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Frankfurter-Rundschau-Interview
Konflikt mit Israel eskaliert: So groß war die Gefahr durch Irans Atombombe – „Eine Minute vor zwölf“
Der Konflikt zwischen Israel und dem Iran eskaliert. Der Nahost-Experte Michael Wolffsohn im Interview über eine amerikanische Beteiligung und die historische Chance einer Revolution im Iran.
Die Angriffe zwischen Israel und Iran spitzen sich zu. Nach Israels Angriff auf das iranische Atomprogramm vom vergangenen Freitag folgen heftige Gegenschläge der Iraner – auch mit zivilen Opfern. In der Nacht zum Montag, dem 16. Juni, feuerte der Iran Hyperschallraketen auf Israel.
Der Nahost-Experte und Historiker Michael Wolffsohn hält eine aktivere Beteiligung der USA für möglich, glaubt aber trotzdem nicht an einen Flächenbrand in der Region. Im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau fordert er eine Veränderung des Völkerrechts.
Herr Wolffsohn, die Konfrontationen zwischen Israel und Iran eskaliert. Ist das der Beginn eines großen Krieges – gar eines Dritten Weltkrieges?
Nein, es ist eine völlig unrealistische Erwartung, dass es hier einen Flächenbrand geben könnte. Denn wer sind denn die Verbündeten des Iran? Russland ist mit dem Ukraine-Krieg mehr als beschäftigt. China ist weit weg und hat hier keine elementaren Interessen, die arabischen Nachbarn sind mehrheitlich sunnitisch und deswegen gegen den Iran eingestellt.
Wann kann es ein Zurück an den Verhandlungstisch und eine politische Lösung geben?
Das Ergebnis kann nur die nukleare Abrüstung des Iran sein. Sobald die erreicht ist, wird es auch einen Verhandlungstisch geben. Solange es die nicht gibt, wird die israelische Bombardierung – möglicherweise unterstützt – weitergehen …
Unterstützt durch die USA? Welche Rolle spielt US-Präsident Donald Trump?
Er ist außerordentlich hilfreich. Er hat Israel Waffen geliefert, die die Biden-Administration verweigert hat. Es gibt militärische und politische Unterstützung – bislang im defensiven Bereich.
Michael Wolffsohn
Der deutsche Historiker und Publizist ist ein anerkannter Experte für den Nahen Osten. Er lehrte von 1981 bis 2012 Neuere Geschichte an der Bundeswehruniversität in München. Er selbst leistete Wehrdienst in Israel, legte die israelische Staatsbürgerschaft aber 1984 ab.
Wolffsohn ist Autor zahlreicher Bücher, zuletzt „Feindliche Nähe: Von Juden, Christen und Muslimen“, in dem er ausgehend von der aktuellen Politik die Beziehungen und Konflikte der drei Weltreligionen analysiert (März 2025, Herder). In Berlin bemüht er sich in einer geerbten Wohnanlage um ein friedliches Miteinander in einem gemeinnützigen deutsch-jüdisch-islamisch-interkulturellen Kultur- und Integrationsprojekt.
Der Iran stand Experten zufolge unmittelbar vor der nuklearen Bewaffnung. Warum hat Israel genau jetzt zugeschlagen?
Weil es eine Minute vor zwölf war. Wir sehen jetzt, dass die Israelis über alles, was im Iran passiert, bestens informiert sind – das betrifft auch die Entwicklung des Atomprogramms.
Der israelische Regierungschef Benjamin Netanjahu ist auch in Israel umstritten. Wie steht die Bevölkerung zu dem Angriff auf den Iran?
Die israelische Bevölkerung ist in ihrer überwältigenden Mehrheit für diesen Angriff auf den Iran, auch die Opposition hat der Regierung ganz eindeutig Unterstützung zugesagt.
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Welche Rolle kann das iranische Volk spielen?
Das iranische Volk brennt darauf, dass das Mullah-Regime ausgeschaltet wird. Als Historiker kann ich nur sagen: Kriege von Außen sind immer ein Beschleuniger für innenpolitische Veränderung. Eine militärische Niederlage des Iran könnte eine Befreiung für die Bevölkerung sein, so wie das Ende des Dritten Reiches der Beginn der Befreiung für die Westdeutschen war.
Das iranische Militär ist samt seiner Revolutionsgarden durch diesen Krieg vollkommen absorbiert. Das bedeutet, dass die Bevölkerung die Möglichkeit hat, mit Massendemonstrationen die Entmachtung der iranisch islamistischen Führung zu überwinden. Seit Freitag gibt es unzählige Hinweise darauf, dass die Bevölkerung sich das wünscht.
„Es ist eine zeitliche Garantie für das Überleben Israels“
Was hat Israel mit den Angriffen bis jetzt erreicht?
Das Atomprogramm des Iran ist schon jetzt dramatisch geschädigt. Das bedeutet eine zeitliche Garantie für das Überleben Israels, die jetzt politisch abgesichert werden muss, wenn der Iran auf eine künftige atomare Bewaffnung verzichtet. Und das ist auch im Interesse des Iran selbst. Geht es der Bevölkerung gut? Nein, es geht ihr verheerend schlecht, weil keine lebenswichtigen Interessen der Iraner durch das Atomprogramm gedeckt werden.
Wann wird Israel die Angriffe einstellen?
Das klare militärisch Ziel Israels ist erstens die Ausschaltung der atomaren Anlagen, einschließlich der Uran-Anreicherungsinstallationen, zweitens die Ausschaltung der iranischen Drohnen und ihrer Produktionsstätten und drittens die Zerstörung der Raketenproduktionsstätten. Das ist in vollem Gange und nach jetzigem Stand zu einem Drittel umgesetzt. Bevor das abgeschlossen ist, ist es unrealistisch, dass sich der Iran an den Verhandlungstisch setzt. Das wird erst geschehen, wenn für die Mullahs die Notwendigkeit und Unabänderlichkeit ersichtlich wird.
Bei allem Verständnis für die Bedrohung Israels: Rechtfertigt das den Angriffskrieg?
Ein atomar gerüsteter Iran hätte Israel vernichten können. Man kann die israelische Politik nur verstehen, wenn man weiß, dass die jüdische Geschichte seit 3000 Jahren gekennzeichnet ist von einer ständigen Drohung, ausgelöscht zu werden. Die Regierung hat diesen Krieg mit all seinen Risiken nicht aus Jux und Tollerei begonnen. Es geht um die fundamentale Frage nach Sein oder Nichtsein des israelischen Staates. Und da kann das Völkerrecht nicht weiterhelfen.
„Das Völkerrecht darf nicht als Waffe gegen die Staaten gerichtet werden, die ums nackte Überleben kämpfen.“
Wieso?
Wenn das Völkerrecht erwiesenermaßen nicht verhindern kann, dass Staaten ausgelöscht werden, muss das Völkerrecht geändert werden. Es darf aber nicht dem bedrohten Staat das Recht genommen werden, sich zu verteidigen. Die Ukraine ist völkerrechtlich im Recht – hat es ihr geholfen, die unrechtmäßig besetzten Gebiete zurückzubekommen? Die tibetische Regierung ist im Recht gegenüber Zentralchina – hilft ihr das? Das Völkerrecht ist ein sehr ehrenwerter Versuch, eine humane Gesellschaft zwischenstaatlich zu erreichen, wenn es aber hart auf hart kommt, bleibt es leider bislang irrelevant. Das Völkerrecht darf nicht als Waffe gegen die Staaten gerichtet werden, die ums nackte Überleben kämpfen. Das ist ethisch inakzeptabel.
Israelische Politik in Gaza wurde in Deutschland zuletzt kritisiert. Wie nehmen Sie die Reaktionen auf die Offensive gegen den Iran in Deutschland wahr? Gibt es hier mehr Unterstützung?
Die Reaktionen sind verständnisvoller als in Bezug auf die Militäraktion im Gazastreifen. Aber das ist eine Frage der politischen Atmosphäre, nicht der Wirksamkeit. Die politische Wirksamkeit Deutschlands ist eine Möchtegern-Wirksamkeit. Feuerwerke von Demonstrationen hier werden im Nahen Osten nichts ändern.
Was kann Deutschland tun?
Gar nichts. Eine Verschärfung von Sanktionen wäre sinnlos. Es gibt sie seit Jahrzehnten, ohne dass sie die atomare Aufrüstung in irgendeiner Weise verhindert hätten.