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EU und die russische Bedrohung
Notfall-Gipfel nach dem Trump-Schock: Wie Europa Putin abschrecken kann – und der Ukraine helfen
Die EU will auf Trumps Abkehr von Ukraine und Europa reagieren. Wie groß ist die Bedrohung aus Russland und was ist zu tun? Ein Experte antwortet.
So ganz klar scheint immer noch nicht, in welches Fahrgeschäft Europa auf Donald Trumps weltpolitischem Rummelplatz geraten ist: Free Fall oder doch „nur“ Achterbahn? In seiner ersten Rede vor dem US-Kongress sandte Trump wieder unklare(re) Signale in Sachen Ukraine-Krieg. Die teils befürchtete Ankündigung eines Nato-Austritts der USA blieb aus. Aber die Hilfe für die Ukraine ist vorerst gestoppt – und nach dem Schauspiel beim Besuch von Wolodymyr Selenskyj und J.D. Vance‘ Auftritt bei der Münchner Siko scheint klar: Europa muss sich künftig zumindest selbst verteidigen können.
Große Schritte dazu soll am Donnerstag der Sonder-Gipfel der EU-Staats- und Regierungschefs unternehmen. Kann das gelingen? Und wie? Ulf Steindl, Experte des Austrian Institute for European and Security Policy, sieht im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau viele Baustellen – auch sehr grundsätzliche. Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick:
Angriff aus Putins Russland – und Rückzug von Trumps USA: Was ist dran?
Ist Europas Erschrecken gerechtfertigt? Steindl bejaht das. Die Frustration der USA über die militärische Schwäche der Nato-Partner wachse zwar schon seit Langem. „Andererseits kommt der Schock zurecht“, meint er: „Die neue US-Führung will den Krieg gegen die Ukraine um jeden Preis, ohne direkte Einbindung der Europäer, einfrieren. Dabei übersieht sie nicht nur den mangelnden Friedenswillen Russlands, sondern übernimmt zum Teil die Forderungen Moskaus.“ Und mit seinen früheren Äußerungen zur Nato und seiner auf Deals orientierten Politik untergrabe Trump die Glaubwürdigkeit von Nato-Artikel 5 und des nuklearen Schutzschirms.
Ist ein Angriff aus Russland ein realistisches Szenario? Von einem möglichen Schlag auf EU-Länder binnen fünf Jahren nach einem Waffenstillstand war zuletzt die Rede. Steindl ist etwas zurückhaltender. Eine zeitliche Einschätzung hänge von vielen Faktoren ab und sei „nur soweit hilfreich, als dass sie die Ernsthaftigkeit der Lage aufzeigen soll“. Klar sei aber: Je früher es zu einem Waffenstillstand im Ukraine-Krieg kommt und Sanktionen geschwächt oder gar von den USA aufgehoben werden, desto früher könne Russland seine Armee wieder aufbauen.
Wladimir Putins Russland könnte indes einen Angriff auf einen Nato-Staat – „mit hybriden Mittel oder konventionell“ – als effektives Mittel sehen, die Sicherheitsordnung aufzubrechen. Reagiere Europa, auch ohne die USA, dann nicht entschlossen, „wäre die Nato bloßgestellt“. Dem Experten ist allerdings wichtig klarzustellen: Die Gefahr sei nicht, dass Russland ganz Europa „überrennt“. Sondern, dass die Abschreckung versagt und der Kreml glaubt, gegebenenfalls vollendete Tatsachen schaffen zu können, etwa im Baltikum.
Ukraine-Krieg: US-Hilfen gestoppt – was der Gipfel auf den Weg bringen sollte
Hilfen im Ukraine-Krieg – was sollte Europa tun? Zunächst sollte die von den USA gerissene Lücke bei den Waffenlieferungen geschlossen werden, erklärt Steindl. Aus dem Lieferstopp 2024 nach der Blockade im US-Kongress wisse man, dass es ein begrenztes Zeitfenster gibt, bevor die Wirkung durchschlägt. Die wichtigsten Felder nach Ansicht des Experten: Ersatz bei der Flugabwehr wie die Patriot-Systeme, für Kommunikationswerkzeuge wie Elon Musks „Starlink“ und weitreichende Waffen. Europa habe selbst nur eingeschränkte Kapazitäten, könne aber etwa Patriot-Flugkörper aus Japan bestellen und im Gegenzug eigene Bestände an die Ukraine liefern. Auf Sicht müsse die europäische Produktion ausgebaut werden, beispielsweise SAMP/T oder IRIS-Flugabwehrsysteme.
Steindl sieht auch Bedarf an weiteren finanziellen Hilfen. So werde die ukrainische Rüstungsproduktionskapazität auf 34 Milliarden Euro im laufenden Jahr geschätzt – Anfang 2025 seien jedoch nur 16 Milliarden Euro an Mitteln bereitgestellt gewesen.
Promis, Premieren und Problemfälle: Das ist Ursula von der Leyens neue EU-Kommission
Abschreckung gegen Putin – und ein grundlegender Wandel: Europa muss „strategisch denken lernen“
Wie kann Europa seine Abschreckung wieder aufbauen? Nötig sei ein „klares Signal“, dass Europa auch ohne die USA bereit ist, einem Angriff militärisch zu begegnen, sagt Steindl. Option dafür dem Experten zufolge: „gemeinsame Aufrüstung, Schaffung gemeinsamer militärischer Strukturen und Vorwärtsstationierung von multinationalen Truppenkontingenten“. Für Abschreckung ohne die USA müsse Europa eigene „enabling capabilities“, etwa Transportkapazitäten, weiterentwickeln – und ein Modell für den Fall des Rückzugs der Vereinigten Staaten ersinnen. Zum Beispiel eine Übertragung von US-geführten Nato-Strukturen auf Europa.
Das „Verteidigungspaket“ von EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen dabei sei „nur ein erster Schritt“. Langfristige Finanzierung, stärkere Zusammenarbeit in der Verteidigung und gemeinsame Rüstungsbeschaffung tue Not. Steindl hat auch eine sehr allgemeine Mahnung: „Zentral ist auch, dass die Europäer strategisches Denken (wieder) erlernen und die derzeitige Praxis beenden, die eigene Perspektive auf andere Staaten zu projizieren: ‚Russland muss einsehen …, die USA werden erkennen …‘“. Stattdessen brauche es konkrete Pläne: Etwa, welche westeuropäischen Staaten einspringen, wenn US-Truppen von der Nato-Ostflanke abgezogen werden.
Trump könnte Europa einlassen: Wo es Hilfe geben könnte – und wie Orbán beizukommen ist
Neue Partner und Problemfälle im Bündnis: „Grundsätzlich gilt es, weiter mit allen NATO-Partnern eng zu koordinieren“, mahnt Steindl – etwa mit Großbritannien, Norwegen, den Mitgliedern am Balkan oder der Türkei. Auch weltweit gebe es gleichgesinnte Staaten. Steindl nennt Australien, Japan, Neuseeland und Südkorea. Für diese Länder stünden ebenfalls US-Zusicherungen infrage.
Andererseits gibt es Probleme im eigenen Haus: Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán drohte schon im Vorfeld, Gipfelbeschlüsse zu verhindern. Wichtig seien Lösungen, die „von einzelnen Staaten nicht blockiert werden können“, sagt Steindl. Auch wegen der Partner außerhalb der EU müssten Beschlüsse außerhalb der gemeinsamen EU-Verteidigungspolitik fallen. Mittelfristig werde die EU aber wohl das Einstimmigkeitsprinzip kippen oder Ungarn das Stimmrecht entziehen müssen: „Beides ist natürlich mit großen Herausforderungen verbunden, ist jedoch unumgänglich, wenn die EU eine größere Handlungsfähigkeit erhalten soll.“ (fn)