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Beschlüsse beim Migrationsgipfel

Migrationsforscher über Leistungskürzungen: „Das wird den Zuzug nicht dramatisch ändern.“

Bezahlkarte statt Bargeld, Beschleunigung bei Asylverfahren und Leistungskürzungen für Asylbewerbungen: Doch begrenzen diese Maßnahmen die Migration wirklich? Ein Überblick.

Stundenlang haben Bund und Länder im Kanzleramt über den Kurs in der Migrationspolitik gerungen. Sie einigten sich in der Nacht zum Dienstag schließlich auf eine neues Finanzierungssystem zur Versorgung Geflüchteter und Leistungskürzungen für Asylbewerber. Der Politikwissenschaftler und Migrationsforscher Stefan Luft von der Universität Bremen ordnet gegenüber Ippen.Media die Beschlüsse des Migrationsgipfels von Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und den 16 Länder-Chefs ein.

„Atmendes System“ zur Flüchtlingsfinanzierung

Anstatt jedes Jahr neu über die milliardenschwere Beteiligung des Bundes zu verhandeln, bekommen die Länder nun eine Pauschale von jährlich 7500 Euro pro Geflüchtetem. Dieses „atmende System“ trägt damit automatisch der Zahl der zu versorgenden Menschen Rechnung. Die Länder hatten allerdings vor dem Treffen mit Scholz noch 10 000 Euro pro Flüchtling gefordert. Zusammen mit anderen Maßnahmen ergeben sich laut Bundesregierung im kommenden Jahr für Länder und Kommunen Entlastungen von 3,5 Milliarden Euro. Laut Stefan Luft, Migrations- und Integrationsforscher der Universität Bremen ist „das mehr als bisher – deswegen sind dahingehende Entlastungen für Kommunen erwartbar“.

Leistungskürzungen für Asylbewerber

Asylbewerber sollen künftig sogenannte Analogleistungen in Höhe der Sätze der regulären Sozialhilfe erst nach 36 und nicht mehr nach 18 Monaten bekommen – dies macht monatlich bei Alleinstehenden einen Unterschied von 92 Euro aus und bedeutet außerdem länger eine eingeschränkte Gesundheitsversorgung. Zudem sollen Leistungen wie Essen in staatlichen Unterkünften auf Zahlungen angerechnet werden.

Laut Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) führt dies voraussichtlich zu Einsparungen von einer Milliarde Euro. Damit werde „auch die Anziehungskraft des deutschen Sozialstaats reduziert“. Doch Migrationsforschen Luft erklärt: „Das wird den Zuzug nicht dramatisch ändern.“ Denn: „Die Entscheidung für ein Zielland wird von verschiedenen Faktoren beeinflusst.“ Dazu würden zwar auch die sozialen Leistungen im Zielland gehören, aber auch Faktoren wie Netzwerke vor Ort, erklärt Luft.

Bezahlkarten statt Bargeld

Bund und Länder wollen für Geflüchtete Bezahlkarten einzuführen, mit denen sie Güter des täglichen Bedarfs bargeldlos einkaufen können. Dies würde Möglichkeiten einschränken, Geld zurück in Heimatländer zu überweisen, was teils als Anreiz zur Flucht nach Deutschland gesehen wird. Die Länder sollen nun „bundeseinheitliche Mindeststandards“ für die Bezahlkarte ausarbeiten, der Bund will sie dabei unterstützen. Bis Ende Januar 2024 soll ein Modell zur Einführung stehen.

Eine solche Bezahlkarte sei sinnvoll, lobt Luft. Die Beiträge seien schließlich dazu da, um „die Existenz für den Aufenthalt in Deutschland zu sichern und nicht dafür, um Schleuser zu bezahlen oder die im Herkunftsland verbliebenen Landsleute zu unterstützen“, sagt Luft.

Beschleunigung von Asylverfahren

Gemeinsames Ziel ist es laut Scholz, die Dauer von Asylverfahren auf sechs Monate samt Einspruch vor Gericht zu begrenzen. Laut Beschlusspapier soll der Anhörungstermin für Asylbewerber künftig „spätestens vier Wochen“ nach Antragsstellung erfolgen. Die behördliche Entscheidung über das Gesuch soll noch in der Erstaufnahmeeinrichtung erfolgen. Verfahren für Angehörige von Staaten mit einer Anerkennungsquote von weniger als fünf Prozent sollen möglichst in drei Monaten abgeschlossen werden.

Doch Luft sieht darin keine große Chance. „Es hat wenig Sinn die Verfahren an einer Stelle zu beschleunigen, um sie an anderer Stelle wieder durch ein Nadelöhr zu führen.“ Die Zahl der Asylbewerber sei gestiegen, hingegen sei die Zahl der Mitarbeiter für solche Asylverfahren nicht nicht entsprechend angestiegen. Und so einfach können keine neuen Mitarbeiter eingestellt werden. „So ein Entscheider beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge muss viele juristische und geografische Kenntnisse haben“, erklärt Migrationsforscher Luft.

Prüfung von Asylverfahren in Drittstaaten

Vor allem die unionsgeführten Länder fordern, dass Asylverfahren künftig auch außerhalb Europas erfolgen sollen, etwa in Afrika. Scholz verwies hier erneut auf juristische Bedenken und auf Zweifel an der Umsetzbarkeit. Er sagte nun aber zu, diese Möglichkeit zu prüfen. Auch Luft bekräftigt: „Mit Asylverfahren in Drittstaaten kann der Zuzug von Menschen nachhaltig reduziert werden.“ Ein Asylberechtigter könne dann von einem Drittstaat in die Europäische Union (EU) gebracht werden. „Dafür müsse die Europäische Union und das Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) mit Nachdruck Ankerzentren in Drittstaaten aufbauen“, sagt Luft.

Mehr Abschiebungen durch Migrationsabkommen

Die Weigerung vieler Herkunftsländer, ihre Staatsangehörigen zurückzunehmen, sei „eine der größten Hürden“ für mehr Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber, heißt es in dem Beschluss. Ziel müsse deshalb sein, mit solchen Ländern Migrationsabkommen zu schließen. Anreiz sollen dabei Angebote zur legalen Einwanderung von Arbeits- und Fachkräften sein. Die Gespräche über solche Vereinbarungen sollen nun „auf höchster Ebene intensiv vorangetrieben werden“. Die Bundesregierung will sich zudem dafür einsetzen, dass das EU-Türkei-Abkommen wiederbelebt wird.

Luft betont, man dürfe „nicht zu hohe Erwartungen an solche Abkommen haben“. Die meisten Abschiebungen „kommen nicht zustande, weil die Identität der Betroffenen nicht geklärt ist. Viele vernichten ihre Pässe, weil sie dann nicht abgeschoben werden können.“ Es sei die Aufgabe der deutschen Behörden, „dafür zu sorgen, dass nicht so viele Verfahren missbräuchlich betrieben werden“.

Grenzkontrollen zu Nachbarländern

Die im Oktober eingeführten stationären Kontrollen an den Grenzen zu Polen, Tschechien und der Schweiz werden aufrechterhalten – laut Scholz „über lange Zeit“. An der bayerischen Grenze zu Österreich sind schon vor acht Jahren Grenzkontrollen errichtet worden. Der Plan ist es jetzt: Flüchtlinge, die aus anderen EU-Staaten nach Deutschland wollen, möglichst direkt an den Grenzen zurückzuschicken.

Deshalb sollen laut Beschluss Kontrollen bei Einverständnis des Nachbarstaats „bereits vor der deutschen Grenze durchgeführt und die dortigen Zurückweisungsmöglichkeiten genutzt“ werden. „Das ist vor allem ein Signal an die Schleuser“, erklärt Luft. Dennoch würden durch Kontrollen an den Grenzen nicht alle Menschen zurückgewiesen werden.

Kommission zu Migrationsfragen

Zu weiteren Fragen der Steuerung der Migration und Verbesserung der Integration will die Bundesregierung eine Kommission einsetzen. Sie soll unter Einbeziehung gesellschaftlicher Gruppen gebildet werden. Eine solche Kommission „wird nicht schaden, aber man weiß doch wo die Probleme liegen“, kritisiert Luft.

Rubriklistenbild: © Arne Dedert/dpa

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