Trotz Durchschnitt 1,5 und Bürgermeister als Lehrherr
„Fassungslos“: Einser-Schülerin aus Polling wird Ehrung verwehrt
Verena Gaßner ist stolz und enttäuscht: Die Berufsschule schloss sie mit 1,4 ab – doch die Gemeinde verwehrt ihr die Ehrung. Besonders pikant: Ihr Lehrherr war Bürgermeister Lorenz Kronberger.
Polling – Am 24. November ehrt Pollings Bürgermeister Lorenz Kronberger bei der Bürgerversammlung die besten Schüler, Azubis, Meisterschüler und Studenten. Alle, die mit 1,8, 1,5 oder besser abgeschlossen haben. Alle? Die 19-jährige Verena Gaßner, die im Rathaus den Beruf der Verwaltungsfachangestellten gelernt und die Berufsschule mit 1,4 abgeschlossen hat, nicht.
Auch Note des Ausbildungsberufes ist maßgeblich
Mit dem Notenschnitt von 1,4 liegt Verena Gaßner um 0,1 unter der Messlatte der Gemeinde. Die verlangt „Berufsschulabschluss 1,5“ oder besser, so stand es im August in den OVB-Heimatzeitungen.
Kein persönlicher Glückwunsch
Verena Gaßner meldete ihren Einser-Schnitt an die Gemeinde und freute sich bereits auf die Ehrung bei der Bürgerversammlung, nachdem ihr aus dem Rathaus signalisiert worden war, dass sie demnächst die Einladung erhalten werde.
Ende Oktober schrieb ihr Bürgermeister Lorenz Kronberger und erklärte, dass für die Ehrung die Note des Ausbildungsberufes maßgeblich sei, belegt durch ein Zeugnis der IHK oder der Handwerkskammer. Die Grenze auch dabei: 1,5.
Kronberger bat Gassner, dieses Zeugnis nachzureichen, und schloss: „Sollte eine Ehrung für Sie aber dann nicht mehr möglich sein, hoffen wir trotzdem, dass Sie sich auf Ihrem zukünftigen Schul- und Berufsweg weiterhin so erfolgreich bewähren.“
Gaßner in der Gemeinde Polling ausgebildet
Verena Gaßner fiel aus allen Wolken. „Ich entspreche genau den Anforderungen und verstehe nicht, warum ich jetzt ausgeladen werde!“ Ihre Lehre zur Verwaltungsfachkraft absolvierte sie im Rathaus Polling von September 2020 bis zum Sommer dieses Jahres. „Man könnte als Ausbildungsbetrieb genauso gut stolz darauf sein, dass eine Auszubildende, die noch dazu in der eigenen Gemeinde ihre Lehrzeit absolviert habe, ausgezeichnet wird“, sagt die 19-Jährige, die inzwischen im Landratsamt Altötting arbeitet.
Enttäuschung über Auslegung der Regeln
Dass ihr nun die Ehrung verwehrt wird, empfindet sie als unfair. „Ich möchte gerecht behandelt werden. In meiner Ausbildung habe ich gelernt, dass Regeln aufgestellt werden und diese auch zu befolgen seien. Das ist hier definitiv nicht der Fall.“
Ihre Eltern Helmut und Anita Gaßner schütteln den Kopf. „So geht man doch nicht mit einer Jugendlichen um!“ Er sei „fassungslos“, sagt Helmut Gaßner, Mutter Anita findet es traurig, wie mit der eigenen Auszubildenden verfahren wird. Das Ausbildungsverhältnis sei urplötzlich, nach dem zweiten Ausbildungsjahr, angespannt gewesen. Sie spricht von einer anstrengenden Zeit.
Fachliche Fähigkeiten in Frage gestellt
Dass Kronberger und die Geschäftsleiterin der Verwaltungsgemeinschaft Polling, Gabriele Springer, die Arbeit der Auszubildenden nicht sehr geschätzt haben, bestätigen mehrere Teilnehmer einer nicht öffentlichen Sitzung des Pollinger Gemeinderates. Kronberger und Springer hätten die fachlichen Fähigkeiten von Verena Gaßner vor dem Gemeinderat infrage gestellt, heißt es, das Mädchen sei diskreditiert worden.
Zu dieser nicht öffentlichen Sitzung will sich Bürgermeister Lorenz Kronberger nicht äußern. Stattdessen lobt er die Arbeit seiner Geschäftsführerin: „Frau Springer war sehr darum bemüht, Gaßners Ausbildung hervorragend abzuschließen und das ist gut gelungen!“ Und Springer ergänzt: „Zu weiteren Anfragen oder Behauptungen kann die Verwaltung aufgrund Verschwiegenheitspflicht leider keine Stellung nehmen.“
Kronberger: Jugendliche hat Aufruf falsch ausgelegt
Für Kronberger hat Verena Gaßner den Aufruf „falsch ausgelegt“. Bei Berufen, bei denen es neben dem Zeugnis der Berufsschule noch ein Zeugnis für den Ausbildungsberuf gebe, komme es auf den Durchschnitt beider Noten an. Und da habe Verena Gaßner die erforderliche Note verfehlt, sagt Kronberger auf Anfrage.
Gaßner ist nicht die Einzige
Gaßner sei nicht die einzige, die trotz guter Noten nicht geehrt werde, erklärt Kronberger. Eine andere habe dagegen das fehlende Dokument nachgereicht habe und erhalte 50 Euro plus Schreibset.
Verena Gaßner kennt aber auch einen Fall aus Oberneukirchen, eine Auszubildende, die ebenfalls in der VG Polling angestellt gewesen sei und die eine 1,1 und eine 2,0 vorgelegt habe. Mit einem Schnitt von 1,55 wäre damit knapp über der Norm gewesen, sei aber dennoch geehrt worden. „Das ist Oberneukirchen. Die haben andere Richtlinien“, sagt Kronberger dazu. Oberneukirchen gehört zur Verwaltungsgemeinschaft Polling
Kronberger bestreitet, dass die Richtlinien für die Ehrung 2023 geändert worden seien. „Die sind seit 2012 die gleichen geblieben!“ Und er betont auch: „Wegen einer Person ändere ich nicht die Richtlinie und auch ein System, das bisher unumstritten war!“
Die Richtlinien liegen der Redaktion vor. Der Gemeinderat hat sich demnach am 21. November 2012 damit befasst. In der Niederschrift der Sitzung, die vom damaligen Amtsleiter Georg Hartl unterschrieben wurde und die das Siegel der Verwaltungsgemeinschaft trägt, ist nur von einem Notendurchschnitt von 1,5 die Rede in Verbindung mit einem Berufsschulabschluss. Auf einem losen Beiblatt, das weder Stempel, noch Unterschrift, noch Datum trägt, ist folgende Zusatzqualifikation als Bedingung ausgewiesen: „Nur fachspezifische Berufsschulen, wenn keine gesonderte Prüfung erfolgt“. Ob das Blatt aus dem Jahr 2012 stammt, ist fraglich. Denn dort ist auch ein Satz vermerkt, der auf eine deutlich spätere Erstellung des Beiblattes hinweist: „Früher Heimatbuch, 2015, 2016 Schreibset“
Der damalige Pollinger Bürgermeister Hans Schmidbauer erklärt auf Anfrage: „Bis 2014 hat es dieses Beiblatt nicht gegeben. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass jemals ein sehr guter Berufsschulabschluss mit einer anderen Qualifikation verknüpft worden wäre, damit ein Schüler geehrt werden konnte.“ Wenn eine zusätzliche Bedingung eingefügt worden wäre, dann hätte es unter ihm als Bürgermeister sicherlich einen entsprechenden Beschluss dazu gegeben.
Immerhin freut sich der Landrat mit der Pollingerin
Auch wenn ihr die Ehrung in ihrer Heimatgemeinde und von ihrem Ausbildungsbetrieb verwehrt bleibt. Genugtuung erfährt Verena Gaßner von anderer Stelle: Mühldorfs Landrat Max Heimerl ließ ihr eine Urkunde zukommen, inklusive Begleitschreiben, in dem er ihr herzlich zu ihrem „herausragenden Abschluss“ gratuliert: „Es hat mich sehr gefreut, dass Sie in diesem Schuljahr so exzellent abgeschnitten haben. Sie dürfen wirklich stolz auf sich sein!“ Sie solle sich inspirieren lassen und auf ihrem „weiteren Lebensweg immer offen und neugierig“ bleiben. Verena Gaßner hat sich darüber gefreut: „So sieht wirkliche Wertschätzung aus!“