Neuer Direktor am Amtsgericht Mühldorf
Zwischen Recht und Bauchgefühl – Wie das Leid von Kindern Richter Stephen Kroner prägt
Stephen Kroner ist neuer Direktor des Amtsgerichts Mühldorf. Als langjähriger Familienrichter weiß er, welche Urteile an die Nieren gehen. Weil sie über das Leben von Kindern entscheiden.
Mühldorf – Es sind selten die spektakulären Fälle, die vor dem Amtsgericht Mühldorf verhandelt werden, die großen, die auch überregional Aufmerksamkeit erregen, die, die mit hohen Strafen enden, sie werden andernorts verhandelt. Es sind eher Alltagsdinge, die in Mühldorf vor dem Kadi landen: Wer wem den Bierkrug zuerst auf den Kopf gestellt, den Nachbarn beleidigt, seine kleine Firma in die Insolvenz geführt hat oder die Raten für sein Haus nicht mehr bezahlen kann.
Seit einigen Wochen: Direktor
Im zweiten Stock des großen Amtsgerichts-Gebäudes an der Stadteinfahrt Mühldorf, ganz am Ende eines sehr langen Ganges, sitzt Stephen Kroner in seinem Büro im schwarzen Ledersessel und sagt: „Ich bin gerne Amtsrichter“, er spricht sogar von der „Liebe zum Amtsgericht“. Kroner, 55, im hellblauen Anzug hat er wenig von einem Richter, sieht eher aus, wie ein leitender Angestellter. Wie ein Direktor, was seit ein paar Wochen auch auf seinem Türschild steht.
Anfang des Jahres hat er die Leitung des Amtsgerichts von Jürgen Branz übernommen, der in den Ruhestand gegangen ist. Seitdem steht Kroner dem Gericht vor, zunächst kommissarisch, seit kurzem auch offiziell. Ein Verwaltungsjob.
Der macht aber nur die Hälfte seiner Tätigkeit aus, denn Kroner bleibt Richter und wird weiter das tun, was er seit Jahren macht: Als Familienrichter über das Wohl von Kindern entscheiden.
„Es gibt nichts Schlimmeres als Mutter oder Vater das Kind wegzunehmen“
Kroner bezeichnet sich selbst als positiven, als fröhlichen Menschen. Sein zuversichtlicher Grundton schwindet auch dann nicht, wenn er von den Schattenseiten seiner Entscheidungen spricht. Denn die Entscheidungen treffen stets Familien, allen voran Kinder. „Es gibt nichts Schlimmeres als Mutter oder Vater das Kind wegzunehmen“, sagt Kroner.
Das ist Teil seiner Arbeit, wenn er darüber urteilt, ob der Vater seine Tochter sehen darf, oder der Sohn in eine Pflegefamilie muss. Wenn das Wohl des Kindes aber gefährdet ist, muss die Gefährdung beendet werden. Natürlich versuche er gütliche Lösungen zu finden, Möglichkeiten innerhalb der Familie zu sehen. Aber am Ende steht der Richterspruch und der hat stets das Kind im Blick. Auch wenn es für die Beteiligten hart wird. „Das ist belastend“, sagt Kroner, „das nimmt man mit nach Hause.“
Kinder in Entscheidungen einbeziehen
Dort warten Frau und zwei zehn- und zwölfjährige Söhne, der älteste, 26, steht kurz vor der Promotion. Es ist auch die eigene Familien-Erfahrung, die Kroners Herangehensweise prägt.
Deshalb bezieht er die Kinder stets ein, wenn Familienstreitereien vor Gericht landen. Er besucht die Kinder zu Hause, spricht mit ihnen in seinem Büro oder spielt mit ihnen in der Gerichtsbibliothek, um herauszufinden, wie sie ihre Situation sehen. Wie bedrohlich sie wirklich ist. Was sie sich wünschen.
Zwar steht auch der Familienrichter unter dem Gesetz, viel mehr aber als bei seinen Richterkollegen, vollziehen sich seine Entscheidungen im Graubereich. „Das geschieht natürlich mit einem gewissen Bauchgefühl“, sagt Kroner. „Man hat keine Glaskugel.“
Deswegen werden Entscheidungen immer wieder überprüft, von Amts wegen, wie es im Behördendeutsch heißt. Dann könnten sie auch revidiert werden, sollte sich die Situation in den Familien verändert haben.
Als Amtsrichter ganz nah an den Menschen
„Ich bin gerne Familienrichter, mit Herzblut“, sagt Kroner, die Arbeit mit Kindern macht ihm Spaß. Sie zeigt, wie nah er am Alltag vieler Menschen ist, ihren Sorgen und Problemen.
Was Kroner als Familienrichter erlebt, das kennen auch seine neun Kollegen, darunter vier Frauen. „Wir sind ganz nah an der Basis“, sagt er, seine neue Stellvertreterin, 43, nennt es „das pralle Leben“. Die Altöttingerin Dr. Angela Miechielsen ist aus München aufs Land zurückgekehrt, von der Staatsanwaltschaft ans Amtsgericht. „Wir sind näher am Leben“, glaubt sie, „an der Vielfalt des Lebens“.
Neben den zehn Richterinnen und Richtern arbeiten 75 Mitarbeiter am Amtsgericht. Wachtmeistern und Rechtspflegerinnen, Sekretärinnen und Gerichtsvollziehern ist der neue Amtsgerichtsdirektor Kroner direkt vorgesetzt. Mitarbeiter sagen, er würde sich wirklich für sie und ihre Arbeit interessieren. Das habe man in den ersten vier Monaten gespürt.
Kroner nennt seine Leute motiviert und engagiert, das Haus sei gut bestellt, große Änderungen müsse es nicht geben. Die wohl einschneidendste: die Digitalisierung von Akten. Neue Akten werden grundsätzlich digital geführt, nur die alten bleiben in Papierform übrig. Besonders aufwändig sind laut Kroner hybride Akten, die bisher in Papierform daher kamen und künftig elektronisch weiter geführt werden.
Richter sind nicht weisungsgebunden
Gegenüber den Richterinnen und Richtern ist der Direktor nicht weisungsbefugt. Auf sie hat der Chef keinen Einfluss. „Sie sind ihr eigener Herr“, sagt Kroner. Das liegt am Grundgesetz, das im Artikel 97 sagt: „Die Richter sind unabhängig und nur dem Gesetze unterworfen.“
Da bleibt nur das Gespräch, der Austausch mit den Kollegen, den Kroner „goldwert“ nennt. Das gilt auch für alle jene, die rund um das Amtsgericht bei der Suche nach Gerechtigkeit und Sicherheit mitarbeiten: dem Familien- und Jugendamt, der Polizei, Gutachtern und Rechtsanwälten.
Der Richter und die Familienanwältin
Beim Fototermin vor dem Amtsgerichtsgebäude kommt Rechtsanwältin Elisabeth Wunder auf den Eingang zu. Die Mühldorfer Juristin hat einen Termin im Haus. „Eine meiner guten Familienanwältinnen“, stellt sie Kroner vor und lacht. Es ist offensichtlich: „Mir macht es Spaß mit den Leuten.“