Rückforderungen nach Schlussabrechnung?
Corona-Frust nach der Corona-Hilfe: Unternehmer hängen in der Luft
Nach den Corona-Hilfen stehen viele Unternehmen vor unerwarteten Rückforderungen, die sie finanziell in den Abgrund reißen könnten – wegen absurder Fälle. Dabei könnte die Lösung so einfach sein.
Mühldorf – Corona hat heute noch Unternehmen im Griff. Nämlich die Unternehmen, die die Überbrückungshilfen in Anspruch genommen haben, um zu überleben. Ein Teil dieser Unternehmen ist aktuell mit teils horrenden Rückforderungen konfrontiert. Es gebe Rückforderungen über 250.000 Euro, „die innerhalb von 14 Tagen zu zahlen sind“, schildert der Mühldorfer Steuerberater Johann Schranner.
Rückforderungen, die Unternehmer nicht nur demotivieren, nachdem Corona überstanden wurde. „Es stehen viele Rückzahlungen im Raum, die die Unternehmen überlasten werden“, beobachtet Schranner. Das bestätigt auch Holger Nagl, Vorsitzender im Mühldorfer Kreisverband des Hotel- und Gaststättenverbandes Dehoga. Der Eindruck: Die Kombination aus schnellen Corona-Hilfen und deutschem Bürokratismus erweist sich jetzt als toxische Mischung.
Knapp 48 Millionen Euro flossen in den Landkreis Mühldorf
Nach Angaben der IHK für München und Oberbayern wurden bayernweit 445.000 Anträge gestellt und insgesamt 11,9 Milliarden Euro ausgezahlt. Im Landkreis Mühldorf waren es für die 13 Programme der Überbrückungshilfen 1 bis 4, Neustart-, November- und Dezemberhilfen sowie der bayerischen Oktober- und Härtefallhilfe insgesamt 2.526 Anträge und 47,86 Millionen Euro. Jeder dritte Euro (33,5 Prozent) floss in das Gastgewerbe, gefolgt vom Baugewerbe (22,2 Prozent) und dem Bereich Kunst, Unterhaltung und Erholung (12,6 Prozent).
Zu Beginn der Corona-Pandemie habe die Politik schnell und unbürokratisch reagiert, sagt Nagl. „Das war wichtig, sonst hätten viele Unternehmen die ersten Monate nicht überstanden.“ Doch dann sei die Bürokratie gekommen. „Typisch deutsch, mit einer hohen Regulierungswut und undurchsichtigen Einschätzungen“. Und mit Regeln, „die sich ständig geändert haben“ und auch heute noch laufend ändern würden. „Das ist wie in einem Fußballspiel, in dem der Schiedsrichter alle fünf Minuten anders pfeift, weil die Fifa alle fünf Minuten die Regeln ändert, auch rückwirkend.“
„Damit kämpfen wir jetzt“
„Damit kämpfen wir jetzt“, sagen Schranner und Nagl. Denn jetzt geht es an die Schlussabrechnung der Überbrückungshilfen 1, 2, 3, 3+, 4 und 4+. Jetzt wird geprüft, ob alle Zahlungen zurecht und in der richtigen Höhe geleistet wurden. Wenn nicht, dann kann es sein, dass Unternehmen Gelder zurückzahlen müssen.
Der Staat stunde seine Forderungen zwar großzügig, habe auch noch keine Gelder eingetrieben, die Wirkung sei aber dennoch verheerend, unterstreicht Schranner: So ein Bescheid „haut den normalen Menschen um. Das macht die Leute mürbe.“ Auch wenn der Unternehmer nicht gleich zahlen müsse, „die Forderung schwebt über allem und die Kreditwürdigkeit ist beim Teufel.“ Der Unternehmer muss sie nämlich bilanzieren, sonst „bin ich im Kreditbetrug.“
Unternehmer können nichts machen, bis es geklärt ist
Die Folge: „Der Unternehmer kann nicht mehr investieren, kann im Grunde gar nichts machen, bis das geklärt ist“, ergänzt Nagl. Und das kann dauern.
Am 1. März waren nach Angaben der IHK bayernweit bei der Neustarthilfe 99 Prozent der Schlussabrechnungen erledigt. Bei den Überbrückungshilfen 1, 2, 3, 3+, 4 sowie bei den November- und Dezemberhilfen waren erst 52 Prozent erledigt. Knapp die Hälfte der Schlussabrechnungen stehen hier noch aus. Ende der Abgabefrist war im September, seitdem heißt es hier laut Schranner: „Still ruht der See. Es herrscht absolute Funkstille.“
Missbrauch von Steuergeldern verhindern
Die Abwicklung der Wirtschaftshilfen hat in der Pandemie die IHK für die Bayerische Staatsregierung übernommen. „Die Hilfen haben dazu beigetragen, Insolvenzen zu verhindern“, sagt Martin Drognitz, Mitglied der Hauptgeschäftsführung der IHK für München und Oberbayern und Bereichsleiter für die Abwicklung der Wirtschaftshilfen. Für die IHK gelte: „Schnelle und unkomplizierte Unterstützung für die Betriebe, die während Corona in finanzielle Schieflage geraten sind, und zugleich kritische Prüfung möglicher Verdachtsfälle, sofern die Gefahr des Missbrauchs von Steuergeldern im Raum steht.“
Die Programme waren von Beginn an zweistufig angelegt: Anfangs schätzte der Unternehmer seine Umsatzentwicklung. Auf dieser Basis bekam er vorläufige Hilfen. Jetzt wird geschaut, wie groß der Hilfebedarf tatsächlich war.
„Mit dem Geld hat sich niemand bereichert“
Aber braucht es das? Die Unternehmer hätten die Hilfsgelder ja nicht auf die Seite gelegt, sagen Gastronom Nagl und Steuerberater Schranner. Sie haben sie sogleich wieder investiert, um coronasicher zu sein: Neue Spülmaschinen und Lüftungsanlagen wurden angeschafft, Gasträume coronagerecht umgestaltet und ausgestattet. „Mit dem Geld hat sich niemand bereichert“, unterstreicht Nagl.
Doch jetzt komme es zu kuriosen Fällen, berichtet Schranner. Ein Mandant habe in seinem Hotel mit den Corona-Hilfen seine Bäder hergerichtet. „Bei der Schlussabrechnung hätten wir beweisen sollen, dass wir die Silikonfuge innerhalb der letzten fünf Jahre schon mal erneuert haben. Konnten wir nicht.“ Die Badsanierung galt daher als Investitionsstau. Für den gibt es kein Geld. Also müsse der Hotelier jetzt 20.000 Euro zurückzahlen und die neuen Bäder aus eigener Tasche tragen. „Festgemacht an einer Silikonfuge!“
Strengste Auslegung der Regeln in Bayern
Nagl ärgert noch ein weiterer Punkt: der Freiraum für Ermessensentscheidungen. Gleiche Maßnahmen würden bei verschiedenen Unternehmen unterschiedlich bewertet. Und: „Wir haben in Bayern die strengste Auslegung der Regeln in ganz Deutschland.“
„Der Großteil der Unternehmen, die während der Pandemie die Hilfen bekommen haben, dürfen diese Gelder komplett behalten oder bekommen sogar noch nachträgliche Nachzahlungen – aktuell sind dies 80 Prozent“, erklärt dagegen IHK-Mann Drognitz.
„Wir brauchen eine politische Lösung“
Bisher wurden nach Angaben der IHK bayernweit nachträglich weitere 134,8 Millionen Euro ausbezahlt und 349,1 Millionen Euro zurückgefordert. Allerdings rechnet die IHK damit, dass rund ein Drittel der Rückforderungen (105 Millionen Euro) nicht bezahlt werden.
Für den Wirtesprecher Nagl und Steuerberater Schranner gibt es nur einen Ausweg aus der fatalen Lage für die Unternehmen: „Wir brauchen eine politische Lösung.“
Eine einfache Lösung
„Wenn jemand wegen einer Rückforderung insolvent geht, bekommt der Staat sein Geld ja auch nicht wieder. Das Geld ist so und so weg“, sagt Gastronom Nagl.
Und weil die Unternehmer die erhaltenen Gelder schon längst wieder investiert haben, schlägt Schranner eine einfache Lösung vor: „Was gezahlt wurde, wurde gezahlt. Was nicht gezahlt wurde, wurde nicht gezahlt. Lasst es damit gut sein.“
