Ein Fälscher auf der Suche nach der Liebe
Sigi Zimmerschied im Haberkasten: Warum die Mühldorfer keine Heiligen sind
Sigi Zimmerschied im Mühldorfer Haberkasten: Er erzählt aus dem Leben eines Fälschers – und verhilft zu einer wichtigen Erkenntnis über die Mühldorfer.
Mühldorf – „Heilige verstehen keine Ironie.“ Das sagte Hans Doppler – unter bürgerlichem Namen bekannt als Sigi Zimmerschied – bei seiner ausverkauften Verkaufsshow im Mühldorfer Haberkasten. Doppler hatte allerhand Sonderangebote zur Hand: Impfausweise, Bachelor-Urkunden, Schwerbehindertenausweise, Parteibücher, Waffenscheine und „für das Selbstbewusstsein“ Polizeiausweise – alles gefälscht natürlich. Er pries seine Ware an, machte sie schmackhaft, lockte mit Sonderangeboten und kam doch immer wieder ins Erzählen.
Hans Doppler ist der jüngste Spross einer Fälscher-Dynastie, die bis in das 17. Jahrhundert zurückreicht. Der Urvater war ein Barbier in Venedig. Er fertigte mit einer Leiche („einem Rasierunfall“) in seinem Keller das Grabtuch Jesu an, half damit dem Dogen und stieg so zum Minister auf.
Nach 300 Jahren sind die Gene ausgereift
Doch nach 300 Jahren „sind die Gene ausgereift“. Hans Doppler ist zwar noch „ein Fälscher, ein Faker, ein wandelndes Darknet“, aber er krankt an der Zeit. Seine Dienste werden immer weniger geschätzt und gebraucht. In Zeiten der Selbstinszenierung ist mit Fälschungen kein Staat mehr zu machen.
Auch sonst ist er aus der Zeit gefallen: Er ist ein sexistischer, fleischessender Chauvi, ein alter, weißer Mann aus dem Bilderbuch. Die Gegenwart und der Zeitgeist ziehen ihm den Boden unter den Füßen weg.
Verliebt in einen verklärten Blick
Sein einziger Halt ist jetzt noch Amelie: eine klimabewusste, woke, hochmoralische, ironiefreie, achtsame Vegetarierin, in die er sich verliebt hat. „Sie ist eine Heilige“. Ihr verklärter Blick verzaubert ihn, richtet ihn auf, lässt ihn hoffen. Deshalb spielt er ihr etwas vor, verleugnet er sich, gibt er sich geläutert, geht mit ihr auch mal in ein vegetarisches Restaurant (wo er dann auf der Toilette die heimlich mitgebrachten Regensburger verdrückt).
In diesem Spannungsfeld steht Doppler vor seinem Publikum, räsoniert er zwischen seinen Fälscherangeboten über die Liebe, das Leben und die Menschen. Plädiert er dafür, den Menschen zu sehen, „wie er ist, nicht wie wir ihn uns hindenken“.
Mal laut, mal leise – mal wütend, mal nachdenklich – mal krachledern, mal feinsinnig
Von all dem erzählt Sigi Zimmerschied in eineinhalb Stunden – mal laut, mal leise; mal wütend, mal nachdenklich; mal krachledern, mal sehr fein und poetisch. Zimmerschied bietet dabei sein ganzes sprachliches, schauspielerisches, mimisches und gestisches Können auf. Er trifft den Lachnerv seines Publikums, ist vor allem im ersten Teil sehr unterhaltsam, kurzweilig und vielversprechend.
Mit der Pause bricht Spannungsbogen. Plötzlich vermittelt Doppler auch Schauspieler und hadert damit, dass in Film und Fernsehen jetzt ständig „Diverse“ gebraucht werden. Später sinniert er darüber, Coach zu werden oder gar Staatsdiener, und bedient dabei immer öfter nur noch Klischees. Da sind Politiker „unbegabte Fälscher, die es bis zum Ministerposten schaffen“ und bei Beamten beschränkt sich deren Dasein sich auf „Sitzen, Nichtstun und Stimmungslieder singen“ sowie auf die Eingliederung in die Ober–Unter–Hierarchie.
Am besten ist Zimmerschied noch, als Doppler ein Treffen von Klimaaktivisten besucht, das herrlich plastisch parodiert und im Eklat enden lässt, als er unschuldig fragt, warum die sich so aufregen, wenn sie doch „die letzte Generation“ sind?
Verschenkte Momente
Als er Amelie endlich seine Liebe gesteht, sich aufrichtig ändern will, wendet sie sich enttäuscht von ihm ab: „Ich hätte dich als Arschloch gebraucht, nicht als Freund.“ Doch das zieht schon nicht mehr, ist nicht mehr recht überzeugend. Für den Fall Dopplers fehlt es an Spannung, Höhe und Wucht.
Das geht ebenso unter wie der Schluss: Doppler ist jetzt alleine, einsam und nackt: „Wer bin ich? Ich weiß nicht. Ist auch ganz gut so.“ Ein Moment, der unter die Haut gehen könnte. Doch an diesem Abend wird er überspielt, statt ausgehalten und verpufft.
Und so bleibt ein fulminanter, vielversprechender erster Teil. Es bleibt ein schauspielerisch überzeugender Zimmerschied, der seinem Publikum reichlich Zucker gibt. Und doch fehlt dem Abend das Überraschende, die Höhe, die Wucht und der Furor, der die anschließende Stille und Ratlosigkeit umso schreiender macht. Dennoch: Unterm Strich ist „Dopplerleben“ alles in allem aber immer noch ein gutes, solides, unterhaltsames Programm.
Dem Publikum war das egal: Es applaudierte begeistert, wohl auch weil in jedem auch ein kleiner Doppler steckt und Mühldorfer vieles sind – nur eines nicht: Heilige. Dafür haben sie an diesem Abend zu viel gelacht. Auch das ist schon mal tröstlich.

