Volksfest Mühldorf
27,6 Kilo in zwei Händen und 14 Kilometer in den Beinen - Unterwegs mit Wiesn-Bedienungen
Sie schleppen riesige Tabletts und hoffentlich wohl gefüllte Maßkrüge: die Bedienungen beim Mühldorfer Volksfest. Profis sind nur die wenigsten, viele müssen sogar Urlaub nehmen.
Mühldorf – Der Volksfestplatz füllt sich, es geht auf Mittag zu. Trotz der für ein Volksfest frühen Stunde sind schon viele Menschen unterwegs. Kein Wunder, alle Wirte locken mit Mittagsangeboten und einer halben Bier zum günstigen Preis. Eine Gruppe Gäste trägt Firmen-T-Shirts, andere haben schon Lederhose und Dirndl an. Eine Gruppe Älterer geht durch den Seiteneingang ins Spaten-Zelt.
Vor der Essensausgabe stehen Magdalena Rothenaicher, Stefan Lochbrunner und Erik Decker und ratschen. Alle drei tragen Tracht. Die hölzernen Wäscheklammern, die mit ihren Namen beschriftet sind und die an ihren Gürtel befestigten Geldbeutel verraten, dass sie keine Gäste sind.
Sie sind drei der insgesamt 85 Bedienungen im größten Mühldorfer Volksfestzelt. Die drei kann man als erfahrene Mitarbeiter bezeichnen. Rothenaicher bedient seit zwei Jahren, Lochbrunner seit sieben, nur Decker ist erst zum zweiten Mal dabei. Man muss kontaktfreudig, kritikfähig und stressresistent sein, erzählen sie. Eigenschaften, die sie alle mitbringen.
Lieber einen ruhigen Job? Sicher nicht
Gerade hat der Mittagstisch begonnen. Es ist noch wenig los, das Zelt verhältnismäßig spärlich besetzt, die anfallende Arbeit überschaubar. Es scheint die angenehmste Zeit zu sein. Rothenaicher widerspricht: „Mittags ist es nicht unbedingt leichter. Wenn weniger los ist, steht man viel und die Zeit geht nicht rum.“
Also lieber mit Armen voll Maßkrügen und den schweren Tablets voller Hendl und Würsten durchs Zelt eilen. Das macht nicht nur mehr Gaudi, es ist auch einträglicher. Denn der Lohn der Bedienungen setzt sich aus einer Umsatzbeteiligung und Trinkgeld zusammen. Heißt: mehr Gäste, mehr Geld. Wie viel? Das verrät keiner.
Vor dem Erhartinger-Festzelt hört man Blasmusik. Die dunkle Holzeinrichtung schafft das Gefühl, in einer riesigen Hütte zu sein. Gegenüber des Eingangs steht Stefan Waldinger an der Schänke und überblickt die Tische: Er hält Ausschau nach Gästen, die bestellen oder bezahlen wollen. Zusammen mit 30 Kollegen und Kolleginnen betreut er das Fest im Erhartinger, berichtet sein Chef, Festwirt Markus Leserer.
Alles noch per Hand
Um die acht Stunden täglich ist Waldinger auf den Volksfestbeinen, er kellnert heuer zum zweiten Mal. Von seiner eigentlichen Arbeit in der Buchhaltung eines Unternehmens hat er sich Urlaub genommen, denn im Festzelt findet er eine ideale Verbindung von Beruf und Kellner-Hobby. Weil er Gäste und Zahlen liebt, sagt Waldinger: „Man muss mit Leuten können und Kopfrechnen.”
Denn in den Zelten geht es traditionell zu, Block und Stift statt Minicomputer oder Handy-App für die Bestellung. Anders als in vielen Wirtshäusern ist im Zelt noch alles analog.
Auch körperliche Ausdauer ist wichtig. „Wenn man auf‘d Nacht heim kommt, weiß man, dass man was getan hat“, sagt Waldinger. Kein Wunder: Ein voller Maßkrug wiegt 2,3 Kilo, davon trägt Waldinger im Durchschnitt acht bis zwölf, maximal 14, auf einmal: Das macht dann rundherum 27,6 Kilo bei jedem Gang durchs Zelt.
20.000 Schritte im Durchschnitt
Wie weit er an einem Arbeitstag geht, weiß er nicht genau. Er ruft einen Kollegen. Der zückt sein Handy und öffnet eine Schrittzähler-App: ungefähr 20 000 Schritte seien es pro Tag, manchmal auch mehr. Bei einer durchschnittlichen Schrittlänge von 60 oder 70 Zentimetern wären das zwölf oder 14 Kilometern. Ein strammer Marsch unter erschwerten Bedingungen an jedem Tag.
Anders als Waldinger sind Magdalena und Annalena Schmidiger zum ersten Mal auf dem Volksfest. Gemeinsam mit 33 Kolleginnen und Kollegen sind die Cousinen im neuen Innbräu-Zelt für die Bewirtung verantwortlich.
Zwei Cousinen als Neulinge
„Ich hab mir schon mal überlegt, dass ich das gern machen würde“, erzählt Magdalena. „Und dann bin ich gefragt worden.“ Sie zögert nicht lange, und erzählt ihrer Cousine von der Anfrage. Annalena Schmidiger hatte bereits Erfahrungen in der Gastronomie sammeln können. Sie beschließen gemeinsam: Wir machen es.
Magdalena arbeitet in einem Industriebetrieb, Annalena macht eine Ausbildung. Um im Innbräu-Festzelt arbeiten zu können, haben auch sie sich extra freigenommen.
Im Stress keinen Stress
Das gilt auch für Sandra Lechertshuber, die abends durchs Innbräu-Festzelt wirbelt. Acht Jahre Erfahrung als Wiesn-Bedienung hat sie bereits. „Eine Freundin von mir hat nach einer Aushilfe gesucht“, da hat sie zugesagt, da fing es an. Seitdem ist sie immer wieder unterwegs.
Dabei kann Lechertshuber, die auch noch Vorsitzende des Alpenvereins Mühldorf ist, erst nach 16 Uhr arbeiten, vorher muss sie ihr Geld in einer Töginger Firma im Veranstaltungsmanagement verdienen. Aber danach tobt sie sich zwischen den Biertischen aus. „Die Arbeit als Bedienung ist für mich ein Ausgleich zum Bürojob und ein schönes Taschengeld“, erzählt sie.
Viel Verständnis bei den Gästen
Stress bereitet ihr die Doppelbelastung nicht: „Man darf sich als Bedienung aber auch nicht immer alles gefallen lassen und mit einem lockeren netten Spruch kann man den betrunkenen Gästen auch mal etwas Wind aus den Segeln nehmen“, lacht sie, stellt den Besuchern aber insgesamt ein eher gutes Zeugnis aus. Die meisten Gäste hätten in Stresssituationen vor allem zu Stoßzeiten Verständnis, wenn es etwas länger dauere.
Lechertshuber zieht mit einem Tablett voller Hendl und Schwammerl davon in Richtung Boxen. Stoßzeit. Viel Gelegenheit zum Ratschen bleibt da nicht.


