Begeisterter Applaus vor vollem Haus
Die Fratze der Boomer: Wie Josef Hader im Mühldorfer Stadtsaal verstörte
Josef Hader gastierte mit seinem Programm „Josef Hader on ice“ im Mühldorfer Stadtsaal. Ein in vielerlei Hinsicht verstörender Abend, der die Frage provozierte: Was war denn das?
Mühldorf - Gut drei Stunden mit „Hader on ice“, das kann eigentlich nur ein Erlebnis sein, ein Abend, der unterhält. In Mühldorf war es auch genau das, ein genialer Abend, der auf dem Heimweg aber doch eine Frage provozierte: „Was war denn das?“
„Hader on ice“ war Kabarett und dann doch nicht. Es war neu und dann dramaturgisch doch nicht. Es bediente das Klischee vom zynischen Misanthropen, suchte und brauchte dann aber doch das Publikum. „Hader on ice“ hielt dem Publikum (oder zumindest einem Teil davon) schonungslos den Spiegel vor und erntete doch von eben jenem Teil den wohl lautesten Applaus.
Erstes Soloprogramm seit 19 Jahren
„Hader on ice“ ist Josef Haders erstes Soloprogramm seit nunmehr 19 Jahren und - wie zu lesen ist - wohl sein letztes. Es ist ein schonungsloses und bitteres Programm, mit dem er seit 2021 die Säle füllt.
Im richtigen Leben würde um die Kunstfigur Hader wohl jeder einen großen Bogen machen. Schwarze Schuhe, schwarzer Anzug, schwarzes Hemd, in der Hand ein Glas Rum, so sitzt er da und schwadroniert: breitbeinig, überheblich, selbstverliebt und prahlerisch. Er ist der Prototyp des intellektuellen, zu Geld und Ruhm gekommenen Babyboomers am Ende seines Lebens. Ein saufender, verfallender Verschnitt aus Dean Martin, Frank Sinatra und Hugh Hefner.
„Genau zum richtigen Zeitpunkt geboren“
Hader schimpft auf alles: Wien, das er gegen seine neue Wahlheimat Weinviertel („Es ist wie die Toskana - genauso überschätzt.“) getauscht hat. Er prahlt, wie umweltfreundlich er ist, weil er nur noch ein Auto hat und dieser SUV ein E-Auto ist. Er hat Glück gehabt: „Genau zum richtigen Zeitpunkt auf die Welt gekommen, um der nächsten Generation alles wegzufressen und zum Schluss schmerzfrei zu sterben.“
Die Lösung für das Flüchtlingsthema
Er liebt als Greis Frauen, die seine Enkelinnen sein könnten („Ein junger Mensch hat noch Hoffnung“), und sieht die Rückkehr des Mittelalters: „So viel Boten wie heut gab’s nicht mal im Mittelalter. Seuchen und Enthauptungen haben wir auch wieder.“ Hader kennt auch die Lösung für das Flüchtlingsthema: die Sklaverei wieder einführen. „Es kommen erstens weniger. Und zweitens genau die richtigen. Und die, die da san, haben endlich einen richtigen Schutz. Nichts ist hier so geschützt wie Eigentum.“
Natürlich kennt er seit Corona die Wahrheit („Ich habe alles recherchiert - im Internet.“): Von der Weltverschwörung der Pflanzen („Die sind alle verwurzelt. Weltweit“) bis hin zum Zweiten Weltkrieg: „Wem hat der Zweite Weltkrieg genutzt? Dem Hitler jedenfalls ned.“ Und er erzählt von dem Pfarrer, der ihm mit dem alles mitschreibenden Nikolaus drohte: „Das war meine erste Verschwörungstheorie.“
Plötzlich ist es ganz still. Sekundenlang.
Die Angina Pectoris des „Haders on ice“ schafft den ergreifendsten Moment des Abends: Angina Pectoris bedeute eigentlich „Enge des Herzens“. Pause und dann leiser: „In ganz Europa gibt es diese Enge des Herzens.“ Da ist es plötzlich ganz still. Sekundenlang, bis zögernd Applaus erklingt.
Ein Wrack und eine geniale schauspielerische Leistung
„Hader on ice“ ist eine zynische Fratze des alten, weißen Mannes, der Wohlstands- und Boomer-Generation. Eine Karikatur, die vor den Augen der Besucher immer weiter und offensichtlicher verfällt, immer betrunkener, ehrlicher und zynischer wird. Am Ende krümmt er sich auf seinem Stuhl, ist er geistig und körperlich am Ende, zittert sein rechter Arm wie wild: ein Wrack und eine geniale schauspielerische Leistung.
„Der Rudl wird immer da sein“
Am Schluss bleibt diesem Hader nur sein imaginärer Begleiter: der sprechende Riesenwolf Rudl, der fünf Kilo Rindercarpaccio verdrückt, den „Kleinen Prinzen“ zitiert und dort, wo der Josef weich wird, in einem genial gesprochenen Dialog bärbeißig dagegen hält. Rudl ist Haders letzter, verzweifelter Halt: „Der Rudl wird immer da sein.“
Mit Rudl zieht er zwar nicht in den Sonnenuntergang, aber zum Klavier und stimmt das wohl sentimentalstes aller Lieder an: „Somewhere over the rainbow“. Hier ist es nur noch eine verzerrte, schräge, kranke Version und ein treffender Schlusspunkt dieses genialen Abends.
Was war also „Hader on ice“?
Josef Hader ist ein begnadeter Beobachter der Zeit und seiner Mitmenschen, ein Sprachvirtuose und ein superber Schauspieler, der weder sich noch seine Zuschauer schont, der den körperlichen und geistigen Verfall feinstens dosiert, steigert und schonungslos zeigt.
„Hader on ice“ ist dramaturgisch vielleicht nicht neu, aber in der Umsetzung packend. Es war keine Komödie, es war eine Tragödie, ein in seiner Vielfalt und Tiefe shakespearesker Monolog, der auch diejenigen begeisterte und applaudieren ließ, die eigentlich in den Spiegel geblickt haben.
Was war also „Hader on ice“? Ganz, ganz großes Ein-Mann-Theater.