Folgen der zunehmenden Elektro-Mobilität
Drohen bei ZF in Aschau am Inn Entlassungen wie in Schweinfurt?
E-Autos sind leichter zu bauen und haben weniger Teile. Das ist gut für die Kunden, aber schlecht für die Zulieferer. Eines der Opfer: die ZF-Tochter in Aschau. Die soll nämlich verkauft werden – wieder einmal. Die Betriebsräte und Gewerkschaft laufen Sturm und haben jetzt einen ersten Erfolg errungen.
Aschau am Inn – An die Börse bringen? Oder einfach verkaufen? Auf jeden Fall: Weg damit und zu Geld machen. Das sind die Pläne von Deutschlands zweitgrößtem Automobilzulieferer, der ZF Friedrichshafen, für seine Sparte R „Passive Sicherheitssysteme“, zu der auch ZF Airbag in Aschau gehört.
Und was ist mit den knapp 1.000 Mitarbeitern in Aschau? Das war der Konzernleitung am Bodensee zunächst egal. Hauptsache weg damit.
Ein Schock für alle Aschauer
Ein Schock für alle Aschauer, die das Herzstück aller Airbags produzieren: Gasgeneratoren. Bis 2015 gehörten sie nach zahlreichen Verkäufen zuletzt zur US-amerikanischen TRW. „Die waren nicht unbedingt mitarbeiterfreundlich“, blickt Robert Gerhart, stellvertretender Vorsitzender des Betriebsrates, zurück. 2015 kaufte ZF die Aschauer von TRW. „Wir hatten große Hoffnungen“, so Gerhart: deutsche Arbeitskultur, Tarifbindung, Erfolgsbeteiligung, betriebliche Altersvorsorge. „Das hat sich auch erfüllt. Uns ist es in den acht Jahren eigentlich immer besser gegangen.“
ZF Airbag in Aschau
Die Division R „Passive Sicherheitstechnik“ produziert Airbags, Sicherheitsgurte, Lenkräder, sie beschäftigt weltweit rund 35.000 Mitarbeiter. In Deutschland sind an den Standorten Alfdorf, Aschau, Aschaffenburg und Laage rund 3.800 Mitarbeiter beschäftigt; davon knapp 1.000 in Aschau.
Aschau ist das Zentrum für die Entwicklung von Gasgeneratoren für Airbags. „Aschau hat im Konzern einen sehr, sehr hohen Stellenwert“, unterstreicht Michael Ruster, Vize-Präsident der ZF Airbag Germany GmbH. „Wir sind der führende Standort für das globale Generatoren-Geschäft.“ Von Aschau aus wird das weltweite Generatoren-Geschäft gesteuert.
Jetzt der Hammer. ZF leidet unter dem Wandel zur Elektro-Mobilität, alte Produkte und Geschäftsmodelle sind nicht mehr zukunftsweisend. Hinzu kommen, so das Handelsblatt, rund zehn Milliarden Euro Schulden für den Kauf von TRW und Wabco. ZF will sich neu aufstellen und braucht Geld – aus dem Verkauf des Tafelsilbers. Was für Manager vernünftig ist, ist für die Mitarbeiter die Vertreibung aus dem tarifpolitischen Paradies: „Was passiert mit uns?“
„Da war eine harte Nummer“
Das wollten die Konzernlenker zunächst nicht beantworten, obwohl die Betriebsräte und die IG Metall Druck machten. „Wir haben ganz schön kämpfen müssen“, so Betriebsrat Gerhart. „Das war eine harte Nummer.“ Sie wollten Sicherheit, die Manager sagten, das bräuchte es nicht. „Aber, was weiß man?“, fragt Gerhart. „Wenn uns ein Chinese kauft? Was hat er vor? Was möchte er mit uns machen? Möchte er nur das Know-how und peau a peau den Standort verlagern? Wir sind der einzige Gasgeneratoren-Hersteller, der noch in Deutschland produziert.“
Der Druck führte zum Erfolg. Jetzt gibt es einen Überleitungstarifvertrag zwischen ZF und der IG Metall (siehe Kasten). Er gilt, sobald ein eventueller Kauf vollzogen ist, er sichert zumindest vorübergehend die Arbeitsplätze und die Bedingungen. Damit herrscht wenigstens in diesem Punkt Klarheit.
Die Kernelemente des Überleitungs-Tarifvertrages
Mit dem Überleitungstarifvertrag, den ZF Friedrichshafen und die IG Metall geschlossen haben, werden die bestehenden Arbeitsbedingungen vorerst abgesichert. Er tritt mit der Umsetzung eines eventuellen Verkaufs in Kraft; ab dann laufen die Fristen. Die wichtigsten Punkte sind:
- Betriebsbedingte Kündigungen sind für mindestens zwei Jahre ausgeschlossen;
- Vollständige Tarifbindung für mindestens fünf Jahre;
- Sämtliche Kollektivvereinbarungen sowie freiwilligen Leistungen bleiben mindestens zwei Jahre bestehen;
- Die Regelungen zur betrieblichen Altersvorsorge bleiben gültig;
- Die Erfolgsbeteiligung bleibt erhalten; die Treueprämie läuft mindestens zwei Jahre weiter.
Denn es steht noch nicht fest, wie es mit ZF in Aschau weitergeht. Wird die Sparte R ein eigenständiges Unternehmen, geht sie an die Börse, steigt ein Investor ein oder wird sie gar komplett verkauft? Alles ist möglich.
Noch ist die Sparte unter anderem bei IT, Einkauf, Verkauf und Finanzen fest mit dem Konzern verwoben. Bis zum Jahresende, so Vize-Präsident Ruster, sollen die Strukturen so weit entflochten sein, dass die Sparte jederzeit von heute auf morgen eigenständig werden kann – wenn die Zukunft entschieden ist.
Am weiteren Erfolg der Airbags aus Aschau zweifelt niemand
Am Erfolg der Sparte zweifelt niemand. „Das ist ein Geschäft, das sich gut und eigenständig aufstellen kann“, sagt ZF-Sprecher Mirko Gutemann. Ruster ergänzt: „Die passiven Sicherheitssysteme sind im Bereich Automobil die profitabelste Sparte bei ZF.“ 2022 gab es Aufträge im Wert von einer Milliarde Euro. Rekord. Der Wandel in der Mobilität berührt R nicht. „Auf Sicherheit will keiner verzichten.“ Egal ob im Verbrenner, im E-Auto oder bei selbstfahrenden Fahrzeugen.
2022 setzten die „Passiven Sicherheitssysteme“ 4,5 Milliarden Euro um, rund zehn Prozent des ZF-Konzerns. Das Betriebsergebnis liegt, so das Handelsblatt, zwischen 400 und 450 Millionen Euro. Weltweit stammt jeder vierte Airbag von ZF; damit ist ZF die Nummer zwei.
Endlich Geld für die notwendigen Investitionen bekommen
„Wir wehren uns nicht gegen die Ausgliederung“, betont Betriebsrat Gerhart. „Dadurch sind wieder Investitionen möglich, die der Konzern jetzt nicht finanzieren kann.“ Rund 300 Millionen Euro sollen in den kommenden Jahren bei den „Passiven Sicherheitssystemen“ investiert werden, unter anderem auch in Aschau. Hier entsteht die neue Generation der Gasgeneratoren, neue Technologien und neue Anlagen kommen.
Gewinner ist die IG Metall
Und noch einen Gewinner gibt es: die IG Metall. 2010 waren nur drei Prozent der Mitarbeiter in Aschau Gewerkschaftsmitglied. Inzwischen sind es wegen all der Verkäufe und Turbulenzen „über 50 Prozent“, freuen sich die Betriebsräte Gerhart und Neumayer: „Die Zeiten sind wahnsinnig hart und als Betriebsrat ist man schnell erpressbar. Da hilft ein hoher Organisationsgrad, da muss die Belegschaft solidarisch sein.“
