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Waldkraiburger wegen Betrug angeklagt

Ein Segelboot in Malaysia – Hartz IV kassiert: Mühldorfer Amtsrichter kritisiert die Bürokratie

Ein Katamaran in Malaysia und in Deutschland Hartz IV beantragt. Das brachte einen Waldkraiburger jetzt vor das Amtsgericht Mühldorf.
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Ein Katamaran in Malaysia und in Deutschland Hartz IV beantragt. Das brachte einen Waldkraiburger jetzt vor das Amtsgericht Mühldorf.

Ein Waldkraiburger hatte in Malaysia ein Segelboot: Das gab er beim Jobcenter-Antrag nicht an und kassierte Hartz IV. Vor dem Amtsgericht Mühldorf gab es nun aber eine überraschende Schelte für die hiesige Bürokratie.

Waldkraiburg – Wie ist ein „Bitte“ in einem Antragsformular für das Arbeitslosengeld 2, das sogenannte Hartz IV, zu verstehen? Muss der Antragsteller ein Segelboot angeben, das er kurz vorher für 295.000 an einen Betrüger verkauft, er sein Geld also nie sehen wird? Ist das noch ein Vermögen? Diese Fragen musste Amtsricher Dr. Christoph Warga klären, als der 48-jährige Waldkraiburger Andreas X. (Name von der Redaktion geändert) wegen Betruges auf der Anklagebank saß.

Die 54-jährige Sachbearbeiterin aus dem Jobcenter, die als Zeugin geladen war, hatte eine klare Meinung: „Ja!“ Daran gebe es keinen Zweifel. Für Richter Warga war das aber keineswegs so klar, schließlich sei der Angeklagte kein Jurist.

Nach fünf Jahren auf Asiens Meeren zurück nach Waldkraiburg

Aber der Reihe nach. Andreas X. hatte mit seiner Frau fünf Jahre in Asien auf seinem Katamaran „Lilliput“ gelebt. 2022 kamen sie zurück nach Waldkraiburg; das Segelboot blieb in Malaysia, sollte dort für 295.000 Euro verkauft werden. Bis dahin zahlte Andreas X. für den Liegeplatz im Hafen noch monatlich 2000 Euro.

Im September 2022 fand sich schließlich ein Käufer, der Vertrag wurde unterschrieben. Geld gab es aber keines. Andreas X. ist Betrügern aufgesessen. Kein Geld, kein Boot. Also beantragte er Hartz IV, ließ die Felder zum Vermögen leer und unterschrieb, dass er alle Hinweise gelesen habe, alle Angaben wahr seien.

Es geht um 3.157,46 Euro

Das Jobcenter zahlte ihm daher zwischen Oktober 2022 und März 2023 insgesamt 3.157,46 Euro. „Bei Kenntnis der wahren Sachlage hätte Ihnen der Leistungsträger – wie Sie wussten – für diesen Zeitraum keine beziehungsweise geringere Leistungen gewährt“, warf Staatsanwältin Franziska Mitterer dem Angeklagten vor. Betrug also. 

Im Dezember 2023 konnte Andreas X. sein Boot dann noch verkaufen: für 195.000 Euro. Sofort zahlte er von sich aus dem Jobcenter die 3.157,46 Euro zurück. 

Heute lebt er mit seiner Frau im Haus seiner Eltern, kümmert sich um diese und versucht gleichzeitig eine Online-Beratung aufzubauen, mit der er aber bislang „kein steuerpflichtiges Einkommen“ erzielt, erklärte sein Anwalt Jörg Zürner. Das Paar lebt von den restlichen Ersparnissen, die noch gut 30.000 Euro ausmachen. 

Staatsanwältin ist gegen eine Verständigung

Staatsanwältin Mitterer blieb dabei: Andreas X. habe den Katamaran bei seinem Antrag „bewusst aktiv“ verschwiegen. Auch nachdem Anwalt Zürner den Hergang ausführlich dargelegt hatte, war Mitterer nicht zu einer Verständigung bereit, obwohl Warga zahlreiche Unwägbarkeiten aufzählte, die gegen eine erfolgreiche Anklage sprachen. Mitterer blieb dabei: Der Angeklagte habe „massiv falsche Angaben“ gemacht. „Aus meiner Sicht, bewusst.“

Also wurde die 54-jährige Sachbearbeiterin aus dem Jobcenter in den Zeugenstand gerufen. Sie betonte immer wieder: Dass Andreas X. das Geld aus dem ersten Verkauf im September 2022 nicht erhalten habe, „spielt keine Rolle. Er muss es angeben.“

Ist ein Katamaran ein Vermögen im Sinne der Antragsformulare?

Doch wo sollte ein Laie das angeben, wollte Warga wissen. Der Anspruch auf den Kaufpreis sei eine Forderung, in dem Formular seien als Beispiele für Vermögen aber nur Gegenstände genannt. An anderer Stelle gehe es um „erhebliches Vermögen“, das „kurzfristig“ verfügbar sei. „Fällt da auch ein Katamaran darunter?“, fragte Warga.

„Ja. Im Notfall kann ich ihn innerhalb weniger Tage verkaufen“, sagte die Zeugin. Damit erntete sie Widerspruch von einem Zuhörer. „Ich habe selber mal versucht, mein Boot zu verkaufen. Das zwei Jahre gedauert“, rief Rechtsanwalt Hanns Barbarino, der auf den Beginn der anschließenden Verhandlung gewartet hatte.

Höflich, aber unverbindlich

Aber sind die Vorgaben in den Formularen wirklich „so zweifelsfrei“, dass er sein Segelboot angeben muss? Warga schien nicht überzeugt. Die Formulierungen seien „gelinde gesagt, wenig glücklich.“ Dort heiße es „Bitte geben Sie an“. 

„Einer Bitte kann ich, muss ich aber nicht entsprechen“, sagte Warga immer wieder im Laufe der Verhandlung. 

„Letzten Endes ist alles, was wir eine Bitte nennen, eine Forderung“, beharrte die Zeugin. 

Dann sollte es aber heißen „Anzugeben ist“, so Warga; auch wenn einem der „gesunde Menschenverstand“ sage, was das Jobcenter meine.

Staatsanwältin bleibt hart, Anwalt möchte Freispruch

Staatsanwältin Mitterer blieb in ihrem Plädoyer dabei: Der Vorwurf der bewussten Täuschung habe sich erwiesen. Sie forderte 80 Tagessätze zu je 50 Euro.

Anwalt Zürner betonte in seinem Schlusswort die Lage und Sicht seines Mandanten. Als er den Antrag stellte, hatte er „keinen Euro zur Verfügung“, wusste er, dass er seine Forderung „nicht realisieren“ könne. „Er ist einem Betrüger aufgesessen, deswegen hatte er kein Geld. Er wollte nicht betrügen, er hat in seinem Antrag die Realität abgebildet.“ Wenn schon Juristen nicht wüssten, wie die Formulierungen in dem Antrag zu verstehen sind, „wie soll er es dann?“ Daher forderte Zürner Freispruch.

Hoffen und auf gesunden Menschenverstand zu bauen, reicht nicht

Dem schloss sich Richter Warga an. „Wir wissen, was sich das Jobcenter erhofft hat, und was der gesunde Menschenverstand erwarten würde“, aber wenn die Formulare so umfangreich sind, dann könne man auch erwarten, dass alles aufgeführt werde, was anzugeben ist. „Damit klar ist, das muss man angeben.“ 

Hätte Andreas X. das Boot angeführt, hätte er keinen Anspruch auf Hartz IV gehabt. Ihm aber eine Täuschung zu unterstellen, „der Nachweis funktioniert nicht.“ Aus Sicht des Angeklagten waren das Boot und das Geld weg.

„Mehr haben wir nicht“

Die Sprache im Antrag sei höflich formuliert, führte Warga aus. Aber die Höflichkeit müsse „Grenzen haben“, dürfe nicht ins Unverbindliche abgleiten. „Mehr haben wir nicht“, schloss Warga. „Damit bleibt von dem Vorwurf nichts mehr übrig.“

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