anstrengender geworden ist.
Sicherheit ist nicht mehr so selbstverständlich, wie sie mal schien. Wir müssen dafür jetzt viel Geld in die Hand nehmen, zum Beispiel für die Bundeswehr. Und wir müssen darüber auf einmal auch mit unseren Verbündeten politisch streiten, mit den USA, oder mit Frankreich, wenn es etwa darum geht, was wir geben wollen, damit die Ukraine den Kampf gegen Russland besteht. Das Thema Sicherheit berührt den Staat in seinem Kern.
Wie meinen Sie das?
Der Grund dafür, dass es überhaupt einen Staat gibt, ist das Versprechen von Sicherheit. Kann man bei Thomas Hobbes schon nachlesen.
Sie meinen den englischen Philosophen des 17. Jahrhunderts, laut dem Menschen staatliche Herrschaft um ihrer Sicherheit willen anerkennen.
Genau. Deshalb ist es so wichtig, dass der Staat sich bei diesen Themen – Ordnung, Sicherheit, Verteidigung – als entscheidungs- und handlungsfähig erweist. Und in dem Moment, in dem das nicht der Fall ist, wird es gefährlich für die Demokratie.
Die CDU hat ein neues Grundsatzprogramm beschlossen. Damit gibt sie sich ein deutlich konservatives Profil. Man könnte sagen: Sie ist jetzt eher eine Merz-CDU als eine Wüst-CDU. Ist das in Ihrem Sinne?
Unser neues Grundsatzprogramm übersetzt die Grundwerte der CDU auf die Themen der heutigen Zeit und konzentriert sich dabei auf das tatsächlich Grundsätzliche.
Will man mit dem konservativen Weg vielleicht auch Menschen erreichen, die sonst die AfD wählen würden?
Wenn man Menschen, die darüber nachdenken, die AfD zu wählen, überzeugt, es nicht zu tun, ist das ein Dienst an unserer Demokratie und ein erstrebenswertes Ziel. Das gilt auch, wenn die CDU es tut. Aber ich weiß auch, dass es um einzelne Punkte im Grundsatzprogramm größere Diskussionen gab.
Wandel in Europa: Die Geschichte der EU in Bildern
Ein solcher Punkt ist die sogenannte Drittstaatenlösung, die vorsieht, dass Asylbewerber sofort in Drittstaaten überführt werden. Kirchenvertreter nennen das unchristlich und fragen, wofür das C in CDU eigentlich steht. Was entgegnen Sie?
Ich entgegne, dass der jetzige Zustand an den EU-Außengrenzen, allen voran auf dem Mittelmeer, weder rechtlich noch politisch noch moralisch verantwortbar ist. Im letzten Jahr sind 3100 Menschen auf dem Weg nach Europa auf dem Mittelmeer ertrunken. Ich will und werde mich damit nicht abfinden. Jeder, der das auch so sieht, muss eine Antwort darauf geben, wie es besser werden kann. Deswegen erwarte ich auch als katholischer Christ von meiner Kirche mit ihrem Auftrag und ihrem Know-how mehr, als nur die Situation zu beklagen. Wir brauchen ethisch verantwortbare Lösungen. Die können aber nicht darin bestehen, zu sagen, es soll jeder kommen.
Sondern?
Die CDU will die Migration steuern, ordnen – und das heißt auch, illegale Migration zu stoppen. Das steht sowohl im Europawahlprogramm als auch im Grundsatzprogramm. Das Konzept der sicheren Drittstaaten ist ein ernsthafter Lösungsansatz. Jeder, der das verweigert, muss zur Kenntnis nehmen, dass die Offenheit gegenüber Migranten in unserem Land zunehmend schwindet. Das hat auch damit zu tun, dass diese Frage uns seit über zehn Jahren beschäftigt, ohne gelöst worden zu sein. Wir müssen jetzt endlich weiterkommen. Ich war kürzlich auf Zypern, im dortigen Erstaufnahmelager Pournara. Dort sind Tausende Menschen untergebracht und jeden Tag kommen bis zu 500 neue Flüchtlinge auf diesem kleinen Inselstaat an. Wenn Sie sehen, wie die Menschen auf dem Bordstein sitzen, mit ihren drei Papieren in der Hand, die ihnen das Leben bedeuten, und hilflose Helfer irgendwie Struktur ins Chaos zu bringen versuchen, dann können Sie nur zu einem Schluss kommen: Das kann so nicht weitergehen.
Sie glauben also, dass weniger Menschen fliehen, wenn Deutschland eine Drittstaatenlösung hat?
Ich bin ein Gegner von Pushbacks. Also davon, Menschen auf der Flucht durch Härte zu verprellen oder gar ihrem Schicksal zu überlassen. Der Status quo ist aber, dass Schleuser und Schlepper darüber entscheiden, wer den Sprung nach Europa schafft und wer nicht. Das ist ein Armutszeugnis für Europa. Ich empfinde das wirklich als beschämend. Viele Flüchtlinge setzen darauf, einmal nach Europa zu kommen, die Lücke zu finden und nicht zuletzt wegen endloser Verfahren am Ende irgendwie bleiben zu können. Daran hängen ganze Lebensplanungen. Ich aber will, dass Asylbewerbern klar ist: Wenn sie sich in das geordnete Verfahren begeben, haben sie eine realistische Chance, dauerhaft mit einem belastbaren Status zu kommen, eine Familie zu gründen, arbeiten zu gehen, ein Leben aufzubauen.
Und das kann nur mithilfe eines Drittstaates gehen?
Mit einem sicheren Drittstaat, wohlgemerkt. Der muss natürlich Kriterien erfüllen. Und ja, das ist anstrengend in der Erarbeitung, aber es ist ein ernsthafter Lösungsansatz, der alle Faktoren berücksichtigt – und das erkenne ich bisher weder bei der Bundesregierung noch bei anderen Parteien. Dort beschränkt man sich darauf, insgeheim darauf zu hoffen, dass der Winter besonders hart wird, die Geflüchtetenzahlen heruntergehen und die Deutschen nicht die Nerven verlieren. Das ist aber für mich kein politisches Konzept.
Laut einer Bertelsmann-Studie steigt die Zahl von Desinformationskampagnen vor allem in den sozialen Medien gerade stark an. Wie kann man gegensteuern?
Der Desinformationskrieg ist längst in vollem Gange. Vor allem Russland ist ein Aggressor. Im ersten Schritt müssen wir sensible Kommunikation technisch absichern. Der zweite Schritt ist, dass wir als Gesellschaft den Kampf aufnehmen und Informationen als hohes Gut erkennen. Die Politik muss für Qualitätsmedien Rahmenbedingungen schaffen, die es ihnen erlauben, in diesem Land erfolgreich, auch wirtschaftlich, Medienprodukte anzubieten.
Und deshalb arbeite ich jeden Tag daran. Das heißt natürlich auch, manchmal schwierige Entscheidung zu treffen. Begrenzung des Öffentlich-Rechtlichen, um den Privaten Raum zu lassen zum Beispiel. Oder der Einsatz für die Zustellförderung für Printmedien.
Eine Studie aus den USA zeigt einen Zusammenhang zwischen dem Sterben von Lokalredaktionen und dem Aufkeimen von Extremismus. Reicht da wirklich eine Zustellförderung für Zeitungen als Maßnahme?
Ich bin auch für andere Konzepte offen, aber es wäre ein konkreter Schritt, wenn auch nur ein Baustein. In den USA sehen wir schon jetzt: In den Städten, wo Tageszeitungen eingestellt worden sind, gehen Leute weniger zu Wahlen, glauben Verschwörungstheorien. Daran erkennt man den konkreten Mehrwert von Qualitätsjournalismus für die Demokratie. Und deswegen kämpfe ich dafür, auch wenn viele den Kampf für verloren halten. Die Bundesregierung hat einfach aufgehört, darüber zu reden. Christian Lindner hat zwar vor ein paar Tagen noch gesagt, er sei weiterhin bereit zu einer Zustellförderung. Aber die Möhre hält er gemeinsam mit dem Bundeskanzler der Branche jetzt schon seit bald drei Jahren vors Gesicht, ohne zu liefern. Dabei reden wir über eine zeitlich befristete Förderung im dreistelligen Millionenbereich, der ist für einen Bundeshaushalt von 475 Milliarden Euro nun wahrlich kein Ding der Unmöglichkeit – wenn es doch um so viel geht.
Der Rundfunkbeitrag soll 2025 erhöht werden. Einige Bundesländer haben sich schon jetzt dagegen ausgesprochen. Wie bewerten Sie das?
Es gibt ein klares Verfahren. Erst kommt die Anmeldung durch die Sender, dann die Überprüfung durch die Rundfunkkommission KEF und dann gibt es die Festlegung durch die Länder. Wir sind jetzt an Schritt drei angekommen. Ich finde, Vertrauen in Demokratie beginnt auch damit, dass solche Verfahren eingehalten werden und man sie nicht übergeht, wenn es einem politisch gerade nicht opportun ist. Ich sehe, dass es häufig bejubelt wird, wenn man sich an prominenter Stelle gegen höhere Rundfunkgebühren ausspricht. Aber mir ist wichtig, dass wir uns auch bei diesem Thema an Recht und Gesetz halten. Und trotzdem unserer Aufgabe nachkommen, auch über den Preis die Akzeptanz zu erhalten für ein pflichtfinanziertes Rundfunkangebot.
Manche Zuschauer zweifeln sozusagen am Preisleistungsverhältnis, etwa wenn es um Mehrfachproduktionen geht. Können Sie das verstehen?
Es gibt im öffentlich-rechtlichen Rundfunk definitiv Optimierungspotenziale. Es muss Schluss sein mit den verschiedenen Königreichen, in denen jeder Sender alles anbieten und können will. Es kann mir niemand erzählen, dass zum Beispiel die Verbrauchersendungen so regionaltypisch sind, dass die Sender sie nicht gemeinsam einmal für alle produzieren könnten. Andere Programmteile sind regional spezifisch, und das soll auch so bleiben. Aber die Sender müssen sich daran gewöhnen, dass in Zeiten knapper werdender Mittel Ü-Wagen, Studios und andere Produktionskapazitäten geteilt werden müssen. Da sehe ich durchaus auch eine Bereitschaft.
Die Server stehen in den USA. Insofern ist es gut, dass die USA jetzt handeln. Aber wir dürfen auch nicht außer Acht lassen, dass die Medienfreiheit ein sehr hohes Gut ist. Medienverbote können immer nur das letzte Mittel sein. Vieles auf TikTok ist grenzwertig. Aber ob das insgesamt ein Verbot rechtfertigt, da muss man sehr genau hinsehen. Die EU-Kommission knöpft sich TikTok und Meta, also die Mutter von Instagram und Facebook, bereits auf Basis der europäischen Gesetze vor. Bei uns in Deutschland greifen die Landesmedienanstalten bei illegalen Posts ein, auch mithilfe von Künstlicher Intelligenz. Und ich spreche natürlich mit den Leuten von TikTok.
Was sagen Sie denen?
Gespräche führt man nicht über die Zeitung. Aber mir ist wichtig klarzumachen, dass eine Verantwortung damit verbunden ist, wenn man sich hier einen Markt erschließen will. Und wenn diese Verantwortung nicht wahrgenommen wird, muss man es aushalten, dass ich das immer wieder öffentlich kritisiere. Ich nehme einfach wahr, wie viel Schmutz und Scheiß über diese Plattform in Herz und Hirn unserer Kinder geraten. Das Beste wäre echte Selbstverantwortung und Selbstregulierung, auch im Sinne unseres Medienrechts. Darauf hat sich TikTok bisher nicht eingelassen. Dabei stelle ich fest, dass Extremisten immer perfider vorgehen, um Hass und Hetze dort zu verbreiten.
Was haben Sie beobachtet?
Häufig präsentieren Rechtsextreme und radikale Islamisten ihre Propaganda mit einem fast schon diabolischen Humor. Dadurch wird das Ganze banalisiert und bagatellisiert. Und mit einem gewissen zynischen Humor, den man gerade als Pubertierender nun mal so hat, ist das dann besonders kompatibel. Da heißt es dann: ‘Ah, das kommt zwar von diesem schlimmen Hetzer-Heini – aber witzig ist es schon und man muss ja nicht alles so bierernst nehmen.’ Und dann wird es geteilt. Und irgendwann verfängt dann vielleicht auch mal was, schon allein wegen der schieren Menge.
Wie kann man gegenwirken?
Als allererstes sind die Eltern gefragt. Das ist nicht der Staat alleine, und auch nicht TikTok alleine. Aber es ist nicht einfach, weil Kinder und Jugendliche so viel Zeit mit dem Smartphone verbringen und die Videos überall rund um die Uhr abrufbar sind. Wir müssen diese Herausforderung als Gesellschaft annehmen und ernst nehmen. Da liegt viel Arbeit vor uns.
Wenn Sie Besucher aus dem Ausland haben: Welche drei Orte in NRW zeigen Sie ihnen?
Ganz sicher Bonn. Das ist erstens meine Heimat und zweitens ein besonderer Ort für bundesrepublikanische Geschichte. Dann würde ich sicherstellen, dass sie einerseits das urbane Nordrhein-Westfalen sehen, Köln, Düsseldorf oder das Ruhrgebiet. Aber auch das ländlich geprägte, also Südwestfalen oder Ostwestfalen. Es reicht nicht, den Dom, den Fernsehturm und die Zeche Zollverein zu zeigen. Man muss auch unsere kleineren und mittleren Städte sehen. Unsere ländlich geprägten Räume sind ja anders als in anderen Teilen Deutschlands wirtschaftlich nicht abgehängt oder politisch auf schwierigen Pfaden unterwegs. Sie sind bei uns das Powerhouse, mit viel Mittelstand und einem starken Ehrenamt.