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Ewiger Kampf gegen Voruteile

Leben mit Borderline: Tami und Maximilian über ihren Weg durch die Abwertung

Maximilian Joschko und Tami V. aus Waldkraiburg leben beide mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und weiteren Diagnosen psychischer Erkrankungen. Sie setzen sich gegen Vorurteile und Stigmatisierung.
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Maximilian Joschko und Tami aus Waldkraiburg leben beide mit einer Borderline-Persönlichkeitsstörung und weiteren Diagnosen psychischer Erkrankungen. Sie setzen sich gegen Vorurteile und Stigmatisierung zur Wehr.

Tami (29) und Maximilian (28) leben seit Jahren mit psychischen Erkrankungen – offen sprechen sie über Vorurteile, Selbstzweifel und ihren Wunsch nach mehr Verständnis und Therapieplätzen.

Waldkraiburg – In der 10. Klasse hatte Tami zum ersten Mal eine starke Depression. Zwölf Jahre ist das inzwischen her, psychische Erkrankungen begleiten die 29-Jährige bis heute. Sie erinnert sich noch gut daran, wie sie manchmal nicht zur Schule gehen konnte und ihre Mutter deswegen mit dem Rektor gesprochen hat. „Das ist doch kein Freifahrtschein für alles“, soll der damals gesagt haben. Die Worte treffen sie bis heute.

Auch Maximilian Joschko, stellvertretender Vorsitzender des Vereins Mühldorf ist bunt, kennt Anschuldigungen wie diese. Schnell heiße es von Außenstehenden: Jedem geht es mal schlecht, warum arbeitest du nicht einfach? Oder gar: Du benutzt das nur als Ausrede. „Das Verständnis wäre größer, wenn man sich einen Fuß brechen würde“, sagt der 28-Jährige.

Bis zu einer Diagnose sind viele Gespräche nötig

Doch die Erkrankungen der jungen Menschen sind weitestgehend unsichtbar, weil sie die Psyche betreffen. Obwohl man es ihnen nicht sofort anmerkt: Tami und Maximilian haben einen anerkannten Grad der Behinderung (GdB). Beide haben eine Borderline-Persönlichkeitsstörung. Bei Maximilian kommen zudem Angst- und Schlafstörungen hinzu.

Die Diagnosen sind vielschichtig und bis sie sie schwarz auf weiß hatten, waren viele ambulante und stationäre Klinikaufenthalte nötig. „Immer wieder muss man von sich erzählen, bis sich mit der Zeit ein Krankheitsbild abzeichnet und eine passende Therapie gefunden werden kann“, sagt Maximilian.

Nicht nur für Außenstehende kann es schwierig sein, mit derartigen Diagnosen umzugehen. Tami, die ihren vollen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, tat sich anfangs selbst schwer damit. „Ich hatte schon von Borderline gehört, aber überhaupt nichts Gutes – und auch wenn man versucht, sich über Google zu informieren, findet man viel Negatives“, blickt sie zurück. Sie habe regelrecht Angst vor sich selbst bekommen, sich gefragt, ob sie manipulativ sei, gar ein Monster. „Das hat es für mich schwer gemacht, die Diagnose anzunehmen und mich damit zu identifizieren.“

Selbstverletzendes Verhalten als Symptom

Die Erkrankung zeigt sich in unterschiedlicher Form. Bei Tami ging sie lange mit selbstverletzendem Verhalten einher, die Narben begleiten sie bis heute. Für Außenstehende ein Verhalten, das sich nur schwer begreifen lässt. Immer wieder hat sie es erlebt, dass Leute sie ungefragt an den Armen fassen und fragen: Was hast du da gemacht? Oder: Wie kann man so dumm sein? Sie fühlt sich dann bloßgestellt.

„Stattdessen sollte man denken: Was muss diese Person mitgemacht haben?“, sagt Maximilian. Primär gehe es bei selbstverletzendem Verhalten um den Schmerz, aber aus ganz unterschiedlichen Gründen. Manche wollten sich selbst spüren, andere sich bestrafen und wieder andere fühlten innerlich einen so großen Druck, dass sie das Verletzen als Ventil benutzen. Tami braucht das heute nicht mehr und ist seit zwei Jahren selbstverletzungsfrei.

Fühlen und Erleben anders als bei gesunden Menschen

Bei Maximilian hat das nie eine große Rolle gespielt, insgesamt äußert sich die Erkrankung bei ihm weniger impulsiv. Vielmehr spricht er von einem Loch, auf das er sich in schlechten Phasen zu bewegt, bis er an der Kante steht und quasi nichts mehr geht. Seine Empfindungen gehen in jeglichen Lebenslagen weit auseinander, von „Ich möchte Körperkontakt“ zu „Ich möchte auf keinen Fall berührt werden“ innerhalb weniger Stunden, um nur ein Beispiel zu nennen. „Das belastet Beziehungen stark – das Fühlen und Erleben ist anders als bei gesunden Menschen“, betont er.

Rational damit umzugehen und sich selbst besser zu reflektieren, lerne man während einer Therapie. „Aber weniger anstrengend wird es dadurch nicht“, sagt Maximilian.

Maximilian ist derzeit nicht in Behandlung, vor allem weil er keinen passenden Therapieplatz findet. Dass das allgemein, aber auch speziell im Landkreis Mühldorf, schwierig ist, hat auch Tami erlebt. Als sie vor Jahren nach einer Therapeutin in Waldkraiburg suchte, fand sie eine einzige und die habe erst ab 25 Jahren behandelt. Eine weitere Anlaufstelle lag so ländlich, dass es im Ort nicht mal eine Bushaltestelle gab. „Die Angebote sind zu wenig oder fehlen ganz – sich aus einer psychischen Erkrankung herauszukämpfen, ist quasi ein Vollzeitjob“, ergänzt Maximilian.

Wunsch nach mehr Therapieangeboten

Wenn es dann mit der Therapie losgeht, gehe es Betroffenen oft erstmal schlechter als zuvor – das sei quasi eingepreist wie eine Nebenwirkung, erzählt Tami. „Eine Psychotherapie ist kein Wellnessurlaub“, macht auch Maximilian deutlich. Im Gegenteil: Immer wieder werde man konfrontiert, bei Einzel- und Gruppentherapien. „Die schlimmsten Sitzungen haben mir rückblickend am meisten geholfen, aber emotional ist das sehr aufwühlend und unangenehm.“ Tami hilft ein Mäppchen, in dem sie sogenannte „Skills“ dabei hat, um mit hoher Anspannung umzugehen: Ammoniakstäbchen, Therapieknete, ein Igelball. „Ich brauche das heute fast nicht mehr, aber dabei habe ich es immer“, sagt sie.

Beide wünschen sich, dass der Zugang zu Therapien einfacher wird. „Psychische Erkrankungen sind tödlich und Betroffene brauchen niedrigschwellige Hilfe, da für sie sowieso alles anstrengend ist“, hebt Maximilian hervor. Er wünscht sich von der Politik, dass es mehr Therapeuten gibt, der Zugang zur entsprechenden Ausbildung vereinfacht wird und die Angebote mehr in die Fläche kommen.

Psychisch Erkrankte bringen auch Stärken mit

Tami, die in Landshut Soziale Arbeit studiert, macht auf die Stärken von Betroffenen aufmerksam. Gerade in ihrem zukünftigen Berufsfeld könne sie auch vom Erlebten profitieren. „Ich wünsche mir, dass das auch gesehen wird: Da hat jemand etwas durchgemacht und bringt deshalb auch Kompetenzen mit.“ Außerdem rät sie, Erkrankten zuzuhören, ihnen zu glauben und auch nachzufragen: Was bedeutet die Erkrankung eigentlich genau für dein Leben?

Mehr von ihren Erfahrungen erzählt Tami bei der Eröffnungsveranstaltung der diesjährigen „Wochen gegen Rassismus“, organisiert vom Verein Mühldorf ist bunt. Die Diskussionsrunde mit dem Titel „Gemeinsam stark: Für mehr Verständnis und Akzeptanz“ zum Thema psychische Erkrankungen findet am Mittwoch, 21. Mai, im Café Patini, Franz-Liszt-Straße 8, in Waldkraiburg statt. Einlass ist ab 18 Uhr, Beginn um 18.30 Uhr. Es besteht die Möglichkeit, Fragen zu stellen, auch anonym. Zudem beteiligt sich der Anna-Hospiz-Verein mit einer Ausstellung an der Eröffnungsveranstaltung.

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