Freund und Begleiter des Unfallopfers im Zeugenstand
Viele Zeugen können sich im Prozess um Tod eines 16-Jährigen in Mühldorf nur vage erinnern
Wenn die Erinnerung ungewiss ist: Die Staatsanwältin muss nicht erst das oberste deutsche Gericht zitieren, damit klar wird, wie vage Zeugenaussagen in einem Verkehrsprozess sind. Vor diesem Problem stehen nun auch die Beteiligten in der Verhandlung um den Tod eines 16-Jährigen Mühldorfers.
Mühldorf – Auch in der Verhandlung um den Tod eines 16-Jährigen auf der Mühldorfer Nordtangente, möglicherweise Opfer eines illegalen Autorennens, bleiben am Ende viele schwache Erinnerungen, nicht belegbare Vermutungen und Schätzungen.
Nur einer hat bei der Verhandlung im Amtsgericht Mühldorf offenkundig eine eindrückliche Erinnerung an den Abend, traumatisiert von dem Tod seines Freundes. Achmed K. ist am Abend des 5. Februar mit ihm unterwegs. Achmed K. sitzt in sich versunken vor Richter Branz, spricht sehr leise, ist kaum zu verstehen, seine Antworten sind extrem kurz. Immer wieder muss Branz nachfragen.
„Erst ist er normal gegangen. Dann schnell gelaufen, ein paar Schritte, als das Auto von links kam. Dann hat es geknallt.“
Achmed ist, wie sein verstorbener Freund, 16 Jahre alt. Sie kommen vom Bahnhof, gehen über den Innkanalsteg in Richtung Nordtangente, hören über Ohrstöpsel Musik. Das gleiche Lied, von einem Handy per Bluetooth auf die Kopfhörer übertragen. Die Fußgängerampel am Ende des Stegs zeigt Rot, Achmed drückt den Knopf. Sie warten. Achmed sagt: „Er ist dann plötzlich auf die Straße gegangen. Es ging so schnell.“ Der Richter fragt nach. Achmed sagt: „Erst ist er normal gegangen. Dann schnell gelaufen, ein paar Schritte, als das Auto von links kam. Dann hat es geknallt.“
Freund des Opfers soll sich an Schritttempo erinnern
Achmed K. steht auf, er soll im Gerichtssaal vormachen, wie schnell sein Freund unterwegs war. Auf dem Boden liegt ein Meterstab, so lang, wie die Nordtangente breit ist. An dem soll er entlang gehen. Achmed schüttelt den Kopf, setzt sich wieder. „Ich kann das nicht.“
Gutachter Frank Schmidinger zeigt ein Video von Menschen, die die Nordtangente an dieser Stelle in unterschiedlicher Geschwindigkeit überqueren. Achmed K. sagt, es war die mittlere Geschwindigkeit. Das ist normales Gehen, etwa sechs Kilometer in der Stunde. Auf dem Metermaß zeigt Achmed, dass sein Freund zwischen 1,50 und 1,80 Meter weit auf die Straße kommt, bevor ihn das Auto erfasst.
Unfallfahrer fuhr wohl nicht bei Rot über die Ampel
Damit scheint sicher, dass Hans T. nicht bei Rot über die Ampel fährt, als sein VW den 16-Jährigen tötet. Eine Zeugin bestätigt das: „Er hatte Grün.“ Es scheint auch sicher, dass T. vor dem Aufprall nicht bremst. Das sagen mehrere Zeugen übereinstimmend aus: erst der Knall, dann das Geräusch bremsender, quietschender Reifen.
Der Rest sind vage Erinnerungen und Schätzungen. Ein junger Mann sagt: „Was sind das für Gestörte, habe ich gedacht.“ Er beobachtet die beiden Autos vom Autohaus Schreiner-Wöllenstein aus. „Sie waren sehr zügig dran.“ Den Abstand zwischen den beiden Fahrern gibt er mit zwei, drei Fahrzeuglängen an, maximal zwei Bäume, die auf einem Luftbild am Straßenrand zu sehen sind. Bei der Erstvernehmung durch die Polizei hat er laut Verteidiger Jörg Zürner dagegen von 50 oder 100 Metern gesprochen. Der Zeuge räumt ein, sich nicht mehr genau zu erinnern. Er meint, mehrmaliges Hochschalten gehört zu haben, geschätzt seien die beiden mit 120 oder 130 unterwegs gewesen, doppelt so schnell wie andere Autos vorher. „Man kennt die Autos.“
Im Gutachten ist von Tempo 80 die Rede
Eine junge Frau steht an diesem Abend bei McDonalds. Sie sagt, sie könne nicht gut schätzen, erinnert sich aber, dass beide Autos aus dem Kreisverkehr heraus stark beschleunigt hätten. Eine andere ist auf dem Radweg an der Nordtangente unterwegs. Sie sagt, der VW sei höchstens 50 gefahren.
An diesem Punkt schaltet sich Richter Branz ein und gibt ein Detail aus den Gutachten preis, die erst im Januar vorgestellt werden: Dort heißt es laut Branz, dass der Unfallfahrer Tempo 80 fährt, als der 16-Jährige stirbt. Erlaubt sind dort 50.
Der Prozess geht am 28. Dezember weiter.