Schutzraum für künftige Fachkräfte
Jugendliche mit Behinderung: So legt das Bildungswerk in Aschau am Inn die Grundlage für sie
Jugendliche mit Behinderungen können auf dem Arbeitsmarkt bestehen. Die Grundlage legt die verzahnte Ausbildung im Berufsbildungswerk Don Bosco in Aschau. Wie, das zeigen ein 17-Jähriger und eine Werbeagentur.
Aschau am Inn - Wenn Azubi David (17) in Wolfgrub bei der Werbeagentur Shytsee am Computer sitzt und eine Video-Animation erstellt, dann ist er im Tunnel. Dann ist er hoch konzentriert und durch nichts abzulenken. David arbeitet so lange, bis die Animation perfekt ist. Das freut ihn und seine Ausbildungsbeauftragte, Sophia Scheitzeneder. Das wäre nichts Besonderes, wäre David nicht Teil einer besonderen Ausbildung durch das Berufsbildungswerk Don Bosco in Waldwinkel. Er ist einer von rund 200 Jugendlichen mit körperlichen, geistigen oder sozialen Beeinträchtigungen, die im Berufsbildungswerk mit der verzahnten Ausbildung an den ersten Arbeitsmarkt herangeführt werden.
Mit 14 schon so gut wie andere erst mit 30
Als Autist hat David eine Inselbegabung. „Er konnte mit 14 schon so gut animieren wie andere erst mit 30“, sagt seine Chefin. „Er arbeitet super gewissenhaft, sagt direkt, was er denkt und fühlt. Das ist eher eine Chance als eine Schwäche.“
Sein Problem sind andere Menschen. „Sehr sogar“, sagt David selber. Er geht nicht auf sie zu, ist aber höflich und offen, wenn er direkt angesprochen wird. Im Gegenzug hat er ein enormes technisches Verständnis und kann mehrere Programmier-Sprachen, er ist äußerst praxisorientiert.
„Er braucht eine besondere Aufmerksamkeit“
Sophia Scheitzeneder kennt David seit seinen ersten Praktika während seiner Schulzeit; die Werbeagentur wollte David und seine Talente unbedingt fördern, deshalb hat sie gemeinsam mit seinen Eltern nach einer Möglichkeit gesucht, um ihm eine bestmögliche Ausbildung zu ermöglichen. Scheitzeneder: „Er braucht eben eine besondere Aufmerksamkeit und ist mehr Praktiker als Theoretiker, deshalb war vor allem die Unterstützung bei schulischen Herausforderungen wichtig.“
Die Lösung ist die verzahnte Ausbildung im Berufsbildungswerk Don Bosco: In Waldwinkel lernt David seit eineinhalb Jahren den Beruf des Kaufmannes für IT-Systemmanagement und macht regelmäßig Praktika bei Shytsee, hat in Wolfgrub einen festen Arbeitsplatz und eigene Projekte.
„Sehr viel Potenzial, das auf den ersten Blick nicht gesehen wird“
Gerade für Jugendliche mit Beeinträchtigungen sei die verzahnte Ausbildung eine gute Chance, so Ausbildungsleiter Andreas Harr: „Die haben sehr viel Potenzial, das auf den ersten Blick nicht gesehen wird.“
Eine Auszubildende leide zum Beispiel an Depressionen, sei ansonsten aber eine Top-Elektronikerin; das kompensiere die Einschränkungen. Ein anderer Autist sei mit Präsentationen überfordert, habe aber in seinem Betrieb in drei Tagen einen Schaltplan gezeichnet, den sein Ausbilder ein „Meisterstück“ nannte. Einer anderer Azubi habe seine Lehre als Bayerns Bester abgeschlossen, scheue aber die Öffentlichkeit und arbeite lieber im Büro.
Langsam und dosiert an den ersten Arbeitsmarkt heranführen
„Die meisten haben, bis sie zu uns kommen, schon viele Rückschläge verkraften müssen“, weiß Harr. In Waldwinkel bekommen sie erst einmal einen geschützten Raum. „Wir führen sie dann langsam und wohldosiert an die Anforderungen und den Ton in einem Betrieb heran.“
„Wir fokussieren uns auf die Stärken unserer Mitarbeiter“
Wichtig sind dabei die Praxiszeiten in den Unternehmen. „Die Betriebe haben keine Ausgaben und können ihre zukünftigen Fachkräfte schon heute kennenlernen“, lobt Harr das System (siehe Kasten). „Ein Jahr nach dem Abschluss haben rund 70 Prozent eine Stelle im ersten Arbeitsmarkt.“
Derzeit bildet Don Bosco rund 220 Jugendliche in 36 Berufen aus; am Ende stehen normale IHK- oder Kammer-Prüfungen. Nur rund 30 Prozent durchlaufen die in der Theorie etwas abgespeckte, aber nicht weniger vollwertige Ausbildung zum Fachpraktiker.
Mit der verzahnten Ausbildung kann Sophia Scheitzeneder David die gewünschte Chance geben: „Wir fokussieren uns auf die Stärken unserer Mitarbeiter und David hat super viele Stärken.“ Stärken, die auch sie persönlich bereichern: „Er spricht alles offen und ehrlich an. Das imponiert mir. Das ist etwas, wo ich mir von ihm eine Scheibe abschneiden kann.“
Die Prokuristin der Werbeagentur mit 30 Mitarbeitern kann andere nur bestärken: „Keine Angst, weil jemand eingeschränkt ist. Das bedeutet nicht, dass jemand schlechter ist oder man ständig Probleme hat!“
So funktioniert die verzahnte Ausbildung mit dem Berufsbildungswerk
Bei der verzahnten Ausbildung mit dem Berufsbildungswerk Don Bosco gehen ein Unternehmen und Don Bosco eine Kooperation ein und legen gemeinsam die Ausbildungsinhalte fest. Die allgemein-praktische und schulische Ausbildung erfolgt in Waldwinkel, die unternehmensbezogene mit Praktika im Betrieb, die in Summe sechs Monate umfassen. Die Ausbilder bei Don Bosco bereiten die Jugendlichen auf diese Praktika vor, begleiten und unterstützen sie bei Bedarf. Don Bosco ist der Ausbildungsbetrieb, übernimmt die Ausbildungsvergütung sowie die Beiträge zur Sozialversicherung und ist Ansprechpartner für die Industrie- und Handelskammer, die Handwerkskammer und das Jobcenter.
Um die verzahnte Ausbildung in der Region zu stärken, möchte Don Bosco unter dem Titel „i2 = Integration x Inklusion“ ein Partnerprogramm aufbauen. Eine erste Informationsveranstaltung für Unternehmen findet am Donnerstag, 27. April, von 9 bis 12 Uhr im Berufsbildungswerk Waldwinkel statt.