Befragung unter Studenten
Bessere Jobchancen im Ausland: Angehende Fachkräfte wollen Deutschland verlassen
Jeder siebte bis achte Student plant, nach dem Abschluss im Ausland zu arbeiten. Viele rechnen sich außerhalb Deutschlands bessere Jobchancen aus.
Der Fachkräftemangel ist längst eine reale Bedrohung für die deutsche Wirtschaft. Nach Angaben der Industrie- und Handelskammer „kann jeder zweite Betrieb hierzulande offene Stellen zumindest teilweise nicht besetzen”. Um den Arbeitskräftemangel auszugleichen, sind pro Jahr rund 1,5 Millionen qualifizierte Zuwanderer nötig, rechnete Ökonomin Monika Schnitzer in der Süddeutschen Zeitung vor. Im Jahr 2021 zog es gerade einmal 40.000 Fachkräfte aus Nicht-EU-Ländern nach Deutschland. Doch nicht nur kommen zu wenige Fachkräfte aus dem Ausland – auch viele angehende Fachkräfte gehen möglicherweise verloren, wie eine repräsentative Studie der Universität Maastricht und dem Personaldienstleister Jobvalley zeigt.
Bessere Jobchancen ziehen Studenten ins Ausland
In der Befragung, die jährlich zu Beginn des Semesters durchgeführt wird, gaben 13,3 Prozent der Studenten an, die Bundesrepublik nach ihrem Abschluss verlassen zu wollen. 17,7 Prozent sehen ihre Jobchancen im Ausland besser als in Deutschland. Besonders hoch liegt der Wert bei den dringend benötigten Fachkräften aus dem naturwissenschaftlichen Bereich (22,6 Prozent) sowie im Gesundheitsbereich (26,9 Prozent). Weitere Fachbereiche, die sich bessere Möglichkeiten bei der Arbeit im Ausland ausrechnen, sind:
- Informatik: 18,5 Prozent
- Kunst/Musik: 23,2 Prozent
- Sprach-/Kulturwissenschaften: 18,5 Prozent
- Wirtschaftswissenschaften: 20,8 Prozent
Gerade im Gesundheitssektor seien die Arbeitsbedingungen schlecht, betont Ulf Rinne vom Institut zur Zukunft der Arbeit im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung: „Die Menschen verlassen deshalb den Beruf und die Belastung für die Menschen, die bleiben, wird schlimmer.“ Neben dem sozialen Bereich sieht er auch die IT von Abwanderung bedroht, was vor allem daran liege, dass berufliche Selbständigkeit nicht attraktiv genug sei. Die Tatsache, dass man im Ausland an spannenderen Projekten arbeiten kann, trägt sicherlich teilweise zum Wunsch nach Abwanderung bei, ergänzt Studienleiter Philipp Seegers von der Universität Maastricht. Aber auch das Erlernen einer Fremdsprache und andere Faktoren spielen eine Rolle.
Angehende Fachkräfte mit Migrationshintergrund müssen gefördert werden
Noch höher liegt die Quote derer, die nach dem Abschluss auswandern wollen, bei Studenten mit Migrationshintergrund. Von ihnen gaben 17,5 Prozent an, Deutschland verlassen zu wollen. 24 Prozent bewerten die Chancen auf dem Arbeitsmarkt im Ausland besser als hierzulande. Eine beunruhigende Entwicklung, meint Jobvalley-Geschäftsführer Clemens Weitz. „Das verschärft den bereits bestehenden Fachkräftemangel und bedroht die langfristige Wettbewerbsfähigkeit.“ Die Politik richtet ihre Augen jedoch eher auf die Fachkräfte, die aus dem Ausland zuwandern sollen – und vergisst dabei die angehenden Fachkräfte, die Deutschland verlassen, kritisiert Ulf Rinne im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung.
Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung fordert im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung, dass das Potenzial angehender Fachkräfte besser genutzt werden solle. Sie bräuchten eine gesicherte Aufenthaltsperspektive, sollten also im besten Fall nicht von einer befristeten Anstellung in die nächste geschickt werden. „Wenn wir die Quote der Auswanderer halbieren würden, hätten wir einen guten Teil des Fachkräfteproblems gelöst“, zitiert der Spiegel Andrea Nahles, Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit. Um das Problem anzugehen, hat die Bundesagentur für Arbeit untersucht, warum Menschen mit Migrationshintergrund zurück in ihre Heimat gehen.
Warum ausländische Fachkräfte nicht bleiben
Das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung (IAW) an der Universität Tübingen hat dazu 1885 Personen in einer nicht repräsentativen Vorstudie befragt. Personen aus Nicht-EU-Ländern gaben folgende Gründe für die Rückkehr an:
- Berufliche Gründe (zum Beispiel, weil Berufsabschlüsse nicht anerkannt werden)
- Aufenthaltsrechtliche Gründe
- Bürokratische Hemmnisse
- Diskriminierung wegen ethnischer Herkunft oder aus anderen Gründen
Die Jobvalley-Studie legt nahe, dass bei Studenten auch die wirtschaftliche Lage eine Rolle spielt. Zum Zeitpunkt der Erhebung bewerteten 27,5 Prozent der Befragten die aktuelle wirtschaftliche Situation in Deutschland als „(eher) gut“ und 33,6 Prozent als „(eher) schlecht“. Auch mit Blick auf die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung überwiegt Pessimismus: 35,6 Prozent sehen diese als (eher) schlecht.
„Die Ergebnisse unserer Studie zeigen eine ernsthafte Herausforderung für den deutschen Arbeitsmarkt“, resümiert Jobvalley-Geschäftsführer Clemens Weitz. Er rät Unternehmen, Studenten bereits frühzeitig klare berufliche Perspektiven aufzuzeigen: „Wir empfehlen Unternehmen, Studierende bereits während ihres Studiums zu fördern, um langfristige Erfolge in der Fachkräftesicherung zu erzielen.“
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