Energiewende in Unterreit
Riesen-Windräder, PV-Anlage: Hitzige Diskussionen um CO2-Neutralität in Unterreit
Unterreit verfolgt ein ehrgeiziges Ziel: CO2-Neutralität. Doch wie die Bürgerversammlung offenbarte, birgt dieser Plan auch Herausforderungen - und ist bei den Anwohnern höchst umstritten.
von Gunter Fuchs
Unterreit – Am Ortseingang von Stadl grüßt unübersehbar ein großes optimistisch-frühlingsgrünes Banner: „Ein Dorf wird CO2-neutral“ ist auf diesem zu lesen. Was die Bürger der Gemeinde Unterreit dafür in Kauf nehmen wollen, könnte aber Grenzen haben, wie sich bei der Bürgerversammlung am vergangenen Mittwoch zeigte.
Schon der mit über 100 Anwesenden weitgehend gefüllte Saal beim Wirt z’Reit ließ darauf schließen, dass man nicht nur gekommen war, um den statistischen Überblick und die Erfolgsmeldungen aus dem vergangenen Jahr von Bürgermeister Christian Seidl zu hören. Die gab es im ersten Teil der Veranstaltung natürlich auch. So hält zum Beispiel der positive Trend bei der Einwohnerzahl an, sodass es inzwischen 1859 Gemeindebürgerinnen und Gemeindebürger in den verschiedenen Ortsteilen sind. Der Ausländeranteil ist hingegen eher gesunken und mit 67 Personen überschaubar.
54 Kinder im Kindergarten
Der Gemeindekindergarten St. Elsbeth in Unterreit wird gut angenommen und derzeit von 54 Kindern besucht. Lob gab es für die zahlreichen Einsätze der Ortsfeuerwehren und auch die hohe Zahl von 37 Bauanträgen spricht für eine positive Entwicklung.
Und dass bei einem Haushaltsvolumen von gut sechs Millionen Euro Gewerbesteuereinnahmen in Höhe von fast 1,5 Millionen vom Bürgermeister mit der Feststellung kommentiert wurden „Das hat uns gutgetan!“ ist sehr nachvollziehbar und führte zu einer Steuerkraft von 1273 Euro pro Einwohner, womit man über dem Landkreisdurchschnitt liegt.
In den beiden Neubaugebieten stehen jeweils bereits drei Häuser, und die Auswertung der Bewerbungsverfahren für die Vergabe der weiteren Grundstücke läuft. In „Stadl Nord 3“ können alle Neubauten an das entsprechend dimensionierte neue Hackschnitzelheizwerk angeschlossen werden. Das Interesse am Bezug von Fernwärme ist groß – und erklärt das Plakat am Ortseingang –, denn die Anlage funktioniert bereits zuverlässig, wie die Schwestern des Klosters Stadl erfreut festgestellt haben, die sich von ihrer anfälligen alten Ölheizung endlich verabschieden konnten. Im August soll das Fernwärmeprojekt insgesamt und damit noch rechtzeitig für Förderprogramme zum Abschluss gebracht werden, und am 22. September möchte man die offizielle Einweihung mit einigen Ehrengästen groß feiern.
Abenteuerspielplatz wird eröffnet
Noch zu einer weiteren Einweihungsfeier konnte Bürgermeister Seidl die Gemeindebürgerinnen und -bürger einladen: Schon am kommenden Sonntag, also am 28. April, wird man ab 14 Uhr den neuen Abenteuerspielplatz offiziell eröffnen und hat daraus gleich einmal ein „Stadl-Fest“ gemacht. Ein neuer Rad- und Fußweg am Dorfwirtshaus in Unterreit vorbei soll gebaut werden, und auch die Schaffung eines Fuß- und Radwegs über den Inn unter der Königswarter Brücke hat gute Chancen, Realität zu werden, ziehen hier doch gleich fünf Kommunen am gleichen Strang. Der Parkplatz bei der Kirche in Grünthal wurde von den Mitarbeitern des Bauhofs neu angelegt, die nicht nur für diese gelungene Arbeit Applaus aus der Versammlung erhielten, und auch die Gemeindeverbindungsstraße in Elsbeth konnte komplett erneuert werden.
Der Glasfaserausbau wird von Gars Bahnhof aus nach Stadt, Wang und Unterreit mit Priorität vorangetrieben, um möglichst bald die Neubaugebiete anschließen zu können, zu denen von der Telekom kein Kupfertelefonkabel mehr gelegt wird. Erst dann wird der flächendeckende Ausbau in der Gemeinde Gars erfolgen, wie Seidl dankbar hervorhob.
Ein Bürgerbegehren gegen Mobilfunkantennen in Wang und Unterreit sei mit klarer Mehrheit abgelehnt worden, die Planungen könnten weitergehen. Der Friedhof in Wang wird erweitert und Rathaus, Bauhof, Kindergarten und das Haus der Gemeinde erhalten ebenfalls eine PV- und eine Hackschnitzelheizanlage, die in den Keller des Bauhofs eingebaut wird. Die Vereinsmitglieder des FC Grünthal erhielten allseits großes Lob für die enorme Eigeninitiative beim Bau des neuen Sportheims, und wenn eine Studie es als machbar erweist, wird es auch noch eine Zisterne für die Beregnung der Sportrasenflächen geben. Die 1100-Jahr-Feier von Wang und Reit wird mit zahlreichen über das Jahr verteilten Aktivitäten begangen, zu denen Seidl ebenfalls einlud.
Damit hatte es mit den zahlreichen Erfolgsmeldungen aber ein Ende und der erste große Wermutstropfen stand an: die Sanierung der Garser Mittelschule, bei der man über den Schulverband „mit im Boot“ ist. Wie schon zuvor Bürgermeisterkollege Robert Otter in seinen Bürgerversammlungen, erklärte auch Seidl, dass nach allen tiefgreifenden Überlegungen, bis hin zur Verlegung des Schulsprengels, letztlich an der Erkenntnis kein Weg vorbeigeführt habe, dass man das Gebäude der Mittelschule und die Turn- und Schwimmhalle wird generalsanieren müssen, und das auch noch zügig, damit man noch rechtzeitig Fördermittel im größeren Umfang beantragen kann. Trotzdem wird das Ganze den Schulverband zu einer Kreditaufnahme von über 15 Millionen zwingen. „Das Projekt ist kein Pappenstiel und wird Auswirkungen auf Generationen haben“, stellte der Bürgermeister realistisch fest.
Weiteres Thema liegt in der Luft
Schon während der umfangreichen Erläuterungen zum Großprojekt Mittelschulsanierung war im Saal zu spüren, dass noch anderes in der Luft lag, und in seinem letzten Tagesordnungspunkt schnitt Seidl das Thema dann wohl oder übel gleich selbst an: die geplanten Windräder in der Nachbargemeinde Taufkirchen.
Schon bei Seidl selbst war zu spüren, dass ihm dieses heiße Eisen einen Spagat abverlangte zwischen dem Privatmann Christian Seidl, der sich bei einschlägigen Veranstaltungen über das Projekt informiert hatte und letztlich dem Vorhaben unweit seines früheren Elternhauses wohl auch eher skeptisch gegenübersteht, und dem Bürgermeister, der mit seinem Gemeinderat noch keinen Beschluss dazu gefasst hat.
Appell nur begrenzt erfolgreich
So appellierte er für eine möglichst objektive Würdigung aller Aspekte und ein sachorientiertes Abwägen der Argumente zum Wohle der Gemeinde. Dass dieser Appell zu einer möglichst emotionslosen Meinungsbildung und gegen eine Spaltung innerhalb der Bürgerschaft nur begrenzt Erfolg haben wird, zeigten die folgenden Redebeiträge ganz klar, die das Großprojekt als Landschafts- und Biotopzerstörung sahen, womit man im Saal offenkundig nicht alleine war. Nicht zuletzt wurde von mehreren Seiten große Skepsis geäußert, dass für Windräder von solchen Ausmaßen die örtliche Windenergie überhaupt für einen ertragreichen Betrieb reichen werde. Fraglich bleibt allerdings, welchen Einfluss man von Unterreit aus überhaupt auf dieses Projekt in einer Nachbargemeinde nehmen kann, ist das ins Auge gefasste Areal doch zudem durch entsprechende Gutachten als „Windvorranggebiet“ ausgewiesen und damit für den Bau von Windrädern „privilegiert“, was die Durchführung der Baumaßnahme wesentlich erleichtern dürfte.
Auch der geplante Bau einer großen PV-Anlage „auf gutem Ackerland“ wurde von einem Anrainer heftig kritisiert. Hier konnte Seidl aber beruhigen: Das sei ein Vorhaben der Gemeinde und man sei erst in der Planungsphase. Man werde alle Seiten hören und die Argumente ernst nehmen, um zu einem möglichst einvernehmlichen Ergebnis zu kommen.
Ein Bankerl aufstellen
So wurde insgesamt in der Diskussion deutlich, dass die Akzeptanz von Projekten im Rahmen der Energiewende und die Bereitschaft zur emotionslos-sachlicher Diskussion verständlicher Weise umso schwerer fällt, je dichter man am geplanten Projekt wohnt. Und da ist eine Reihe von Großwindrädern mit 175 Metern Naben- und 250 Metern Gesamthöhe nun einmal eine ganz andere Hausnummer als eine Fläche mit Solarmodulen im Grünen.
Letztlich könnte sich aber der sarkastisch-resignative Vorschlag eines Gemeindebürgers, man möge an geeignetem Ort ein „Bankerl“ aufstellen, von dem aus man die Riesenwindräder „bewundern“ könne, als durchaus realitätsnah erweisen. Hoffentlich drehen sie sich dann zumindest…