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Auswertung mit Abgeordnetenwatch
Brandmauer Thüringen: In 18 namentlichen Abstimmungen stimmen CDU und AfD nur zweimal klar gegeneinander
Die Thüringen-Wahl dürfte der AfD Zuwächse bringen. Fragt sich: Wird die Brandmauer stehen? Daten aus Erfurt könnten irritieren.
Jena/München – Keine Mehrheiten mit der erstarkten AfD – das war die erklärte Marschroute nach der letzten Landtagswahl in Thüringen. Und sie wurde früh und mit lautem Knall gebrochen. Im Februar 2020 wählte das Parlament in Erfurt den FDP-Politiker Thomas Kemmerich mit Stimmen von Liberalen, CDU und AfD zum Ministerpräsidenten. Der ebenso geräuschvolle Ausgang ist bekannt. Wenn nun die Umfragen nicht täuschen, wird im neuen Parlament nicht nur die Regierungschef-Kür ähnlich schwierig.
Ein „Stabilitätspakt“ zwischen Bodo Ramelows Rot-Rot-Grün und der CDU zerbrach im Sommer 2021 zusammen mit Neuwahl-Plänen. In den zurückliegenden drei Jahren kamen nun mehrfach Mehrheiten mit Unterstützung der AfD zustande. Nicht nur das zeigt eine Auswertung namentlicher Abstimmungen im Thüringer Landtag von IPPEN.MEDIA in Zusammenarbeit mit dem Portal abgeordnetenwatch.de deutlich.
Ins Auge sticht: Fast scheint es in den 18 namentlichen Abstimmungen seit der Sommerpause 2021, als hätten es Christdemokraten und die als rechtsextrem eingestufte Thüringer AfD vermieden, offen gegeneinander zu stimmen. Nimmt man die weniger klar analysierbaren nicht-namentlichen Abstimmungen hinzu, ergeben sich aber auch Fragen an Linke, SPD und Grüne. Und natürlich solche ganz grundsätzlicher Art.
AfD und CDU im Thüringer Landtag: Der Eklat hätte schon früher passieren können
Namentlich abgestimmt wird im Thüringer Landtag – und anderen deutschen (Landes-)Parlamenten – nur ausnahmsweise. Repräsentativ für das Abstimmungsverhalten im Landtag sind die vorliegenden Daten deshalb nicht. Ihr Vorteil aber: Sie dokumentieren glasklar, wer wie stimmt. In die Daten eingeflossen sind alle namentlich Abstimmungen, mit Ausnahme einer Reihe von kleinteiligen Voten zum Thüringer Haushalt.
Zwei der 18 betrachteten Fälle stechen heraus, auch was ihre Wirkung betrifft: Am 14. September 2023 verabschiedete das Parlament eine Senkung der Grunderwerbssteuer mit den Stimmen von CDU, AfD, FDP, zweier fraktionsloser Ex-AfD-Politiker sowie eines früheren FDP-Fraktionsmitglieds. Und bereits am 10. November 2022 passierte in ganz ähnlicher Konstellation ein Antrag mit dem Titel „Gendern? Nein Danke!“ den Landtag – Unterschied damals: Die FDP-Gruppe blieb der Abstimmung komplett fern.
Sowohl Enthaltungen als auch Gegenstimmen bedeuten, dass die Anträge für uns nicht zustimmungsfähig waren.
Beide Male stammten die Anträge von der CDU und ohne AfD-Stimmen hätte es keine Mehrheit gegeben. Durchaus pikant auch: Es hätte schon früher zum Eklat kommen können. Einem CDU-Antrag für ein neues Schulgesetz fehlten im Dezember 2021 fünf Stimmen zur Verabschiedung. Sechs AfD-Abgeordnete hatten sich enthalten, elf dafür gestimmt. Bemerkenswerterweise hatte ein CDU-Abgeordneter mit Nein gestimmt, zwei Linke-Vertreter enthielten sich.
Fast nie ein „Nein“ gegeneinander: Wie AfD und CDU in Thüringen (namentlich) abstimmen
Noch unübersichtlicher ist die Sachlage bei Nein-Stimmen – per se für Anträge zu stimmen, nur weil die AfD dagegen ist, wäre eine offenkundig unsinnige Forderung. Trotzdem könnten die Daten Stirnrunzeln provozieren. Denn in den 18 namentlichen Abstimmungen in den vergangenen drei Jahren votierten CDU und AfD nur zwei Mal geradewegs gegeneinander. Das nicht etwa, weil nur Regierungsanträge zur Betrachtung stehen. Nur vier der Abstimmungen betrafen Anträge der Regierung oder der Regierungsfraktionen. Und just einer davon war es sogar, der CDU und AfD spaltete: Die Christdemokraten votierten für eine Reform beim juristischen Nachwuchs des Landes, die AfD dagegen.
Datum
Antrag von
Thema
Votum CDU
Votum AfD
11/2023
CDU
Landesaufnahmeprogramme stoppen
Ja
Ja
09/2023
CDU
Grunderwerbssteuer senken
Ja
Ja
06/2023
AfD
Stromtrassen verhindern
Enthalten (1x Ja)
Ja
06/2023
CDU
Heizungsgesetz verhindern
Ja
Ja
02/2023
CDU
Gesellschaftsjahr einführen
Ja
Enthalten
02/2023
CDU
Flächendeckende Gesundheitsversorgung
Ja
Enthalten
11/2022
AfD
Energiepolitische Ausrichtung
Enthalten
Ja
11/2022
CDU
Bürgergeldreform ablehnen
Ja
Ja
11/2022
CDU
Gendern: Nein, danke!
Ja
Ja
07/2022
AfD
Abstandsregeln Windkraft
Enthalten
Ja
06/2022
AfD
Lasten von EU-Klimaschutzmaßnahmen
Nein
Ja
12/2021
CDU
Schulgesetz
Ja
11x Ja, 6x Enthalten
In der Tabelle erfasst sind alle namentliche Abstimmungen zu Vorstößen von AfD und CDU im Thüringer Landtag seit Sommer 2021. Quelle: abgeordnetenwatch.de
Bleiben 14 weitere namentliche Abstimmungen. Das Ergebnis: Bei drei von vier AfD-Anträgen enthielt sich die CDU – dem mit dem Titel „Suedlink- und Suedostlink-Trassen verhindern“ stimmte der CDU-Parlamentarier Michael Heym sogar zu. Er wollte schon 2019 mit der AfD über ein Regierungsbündnis sprechen. Für den neuen Thüringer Landtag kandidiert er nicht mehr. Ein klares Nein der CDU zu einem Vorstoß der AfD gab es nur bei einem Antrag zu Klimaschutzmaßnahmen der EU. Die AfD wiederum stimmte sechs von acht CDU-Anträgen (mehrheitlich) zu, zweimal enthielt sie sich.
Warum aber setzte die CDU auf Enthaltungen statt auf ein „Nein“? Die Landtagsfraktion ging auf eine Anfrage von IPPEN.MEDIA nicht ins Detail. „Sowohl Enthaltungen als auch Gegenstimmen bedeuten, dass die Anträge für uns nicht zustimmungsfähig waren“, erklärte ein Pressesprecher. Allerdings gab es aus Erfurt auch eine Art Versprechen: „Wir haben in der Vergangenheit keinen parlamentarischen Initiativen der AfD-Fraktion zugestimmt und werden dies auch in Zukunft nicht tun.“
Brandmauer um AfD in Thüringen: Auch Ramelows Rot-Rot-Grün musste sich Vorwürfe anhören
Nun ist die Thüringer Brandmauer-Debatte hochkomplex – und reicht über das etwas willkürliche Datensample der namentlichen Abstimmungen hinaus. Die Thüringer AfD-Fraktion etwa dokumentiert 41 eigene parlamentarische Anträge (Stand: 21. August) seit Herbst 2022; davon übrigens nur drei aus dem Jahr 2024. Keiner hat eine Mehrheit gefunden. Von einer Art Schatten-Koalition kann also nicht ansatzweise die Rede sein. Zugleich musste sich auch Bodo Ramelows Minderheitsregierung schon Vorwürfe anhören, Vorhaben mithilfe von AfD-Stimmen durchzubringen.
Im April 2023 etwa hatte Rot-Rot-Grün mit Stimmen der AfD einen Untersuchungsausschuss zur Personalpolitik der Landesregierung abgeändert. Ein Tabubruch? Der Linke Steffen Dittes und die Grüne Madeleine Henfling dementierten. „Was die #noAfD bei der Abstimmung macht, hat keine Rolle gespielt, da 42:25 eine Mehrheit ist“, schrieb Henfling auf X. 42 Sitze hat die Koalition, 25 haben CDU und FDP. Die AfD hat allerdings 19 Stimmen im Plenum, was theoretisch für ein Nein zum Antrag genügt hätte. Dittes betonte indes, die CDU habe vor der Abstimmung den Saal verlassen. Die Anwesenheit ist nicht offiziell dokumentiert.
Das Spiel mit der eigenen Absenz scheint jedenfalls ein relevantes Stilmittel im tief gespaltenen Thüringer Landtag zu sein. Bei den 18 betrachteten namentlichen Voten haben sich im Schnitt jeweils rund 15 Abgeordnete nicht beteiligt, mehrmals fehlten über 20 Parlamentarier. Eine bemerkenswert hohe Zahl im nur 90 Abgeordnete starken Landtag – gerade bei den oftmals inhaltlich umkämpften namentlichen Abstimmungen.
Wie umgehen mit der AfD? Wagenknechts Thüringen-Spitzenkandidatin schürt Sorgen
Komplex sind aber vor allem die im Hintergrund schwelenden Fragen. Ist die Brandmauer wichtig, oder erzeugt sie Verdrossenheit? Auf kommunaler Ebene wackelt sie ohnehin. Thüringens CDU-Fraktionschef Mario Voigt rechtfertigte das Grundsteuervotum mit AfD-Hilfe mit den Worten, es sei um eine Sachfrage gegangen, um „pragmatische Problemlösung“. „Keiner redet mehr über die Probleme der Leute und was eine Partei eigenständig vorhat, sondern man wird ständig nur nach dem Umgang mit der AfD befragt“, klagte er zugleich. Die Debatte werde von der „politisch Linken hochgehalten“, meinte er im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. Und tatsächlich warnen einige Politikwissenschaftler vor inhaltlich kaum mehr erkennbaren All-Parteien-Bündnissen gegen die AfD. Und doch: Die Sorge vor dem Dammbruch bleibt. Wie also mit der AfD umgehen?
Die AfD-Spitze im Wandel der Zeit: von Bernd Lucke bis Alice Weidel
Nach der Landtagswahl werden die Karten neu gemischt. Klar scheint schon jetzt, dass es eine parlamentarische Mehrheit nur mit den Fraktionen von AfD oder BSW geben wird. Aufhorchen ließ zuletzt Sahra Wagenknechts Spitzenkandidatin Katja Wolf. Die frühere Linke wollte in der MDR-Sendung „Fakt ist!“ Zustimmung für AfD-Anträge nicht ausschließen. Sie glaube, dass „die sehr durch Scheuklappen geprägte Art und Weise miteinander umzugehen, tatsächlich nicht mehr zeitgemäß ist“, sagte Wolf.
Gesucht sei „um Gottes Willen“ kein „normaler“, aber ein „inhaltlicher Umgang“ mit den Rechtsextremisten um Björn Höcke. Sie rechne nicht mit zustimmungswürdigen Initiativen der AfD, meinte die frühere Eisenacher Bürgermeisterin. Aber: „Wenn es so sein soll, dann wird man darüber diskutieren, dann ist es die Macht des Arguments im politischen Raum.“ Ramelow zeigte sich entsetzt: „Ich bin erstaunt, wie beweglich Frau Wolf ist“, sagte er über seine frühere Parteifreundin. (fn)