Auf der Straße ihr eigener Chef
„Zu jedem Haus eine Geschichte“: So liefert Postbotin Kerstin List die Weihnachtspost
Damit Weihnachtspost und Geschenke an Heiligabend schön verpackt unter dem Christbaum liegen, arbeiten die Mitarbeiter der Post auf Hochtouren: 210.000 Sendungen pro Woche verlassen derzeit den Zustellstützpunkt Mühldorf. Doch der Job ist weit mehr als nur Briefe und Pakete zustellen.
Mühldorf – „Viele denken, wir bekommen das gepackte Fahrzeug hingestellt – aber ich muss doch wissen, was ich an Paketen dabei habe”, sagt Kerstin List, während sie einen Rollwagen in Richtung ihres gelben Lieferfahrzeugs lenkt. Die Postbotin und Teamleiterin im Zustellstützpunkt Mühldorf der Deutschen Post beginnt um 7 Uhr morgens mit den Vorbereitungen für den Tag. Paket für Paket scannt sie und sortiert anschließend auf der Ladefläche. Nach einer halben Stunde hat sie 63 Pakete verstaut, weitere 40 warten in der Halle.
Auch Großbriefe und Zeitschriften müssen geordnet werden. Das geschieht mit der Hand. Briefträgerin List weiß genau, in welchem Zustellbezirk und welcher Straße ihre Kunden wohnen, braucht nur auf die Namen zu schauen und steckt die Post in Fächer eines Metallgestells, später landen sie in gelben Kisten – bereit für die Tour. Standardbriefe kommen sortiert aus dem Briefzentrum in Landshut.
Paktete weiterhin ein Wachstumsgeschäft
List arbeitet bereits seit 2001 bei der Post, hat Fachkraft für Brief- und Frachtverkehr gelernt. Damals war sie noch auf dem Fahrrad unterwegs und hat nur Briefe ausgetragen. Inzwischen gehören Pakete dazu, Touren allein mit dem Fahrrad gibt es kaum noch. Auf vier Briefe kommt ein Paket. „Vor rund acht Jahren war das Verhältnis noch sieben Briefe zu einem Paket”, erzählt Abteilungsleiter Maximilian Peschek. „Während Briefe immer weniger werden, sind Pakete ein Wachstumsgeschäft.”
Gegen halb zehn leert sich die Halle im Zustellstützpunkt, Fächer und Spinde sind leer. List wechselt ihre Schuhe, nutzt die letzte Chance, zur Toilette zu gehen. Zwischen fünf und sechs Stunden wird sie unterwegs sein. Bis zur ersten Tür in Burg bei Winhöring dauert es etwa zwanzig Minuten. „Die Zusteller fahren sehr viel Auto, unfallfrei zu fahren ist mit die größte Herausforderung”, betont Michael Wanke, der den Zustellstützpunkt leitet.
Ein kurzer Ratsch gehört dazu
List mag es, auf der Straße ihr eigener Chef zu sein und jeden Tag an die frische Luft zu kommen. Wintereinbrüche oder Glatteis erschweren die Arbeit. „Für Postboten ist das ein Graus”, sagt sie. Weihnachten macht es noch schwieriger. Denn die Zahl der Sendungen ist immens: 210.000 Briefe und Pakete pro Woche bringen die Zustellerinnen und Zusteller im Landkreis Mühldorf, rund 40.000 mehr als das restliche Jahr über. Knapp 100 Mitarbeiter sind dafür nötig, dazu Aushilfen.
List bringt das Lieferfahrzeug zum Stehen, schnappt sich die Briefe aus der Kiste auf dem Beifahrersitz und bringt sie zu den Briefkästen: erstes Haus, zweites Haus, drittes Haus. Ein freundliches „Hallo” und „Schönen Tag”, als ihr eine Frau durch den Garten entgegenkommt und die Briefe abnimmt. „Man grüßt sich, im Sommer ist auch mal Zeit für einen kurzen Ratsch, das gehört dazu”, erzählt List. Dann fährt sie weiter, rückwärts eine Einfahrt hoch, Brief in den Kasten und ab in die nächste Straße.
Auch bei Eiseskälte und Sommerhitze unterwegs
List weiß , wenn jemand in Nachtschicht arbeitet oder ein kleines Kind hat. Erwarten diese Menschen ein Paket, klingelt sie nie, sondern legt es am vereinbarten Ort ab. „Das macht man halt einfach.” Gerlind Kadner trifft sie persönlich an. Die 84-Jährige freut sich immer, wenn Kerstin List Dienst hat: „Das ist unsere allerbeste und zuverlässigste und wir haben sogar am gleichen Tag Geburtstag, es ist einfach schön.” Es ist das Zwischenmenschliche, das den Job für die Zustellerin ausmacht. „Zu jedem Haus gibt es eine Geschichte – ich bekomme die schönen und traurigen Seiten mit.”
Geringeres Paketgewicht würde Zusteller entlasten
Doch der Job ist körperlich anstrengend: Pakete dürfen bis zu 31,5 Kilo wiegen. „Wenn diese Grenze runtergesetzt würde, würde uns das schon viel helfen”, sagt List.
Dafür spricht sich auch die Gewerkschaft ver.di aus, wie ein ver.di-Sprecher auf Anfrage mitteilt: „Wir begrüßen die aktuelle Gesetzes-Initiative der Bundesregierung, das Gewicht von Paketen in der Ein-Personen-Zustellung auf 23 Kilogramm zu beschränken.“ Denn das Heben und Transportieren von sehr schweren Paketen sei besonders belastend und bringe die Zustellerinnen und Zusteller häufig an ihre physische Belastungsgrenze.
Um dem entgegenzuwirken, hat List im Auto eine Sackkarre dabei. Sie freut sich, wenn Kunden bei großen Lieferungen mit anpacken. „Ältere oder kleinere Kolleginnen und Kollegen tun sich manchmal schwer mit den Paketen.”
Arbeitsbedingungen in der Zustellbranche variieren stark
Die Mitarbeiter bei der Post werden nach Tarif bezahlt, nicht pro Sendung. Der Einstiegslohn beginnt bei rund 17 Euro pro Stunde. Doch eine Tarifbindung gilt nicht für alle Unternehmen in der Zustellbranche. „Auf der anderen Seite gibt es Sub-Sub-Unternehmensstrukturen in der Zustellung, wo prekäre Beschäftigung und Ausbeutung an der Tagesordnung sind und es beispielsweise auch Verstöße gegen Gesetze wie zum Beispiel das Arbeitszeitgesetz oder das Mindestlohngesetz gibt“, betont ein ver.di-Sprecher.
Postbotin räumt mit einem Gerücht auf
„Es geht nicht darum schnell, sondern sorgfältig zu arbeiten”, hebt Post-Abteilungsleiter Peschek hervor. Verspätungen würden meist durch Krankheit, Wetter oder Personalmangel entstehen.
Und mit einem Gerücht möchte Zustellerin List noch aufräumen: „Wir arbeiten auch montags ganz normal. Da Geschäftspost aber in der Regel am Samstag ankommt und kaum private Post verschickt wird, nehmen viele das nicht wahr.” Aber wenn jemand einen selbstgeschriebenen Brief oder eine Karte erhält und sich freut, ist das für List besonders schön.


