„Gefährlich“
„Völlig falsch dargestellt“: Grafik zeigt unbequeme Wahrheit über Migration
Migration ist nach den Angriffen in Magdeburg und Aschaffenburg das zentrale Thema im Wahlkampf. Aber was hat sie wirklich mit Gewaltkriminalität zu tun?
Nach dem Messerangriff von Aschaffenburg mit zwei Toten kündigte der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz an, eine schärfere Migrationspolitik durchzusetzen, wenn er Kanzler werde.
Doch „worum geht’s nochmal?“, fragt ein User auf Linkedin. Dazu teilt er eine Grafik mit der Überschrift „Kein Anstieg von Gewalttaten durch Zuwanderung“. Sie zeigt, wie sich eine rote Linie (Fälle von Gewaltkriminalität pro 100.000 Einwohner) und eine blaue Linie (Ausländeranteil in Prozent) etwa 2016 kreuzen und Gewaltdelikte abnehmen.
Ist die Grafik, die sich schon vor drei Monaten auf Reddit verbreitete, valide? Und warum verlaufen die Linien nach 2021 parallel?
Kein Anstieg von Gewalttaten durch Zuwanderung - Vergleich von Gewaltkriminalität und Ausländeranteil in Deutschland, Entwicklung der letzten 20 Jahre
byu/Avayren inStaiy
Grafik zeigt: Kein Anstieg von Gewalttaten durch Zuwanderung
„Die Gewaltkriminalität war zwischen 2007 und 2019 insgesamt deutlich rückläufig, und das bei einem erheblichen Anstieg des Migranten-Anteils in der Bevölkerung in diesem Zeitraum. Das kann man festhalten, da das manchmal völlig falsch dargestellt wird“, sagt Christian Walburg von der Deutschen Hochschule der Polizei in Münster BuzzFeed News Deutschland von IPPEN.MEDIA.
Der Anstieg der offiziell erfassten Gewalttaten seit etwa 2022 könnte mit ungünstiger gewordenen gesellschaftlichen Rahmenbedingungen zu tun haben, den Nachwirkungen der Corona-Pandemie etwa oder mit größeren wirtschaftlichen Problemen. Nicht unbedingt mit der Zuwanderung. „Darauf haben wir noch keine kriminologische Antwort“, sagt die Soziologin Gina Wollinger von der Hochschule für Polizei und öffentliche Verwaltung (HSPV) in Nordrhein-Westfalen BuzzFeed News Deutschland.
Also stimmt die Aussage: „Kein Anstieg von Gewalttaten durch Zuwanderung“? Die Grafik sei ein wenig „irreführend“, weil die Gewaltkriminalität vielleicht noch ein wenig stärker zurückgegangen wäre, wenn weniger Geflüchtete zugezogen wären, sagt Walburg, denn die relative Zahl der Gewalttaten sei unter Geflüchteten höher als unter Einheimischen. Das liege daran, dass unter Geflüchteten mehr junge Männer seien, mehr Menschen in prekärer Lebenssituation und ohne soziale Einbindung, mehr Menschen mit eigenen Gewalterfahrungen und psychischen Belastungen und zum Teil auch mit gewaltbegünstigenden Männlichkeitsbildern.
Soziologin über Gewaltkriminalität und Migration: „Gewalt ist nicht importiert“
„Gewalt ist nicht importiert“, sagt Wollinger BuzzFeed News Deutschland. Zahlen des Bundeskriminalamts zeigten beispielsweise, dass Hasskriminalität, ein Aspekt von Gewaltkriminalität, seit Jahren kontinuierlich zunehme. Jedes Jahr erreicht sie momentan einen neuen Höchststand, die meisten Straftaten sind rechts motiviert. „Auch das spricht dafür, dass Migration kein Gewalttreiber ist.“
Sie könne die Sorge von Menschen nach solchen Taten im öffentlichen Raum wie in Solingen, Magdeburg oder Aschaffenburg nachvollziehen. Aber die Gefahr, dass man von einer fremden Person in der Öffentlichkeit angegriffen werde, sei „sehr gering“. Gewalt passiere größtenteils „im sozialen Nahraum“ unter Menschen, die sich kennen. „Auch unter Geflüchteten begehen nur sehr wenige schwere Gewalttaten, das ist immer wieder wichtig zu betonen. Jegliche Pauschalisierung ist also verfehlt und höchst problematisch“, sagt Walburg.
Merz schärfere Migrationspolitik „kann Migranten noch mehr stigmatisieren“
Ja, es könne sein, dass sich traumatische Erfahrungen und das soziale Umfeld bei Geflüchteten auf ihre Gewaltbereitschaft auswirkten. Aber dagegen könnte Deutschland etwas tun, sagt Rafael Behr BuzzFeed News Deutschland. Er war bis 2024 Professor für Kriminalwissenschaften an der Hochschule in der Polizeiakademie Hamburg. „Wir würden sicher auch mehr delinquente Auffälligkeiten von deutschen Bundeswehrsoldaten (Kriegsveteranen) erleben, wenn diese nicht psychiatrisch und psychotherapeutisch gut versorgt werden würden.“
Wollinger gibt zu bedenken, dass eine schärfere Migrationspolitik Migration nicht unbedingt verhindere, sondern sie nur illegal mache. „Im Gegenteil: Etwas zu kriminalisieren kann gefährlich sein, kann Migranten noch mehr stigmatisieren und einen Abwendungsprozess von dem Land, in das sie eingewandert sind, befeuern“, sagt sie.
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