Um Ihnen ein besseres Nutzererlebnis zu bieten, verwenden wir Cookies.
Durch Nutzung unserer Dienste stimmen Sie unserer Verwendung von Cookies zu.
Weitere Informationen
Für die Finanzierung unseres journalistischen Angebots sind wir auf die Anzeigen unserer Werbepartner angewiesen.
Klicken Sie oben rechts in Ihren Browser auf den Button Ihres Ad-Blockers und deaktivieren Sie die Werbeblockierung für
. Danach können Sie gratis weiterlesen.
Lesen Sie wie gewohnt mit aktiviertem Ad-Blocker auf
Jetzt für nur 0,99€ im ersten Monat testen
Unbegrenzter Zugang zu allen Berichten und Exklusiv-Artikeln
Lesen Sie nahezu werbefrei mit aktiviertem Ad-Blocker
Sie haben das Produkt bereits gekauft und sehen dieses Banner trotzdem? Bitte aktualisieren Sie die Seite oder loggen sich aus und wieder ein.
Interview mit Nicole Gohlke
Linke alarmiert: „Friedrich Merz‘ Ankündigung hat uns Angst gemacht“
Bringt CDU/CSU ihr Asylpaket mit Stimmen der AfD durch? „Die Brandmauer nach rechts ist sehr bröckelig“, so Nicole Gohlke (Linke) im Interview
Nicole Gohlke hat es nicht leicht im Wahlkampf. Die gebürtige Münchnerin tritt für die Linke in einem Bundesland an, in dem ihre Partei historisch gesehen noch nie wirklich eine Chance hatte. Bei der Bundestagswahl 2021 schnitt die Linke nirgendwo schlechter ab als in Bayern, noch nie schaffte sie es dort in den Landtag. Und auch im Bund lief es lange schlecht. Wegen eines „öffentlichen Ehestreits mit Sahra Wagenknecht“, sagt Gohlke im Interview mit dem Münchner Merkur.
Die Spitzenkandidatin der Bayern-Linke meint nun: „Die Parteiabspaltung hat uns gutgetan.“ Zudem mahnt Gohlke vor einer „sehr bröckeligen“ Brandmauer nach rechts, fordert einen „Mietendeckel“ und will ein grundlegend neues Schulsystem.
Asylanträge der Union: „Die Brandmauer nach rechts ist sehr bröckelig“
Die Anträge der Union sind ein Dammbruch. Friedrich Merz‘ Ankündigung, auch mit den Stimmen der AfD seinen Antrag durchzubringen, hat uns Angst gemacht. Das zeigt: Die Brandmauer nach rechts ist sehr bröckelig.
Aber soll man Anträge nicht einreichen, weil möglicherweise unliebsame Parteien zustimmen könnten?
Ich kann nicht für die Union sprechen, weil ich politisch so weit entfernt von ihr bin. Aber auch wir Linken hatten schon Anträge, bei denen wir damit rechnen mussten, dass die AfD zustimmt, etwa bei Anträgen zu Freihandelsabkommen. Man kann einen Antrag so formulieren, dass er für die AfD nicht zustimmungsfähig ist. Man sollte als Demokrat deutlich sein, mit wem man zusammenarbeiten will. Merz aber hat eine Einladung ausgesprochen. Er ist bereit, mit der AfD inhaltlich zusammenarbeiten.
Die Union schreibt das ja auch in ihrem Antrag. Da heißt es: Die AfD sei „kein Partner, sondern unser politischer Gegner“...
Ja, das hat die Union jetzt eingebaut. Merz ist etwas zurückgerudert, auch wegen Druck aus den eigenen Reihen. Die Union schreibt aber auch, dass von rechter wie linker Seite Hetze gegen Migranten ausgehe. Das ist absurd.
Nicole Gohlke zu Gast im Münchner Pressehaus. Sie sitzt seit 2009 für die Linke im Deutschen Bundestag und ist Spitzenkandidatin ihrer Partei für Bayern.
Nicole Gohlke: „Die Unions-Gleichsetzung von AfD und Linke ist eine Unverschämtheit“
In dem Antrag heißt es auch: „Die aktuelle Asyl- und Einwanderungspolitik gefährdet die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger.“ Gehen Sie da mit?
Die Sicherheit der Bürger ist andauernd gefährdet. Aber nicht durch zugewanderte Menschen per se. Vor allem die soziale Sicherheit ist gefährdet. Dadurch hat eine Verrohung in die Gesellschaft Einzug erhalten, die sich in Aggressionen entlädt. Ich sehe die Ursachen für mangelnde Sicherheit wirklich woanders als in der Asyl- und Einwanderungspolitik.
Was entgegnen Sie Menschen, die mit Blick auf die Kriminalitätsstatistik zu dem Schluss kommen, dass vor allem junge Männer mit Migrationshintergrund an Straftaten beteiligt sind, etwa bei Gewalt mit Messern?
Diese Zahlen sind mit Vorsicht zu genießen. Wir wissen zum Beispiel auch, dass Migrantinnen und Migranten eine der größten von Gewalt betroffenen Gruppen sind. Die größte Gewalt geht von rechts aus. Das ist eine Debatte, die wir seit Monaten gar nicht mehr führen. Natürlich gibt es auch Migranten, die Gewalt verüben. Und jede Gewalttat muss geahndet werden. Aber von einer Gewalttat einer Einzelperson auf eine ganze Gruppe zu schließen, ist unzulässig.
Die Union hat ja auch einen Unvereinbarkeitsbeschluss mit der Linken. Beruht der auf Gegenseitigkeit?
Wir haben eine klare Unvereinbarkeit mit der AfD. Ansonsten sind wir bereit, mit allen demokratischen Parteien zusammenzuarbeiten. Von einigen trennen uns aber die politischen Inhalte meilenweit. Die Unions-Gleichsetzung von AfD und Linke ist eine Unverschämtheit. Es ist einfach nicht so, dass von links eine gleichwertige Gefahr ausgeht wie von rechts.
Wie sollte man denn mit der AfD umgehen? Diese Woche diskutiert der Bundestag auch über ein AfD-Verbotsverfahren.
Ja, das habe ich auch unterzeichnet. Ich habe mir das nicht leicht gemacht, aber ich bin dafür, dass man ein Verbot zumindest prüfen sollte. Ein Verbotsverfahren reicht aber natürlich nicht aus, um den Faschismus und die Gefahr von rechts wieder in den Griff zu bekommen. Aber es kann ein Baustein sein.
Klar ist auch: Es waren politische Versäumnisse, die die AfD stark gemacht haben. SPD und Grüne gehen zwar bei Demos gegen Rechts vorneweg und posten schöne Selfies, das reicht aber nicht aus im Kampf gegen Rechts. Es gibt viel Frust bei den Menschen über Abstiegsängste, die marode soziale Infrastruktur, steigende Mieten, die sozialen Schieflagen. Die sozialen, arbeitsmarktpolitischen und wirtschaftlichen Versäumnisse der letzten 20 Jahre haben den Grundstein dafür gelegt, dass rechte Politik überhaupt so stark geworden ist…
… anders als linke Politik. Ihre Partei steht in bundesweiten Umfragen teils unter fünf Prozent und kämpft ums politische Überleben. Woran liegt‘s?
Viele unserer Probleme in der Vergangenheit waren hausgemacht. Wir haben uns acht Jahre lang einen öffentlichen Ehestreit mit Sahra Wagenknecht geliefert. Das hat die Menschen abgeschreckt. Die Leute hatten das Gefühl, dass wir nur mit uns selbst beschäftigt sind, nur streiten. Das stimmte ein Stück weit ja auch.
Und jetzt ist es besser?
Die Parteiabspaltung hat uns gutgetan. Wir finden zu einer neuen Geschlossenheit zurück und verzeichnen einen hohen Mitgliederzuwachs. Ich merke das auch an den Infoständen. Früher gab es viele Sahra-Wagenknecht-Debatten, über den Umgang der Partei mit ihr, über ihr Buch. Jetzt wollen die Menschen endlich wieder über unsere Inhalte sprechen.
Haben Sie das Buch denn gelesen?
Ich hatte keine Lust, mir das zu kaufen. Aber ein Genosse hatte es, sodass ich es auszugsweise gelesen habe.
Sahra Wagenknecht schreibt in ihrem Buch von „Lifestyle-Linken“, die sich mehr mit moralischen Aspekten, Konsumgewohnheiten oder Gendersprache statt den echten Problemen der Menschen beschäftigen würden. Hat sie recht?
Das, was sie da beschreibt, trifft eher auf die Grünen zu als auf uns. Ich kann mich an keinen Wahlkampf von uns erinnern, in dem nicht die Themen Mieten, Mindestlohn, Rente und Gesundheit im Mittelpunkt gestanden wären. Frau Wagenknecht hatte da immer einen sehr eingeschränkten Blickwinkel. Und sie begeht einen grundlegenden Fehler, dass sie Diskriminierungen gegeneinander ausspielt. Dass Linke gegen Diskriminierung kämpfen, ist für mich völlig selbstverständlich. Wozu es führt, wenn sie das nicht tun, sieht man jetzt beim BSW. Da wird gegen sozial Schwache ausgeteilt, etwa gegen Menschen im Bürgergeld.
Ein Bild vor dem „öffentlichen Ehestreit“: Nicole Gohlke und Sahra Wagenknecht im Jahr 2013, damals noch gemeinsam für die Linke im Bundestag. Anfang 2024 gründete Wagenknecht das nach ihr benannte BSW.
Die Mietpreisbremse ist so schlecht, dass es ein neues Konzept braucht. Trotz Mietpreisbremse gibt es in Aschaffenburg Mietsteigerungen von elf Prozent, in Erlangen sind es acht, in München fast sechs Prozent. Die Mietpreisbremse bremst keine Mieten.
Warum?
Weil es viel zu viele Schlupflöcher gibt. Sie gilt nicht für Indexmieten, nicht bei Neubauten und nicht einmal bei laufenden Mietverhältnissen. Der Mietendeckel soll da deutlich mehr machen. Dadurch sollen jetzt schon überhöhte Mieten auf den Mietspiegel abgesenkt werden. Für mindestens sechs Jahre darf es laut unserem Plan keine Mieterhöhung geben.
Linke will gänzlich neue Schulform: „total überholtes“ System
Sie sind Sprecherin für Bildung. Im Wahlprogramm wirbt die Linke für eine „Schule für alle“. Also Schluss mit Gesamtschule, Realschule, Gymnasium?
Ja. Schule für alle bedeutet, dass die Schüler nicht nach der vierten Klasse aufgeteilt werden. Deutschland ist das Land mit der krassesten sozialen Spaltung im Schulsystem und mit der stärksten Vererbbarkeit von Bildungsabschlüssen. Es wäre irrsinnig, keine Schlüsse daraus zu ziehen. Alle Länder, die erfolgreicher in den Pisa-Studien sind, haben ein anderes Bildungssystem. Davon sollten wir lernen.
Also von den skandinavischen Ländern?
Zum Beispiel, ja. In Island sind Schülerinnen und Schüler bis zur elften Klasse zusammen, in Portugal bis zur zehnten. Der Umbau des Schulsystems ist Ländersache und wird nicht von heute auf morgen funktionieren. Aber wir müssen darüber reden. Auch das Durchfallen ist so eine Frage, die man mal überdenken sollte.
Man sollte nicht mehr durchfallen können?
Unser Schulsystem basiert darauf, möglichst viel auszusortieren. Aber wichtig ist, dass möglichst viele am Ende mit einem guten Gefühl und mit etwas Gelerntem ins Leben starten – und nicht, dass Neunjährige ihr Grundschulabitur bekommen und dann einer Schulform zugewiesen werden. Das ist total überholt. Die CSU oder auch die Freien Wähler halten aber daran fest.
CSU-Chef Markus Söder lobt das bayerische Schulsystem regelmäßig. Die Statistik, etwa das Pisa-Abschneiden Bayerns, gibt ihm doch recht, oder nicht?
Bayern sortiert wahnsinnig viel aus. Natürlich ist der Schnitt von den Schülern, die übrig bleiben, dann besser als woanders.
Hat das Bremer Abitur das Niveau einer niederbayerischen Baumschule, wie es Markus Söder gerne sagt?
Das sind natürlich sehr anmaßende und arrogante Sätze. Die Wahrheit ist: Bayern leistet sich ein unglaublich hohes Maß an Bildungsverlierern. Bayern ist Schlusslicht in puncto Chancengerechtigkeit. Anstatt die UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen, schafft Bayern immer mehr Förderschulplätze. Wir setzen dagegen auf längeres gemeinsames Lernen. (Interview: Andreas Schmid)