Zum Tag der Arbeit
„Echte Demokratie statt dreckiger Deals“: Günter Zellner bei DGB-Kundgebung in Waldkraiburg in Rage
Zum Tag der Arbeit in Waldkraiburg mahnen die Gewerkschaften, wachsam zu bleiben. „Der Koalitionsvertrag rückt Wirtschaft und Industrie ins Zentrum. Was ist mit den Arbeitnehmerrechten?“, sagt Günter Zellner von der IGBCE.
Waldkraiburg — Vor 60 Jahren standen die Frauen und Männer der Arbeitnehmerbewegung auf nassem, matschigen Boden, nahe des Schrottplatzes. Damals gab es noch kein Rathaus oder gar einen Sartrouvilleplatz. „2000 Leute trafen sich zum demonstrieren und auf ihren Transparenten stand ,Freiheit, Frieden, Sicherheit‘ sowie ,40 Stunden sind genug‘ “, sagte Richard Fischer, DGB-Kreisvorsitzender, in seinem Grußwort am Haus der Vereine.
Koalitionsvertrag mit guten und schlechten Punkten
Hier fanden sich die Demonstranten ein, begleitet von der Egerländer Trachtenkapelle. Dass das, wofür Gewerkschaften seit 60 Jahren kämpfen, heute so aktuell, wie damals ist, beweisen die zum Teil „absurden Arbeitszeitdebatten, die heute wieder geführt werden“, sagte Günter Zellner, Bezirksleiter der IGBCE, in seiner Festrede. Konkret bezog er sich auf den Koalitionsvertrag, den die neue GroKo ausgehandelt hat.
Zwar sei er, so Zellner, verhalten optimistisch, wenn er auf die wirtschaftspolitischen Ansätze blicke. „Denn die künftigen Koalitionäre rücken die zentralen Herausforderungen von Wirtschaft und Industrie offensichtlich ins Zentrum ihres Regierungshandelns.“
Doch es gebe keinen Grund zur Euphorie, denn in den 146 Seiten gebe es auch Zumutungen und rote Linien. „Gerade sozial- und gesellschaftspolitisch stecken da Unklarheiten und Konfliktpotential drin. Wir Gewerkschaften müssen wachsam bleiben“, so Zellner, der es als „unanständig“ bezeichnete, wenn Migration, soziale Sicherheit und Generationen gegeneinander ausgespielt werden. Auch die Frage einer angemessenen Lastenverteilung im Land bleibe wieder mal unbeantwortet.
Vom designierten Bundeskanzler Merz erwarte er, dass er jetzt sofort liefere - nicht morgen oder erst kurz vor der nächsten Wahl. Die zu hohen Energiekosten müssen gesenkt werden, für Privatverbraucher sowie Industrie. Es brauche schnellere Genehmigungsverfahren und Investitionsanreize. Dass Traditionswerke geschlossen und abgewickelt werden oder abwandern, dürfe nicht sein.
„Unzureichende Arbeitsmoral?“
Auch wies er darauf hin, dass Arbeitgeber beim Jammern gern laut dabei seien: schlechte Standortbedingungen, zu hohe Arbeitskosten, angeblich unbezahlbare Tarife und unzureichende Arbeitsmoral. Letzterer Punkt brachte ihn in Rage. „Die sollen sich mal die Krankenschwestern anschauen, die sich krumm machen.“
Die Respektlosigkeit gegenüber den Beschäftigten ärgerte ihn. „Ohne diese Leute läuft der Laden nicht, das können wir belegen. Wenn gestreikt wird, steht alles still. Den Arbeitgebern ist es tatsächlich gelungen, die vielen fleißigen Menschen in diesem Land zum aktiven Teil der Wirtschaftsschwäche zu erklären“, echauffierte sich Zellner. Und weiter: „Liebe CEO: Wenn ihr von ,den Gürtel enger schnallen‘ redet, meint ihr nicht euch selbst.“
Zellner blickte auch in die USA und auf Trumps zerstörerischen Zollkrieg, der der ganzen Weltordnung schade. Derzeit finden sich keine verbindenden Ziele und Werte jenseits des Atlantiks. Doch Zellner glaube an die demokratischen Kräfte in den Staaten. „Unsere Hand muss ausgestreckt bleiben.“
Europa united
Das Chaos, dass Trump verursache, rücke die USA in ein schlechtes Licht - dies könne als Chance für Deutschland und Europa begriffen werden. „Wir gewinnen globales Ansehen und Attraktivität zurück“, so Zellner. Auf „America First“ könne es nur eine Antwort geben: „Europa united!“ Auch wenn es in der EU viele komplizierte Dinge gebe, würde er sich für Brüssel entscheiden. Mit Blick auf die Wild-West-Politik Trumps und seiner Tech-Milliardäre sagte er: „Wir brauchen echte Demokratie statt dreckiger Deals.“
Ronja Endres, Vorsitzende der Bayern-SPD, sagte in ihrem Grußwort, sie habe sich schwer getan, dem Koalitionsvertrag zuzustimmen. „Manches tat mir als Gewerkschafterin richtig weh, wie etwa die Wochenarbeitszeit. Als SPDlerin ärger mich, dass die Vermögenssteuer fehlt.“ Letztendlich habe sie zugestimmt, weil sie es für das Beste für die Menschen in diesem Land halte, dass diese Koalition funktioniere.
Auch Nachfrage der OVB-Heimatzeitungen erklärte sie, die SPD habe trotz ihres schlechten Wahlergebnisses gut verhandelt und gute Posten rausholen können. „Ich halte es für das Beste, dass die SPD in diesen schwierigen Zeiten mitregiert. Ohne die SPD käme es zu einer Koalition mit der „Alternative“, die keine Lösungen habe. „Schon gar nicht für den Arbeiter. Wenn es nach diesen Krakeelern ginge, sollen alle mit 70 noch arbeiten.“
Tarifvertrag gegen Altersarmut
Martin Sterz berichtete als Betriebsratsvorsitzender bei Schörghuber Spezialtüren KG in Ampfing über das „sehr erfolgreiche Unternehmen, das 400 Angestellte hat, aber von einer Tarifbindung nichts wissen will“. Die Gewerkschaft arbeite daran, eine Tarifbindung zu erreichen.
„Es kann nicht sein, dass man 40 Stunden arbeitet, aber auf dem Lohnzettel nur 35 Stunden abgerechnet werden. Es kann nicht sein, dass sich manche Zweitjobs suchen müssen, weil sie sich Miete oder Urlaub nicht mehr leisten können“, so Sterz. In seinen Augen sei ein Tarifvertrag das beste Mittel gegen Altersarmut.
Anton Kindermann als Zweiter Bürgermeister der Stadt Waldkraiburg hielt fest, die Arbeit habe sich verändert. Vieles sei dynamischer, aber es gebe auch neue Herausforderungen. Und hier brauche es Solidarität und Gemeinschaft.




