Nachfolger von Fumio Kishida
Shigeru Ishiba: So tickt Japans neuer Premierminister
Shigeru Ishiba ist seit Dienstag Japans neuer Premierminister. Der 67-Jährige gilt als Militärfreak – und will Japans pazifistische Verfassung ändern.
Sollte sich eines Tages das Urzeitmonster Godzilla aus den Tiefen des Pazifischen Ozeans erheben, um Japans Städte plattzutrampeln: Shigeru Ishiba wüsste, was zu tun ist. „Dann könnte man wahrscheinlich einen Hilfseinsatz wie bei einer Naturkatastrophe starten“, sagte Japans damaliger Verteidigungsminister 2007 vor Journalisten. Heißt: Die Streitkräfte des Landes dürften eingesetzt werden, um das Biest auszuschalten. Auf derselben Pressekonferenz erklärte Ishiba noch – „zunächst lächelnd, dann zunehmend ernst“, wie damals die New York Times notierte – es gebe „keinen Grund zu leugnen, dass es unidentifizierte Flugobjekte und einige Lebensformen gibt, die sie kontrollieren“.
Es folgte ein kleiner medialer Aufschrei. Der wohl schnell in Vergessenheit geraten wäre, hätte Ishiba nicht im Jahr darauf erstmals versucht, Chef der großen japanischen Partei LDP zu werden. Und ein paar Jahre später nochmal. Und dann nochmal. Und ein viertes Mal. Bis es vergangene Woche, beim fünften Versuch, schließlich geklappt hat.
Dazu muss man wissen: Weil die LDP Japan seit ihrer Gründung 1955 fast ununterbrochen regiert, ist ihr Vorsitzender quasi automatisch Premierminister. Auch jetzt hat sie im Unterhaus eine Mehrheit, weswegen Shigeru Ishiba, ihr neuer Chef, am Dienstag (1. Oktober) als Nachfolger des glücklosen Fumio Kishida zum japanischen Premier gewählt wurde. Bei Neuwahlen Ende des Monats sollen dann die Japaner über seine Zukunft abstimmen. „Es ist wichtig, dass die neue Regierung so schnell wie möglich vom Volk bewertet wird“, sagte Ishiba am Montag.
Japans Regierungspartei sucht Neustart unter Shigeru Ishiba
Gegen sechs Mitbewerber und zwei Mitbewerberinnen hatte sich Ishiba im Rennen um den LDP-Vorsitz durchgesetzt. Nicht völlig überraschend zwar, weil er einer der bekanntesten der neun Kandidaten war. Allerdings ist Ishiba in Teilen seiner Partei auch äußerst unbeliebt. Weil er sehr oft sagt, was er denkt, was in einem Land wie Japan durchaus als Affront verstanden werden kann. Und mit seinen 67 Jahren ist er nicht unbedingt die naheliegendste Wahl für eine Partei, die sich selbst einen Neustart verordnet hat.
Denn die LDP war unter Kishida massiv unter Druck geraten. Ein beispielloser Spendenskandal hatte die Partei 2023 durchgeschüttelt. Kishidas Versuche, die Wogen zu glätten, halfen nichts, seine Beliebtheit stürzte ins Bodenlose, schließlich trat er zurück. Ishiba soll die Partei, die seit fast 70 Jahren beinahe ununterbrochen den Regierungschef stellt, nun zu alter Größe führen. Die LDP müsse wieder lernen, „freie und offene Diskussionen“ zu führen und „fair und unparteiisch“ sowie „bescheiden“ werden, sagte der neue Parteichef.
Japans neuer Premier Shigeru Ishiba: Träume von einer asiatischen Nato
Neben der Godzilla-Epsiode sind weitere Geschichten über Shigeru Ishiba überliefert, die ihn als etwas kauzigen Charakter erscheinen lassen. Etwa, dass er in seiner Freizeit Plastikmodelle von Kriegsschiffen und Kampfjets zusammenklebt. Wobei das doch irgendwie passt zu einem, der sich über viele Jahre während seiner politischen Karriere mit Sicherheitspolitik beschäftigt hat und das nun auch im neuen Amt tun wird.
Wichtig ist das vielleicht mehr als je zuvor. Denn unter Ishibas Vorgänger Kishida hat Japan eine erstaunliche Kehrtwende in seiner Verteidigungspolitik hingelegt, die auch den neuen Premier auf Jahre beschäftigen dürfte. So hatte Kishidas Regierung beschlossen, das Verteidigungsbudget zu verdoppeln, sie hat die Allianz mit Südkorea und vor allem den USA auf eine neue Stufe gehoben und die Rhetorik gegenüber China deutlich verschärft.
Shigeru Ishiba nun will einerseits Japans pazifistische Verfassung ändern, die den Streitkräften des Landes die Beteiligung an einem Krieg verbietet. Auch träumt er von einer Art asiatischer Nato, einem kollektiven Verteidigungsbündnis mit Ländern wie Australien, Neuseeland, Südkorea und den USA. Das von China bedrohte Taiwan hat er mehrfach besucht. Gleichzeitig aber tritt er für mehr Dialog mit Peking ein und fordert, die Allianz mit den USA müsse „gleichberechtigter“ werden. „Ich glaube nicht, dass Japan ein wirklich unabhängiges Land ist“, sagte Ishiba. In Japan, vor allem auf der südlichen Insel Okinawa, sind rund 55.000 US-Soldaten stationiert. Innerhalb der LDP steht Ishiba mit seiner USA-Skepsis allerdings ziemlich alleine da.
Frauen sind in Ishibas neuem Kabinett kaum vertreten
Während Shigeru Ishiba in verteidigungs- und sicherheitspolitischen Fragen „konservative Positionen“ vertrete, nehme er „in gesellschaftspolitischen Themen eine vergleichsweise liberale Haltung“ ein, schreibt Japan-Expertin Johanna Bieger von der Konrad-Adenauer-Stiftung. So unterstützt er eine Änderung des Namensrechts, die es Ehepartnern erlauben würde, unterschiedliche Nachnamen zu behalten; bislang müssen Frauen nach der Heirat den Familiennamen des Mannes annehmen. Seinem neuen Kabinett, das Ishiba nach seiner Wahl am Dienstag vorstellte, gehören allerdings nur zwei Frauen an – und 18 Männer.
Auch fordert er, die Abhängigkeit des Landes von der Atomkraft zu reduzieren und die Erneuerbaren auszubauen. In der Wirtschaft will Ishiba die Politik des 2022 ermordeten Shinzo Abe abwickeln, die auf immer neues Schuldenmachen setzte und gleichzeitig die Ungleichheit im Land vergrößert hat. Fumio Kishida hatte nur zögerlich einen Richtungswechsel begonnen, Ishiba setzt nun ganz auf eine Umverteilung von Reich zu Arm.
Ishiba, der 1986 als 29-Jähriger ins Parlament gewählt wurde, scheint überzeugt, den Aufgaben gewachsen zu sein. „Wenn jemand wie ich Premierminister werden sollte, dann wahrscheinlich zu einem Zeitpunkt, an dem Japan oder die LDP in einer großen Sackgasse steckt“, schrieb der protestantische Christ vor der Wahl in einem Buch. „Diese Entscheidung wird vom Himmel getroffen werden. Ohne göttlichen Willen würde so etwas niemals geschehen.“