Ratlos gegenüber Rechtsruck
Landkreise Mühldorf und Altötting: Warum ist die AfD gerade hier so stark?
In keinem anderen Landkreis in Oberbayern hat die AfD bei der Europawahl so gut abgeschnitten wie in Mühldorf und Altötting. Heimische Politiker auf der Suche nach Erklärungen.
Von Jörg Eschenfelder, Helena Gennutt, Markus Honervogt und Christa Latta
Mühldorf/Altötting – Es haben bei der Europawahl so viele Menschen in den Landkreisen Mühldorf und Altötting gewählt wie lange nicht. Es haben sich aber auch so viele für die AfD ausgesprochen, wie nie zuvor. Nur in zwei Landkreisen in Oberbayern haben mehr als 15 Prozent den Rechtsradikalen ihre Stimme gegeben: in Mühldorf und Altötting.
Hohe Wahlbeteiligung schafft eine breite demokratische Basis
Walter Göbl ist Vorsitzender der Europa-Union Deutschland (EUD) in den Landkreisen Altötting und Mühldorf. Sein Verband bezeichnet sich selbst als „größte Bürgerinitiative für Europa in Deutschland“. Er ist deshalb zunächst einmal zufrieden: „Die Wahlbeteiligung in unseren Landkreisen ist nochmal deutlich gestiegen“, sagt er, auf über 60 Prozent. Und: „Mit 80 Prozent ist die Mehrheit der Stimmen auf demokratische Parteien entfallen.“ Dazu zählt er alle außer AfD und BSW, die neue Partei von Sahra Wagenknecht. „Ich bin aber sehr unglücklich über die Stärkung der Rechtsextremisten und des BSW, die beide nicht auf dem gemeinsamen europäischen Boden stehen“, sagt Göbl, der als Geschäftsführer für den Bundeswahlkreis der CSU arbeitet.
Mit der Suche nach den Gründen steht Göbl noch ganz am Anfang. „Das ist schwer zu beurteilen“, betont er. „Mit Tiktok und den jungen Wählern ist das allein aber nicht zu erklären.“ Auch wenn er die genauen Gründe für das starke Abschneiden der Rechten in der Region noch nicht kennt, nimmt er die heimischen Politiker in die Pflicht. Deren Aufgabe sei es, im Gespräch mit den Bürgern die Gründe zu suchen und zu besprechen.
Mit Blick auf die unterschiedlichen Ergebnisse in verschiedenen Kommunen sagt Göbl: „Es muss in den Orten Gründe für das Abschneiden der AfD geben, zum Beispiel die Migration.“
Migration eine Ursache – aber nicht die einzige
Alles lässt sich damit laut dem Europaunionsvorsitzenden aber nicht erklären. So ist das Abschneiden der AfD in Mühldorf und Waldkraiburg mit 14,3 und 21,3 Prozent sehr unterschiedlich, obwohl beide Städte viele Flüchtlinge beherbergen. „Es gibt offensichtlich Befürchtungen, die wir nicht kennen.“
Diesen Gedanken verfolgt auch Patrick Mayer. Der enttäuschte SPD-Unterbezirksvorsitzende sagt: „Wir müssen uns selbst hinterfragen, ob wir Themen falsch gewählt haben, ob wir den Menschen nicht genau genug zugehört haben.“
Auf Landkreisebene habe die AfD schon bei den jüngsten Landtagswahlen ein ähnliches Ergebnis erreicht: „Das ist keine neue Erkenntnis, der Unmut vieler Bürger etwa über das Ankerzentrum in Waldkraiburg ist groß.“
Auch für Richard Fischer, langjähriger SPD-Stadtrat in Waldkraiburg, ist das Ankerzentrum ein Grund für das Abschneiden der AfD in seiner Stadt, das er schockierend nennt. Ein Ergebnis, das Waldkraiburg als „Hochburg der AfD” dastehen lässt.
Die Unterbringung von Geflüchteten sei ein Thema, dass die Menschen bewege. „Obwohl sich die Situation seit 2015 nicht negativ entwickelt hat, hat manch einer trotzdem Ängste im Hinterkopf.“ In Waldkraiburg leben viele Nationalitäten zusammen und es sei nicht gelungen, alle so zu motivieren und einzubinden, wie es sein sollte. „Dass die Menschen die Lösung tatsächlich bei der AfD sehen, kann ich mir aber nicht vorstellen.”
Es sei wichtig, noch intensiver auf die eigene politische Position, aber auch die Ängste und Probleme der Menschen einzugehen. Fischer wünscht sich, dass die demokratischen Parteien dabei zukünftig stärker zusammenarbeiten. „Denn wir als Demokraten versuchen, Dinge abzuwehren, die schlecht für die Menschen sind.”
Waldkraiburgs Bürgermeister Robert Pötzsch (UWG) ist beunruhigt. „Was mich umtreibt ist, dass unsere Werte derart und wiederholt infrage gestellt werden.“ Über viele Jahrzehnte sei unter großem Engagement eine große Gemeinschaft mit gleichen Werten und gegenseitiger Hilfe aufgebaut worden, sagt er. „Dies alles funktioniert nur, wenn wir zusammenhalten! Im kleinen wie der Familie, in der Kommune wie unserer Stadt oder im großen wie in Europa.“
Landtagsabgeordnete fordern eine andere Politik
CSU-Landtagsabgeordneter Sascha Schnürer (CSU) nennt das Abschneiden der AfD „alarmierend“, die AfD habe im Landkreis „überproportional“ zugelegt, konnte ihr Ergebnis von 10,3 Prozent auf 15,5 Prozent steigern. In diesem Zusammenhang nennt er auch das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), das aus dem Stand 3,9 Prozent bekam. „Das sind zusammen knapp 20 Prozent“, warnt Schnürer. Er sieht zwischen diesen Parteien durchaus Berührungspunkte: „Da werden sich die Reihen schließen.“
Seinen Landtagskollegen Markus Saller, Kreisvorsitzender der Freien Wähler (FW), überrascht das Ergebnis nicht. Die AfD habe mit ihrer Art des Wahlkampfs junge Wähler angesprochen. Trotz der Zugewinne für die AfD und das Ergebnis für BSW sagt Saller: „Ich sehe in der Bevölkerung keinen großen Rechtsruck. Aber schön ist das Ergebnis nicht.“
Eine besondere Ursache für die Stärke von AfD und BSW im Landkreis Mühldorf sehen Schnürer und Saller nicht. „In Summe“ sei das Ergebnis ein Ausdruck der AfD als Protestpartei, meint Schnürer. „Das ist die Folge, wenn die Politik die dringenden Fragen nicht lösen kann.“ Eine Kritik an der Ampelregierung also.
Saller wünscht sich eine andere Diskussionskultur: „Man muss wieder mehr Meinungen zulassen und nicht jede gleich in die rechte Ecke stellen.“ Und dann müssten die „Kernthemen“ gelöst werden, darunter die Frage der Migration. „Wir müssen den Wähler ernst nehmen und im Bund dringend eine andere Politik machen“, fordert auch Schnürer. „Dann bekommen wir wieder die Wählerstimmen.“
Auch beim zweiten deutlichen Ergebnis der Europawahl sind viele Fragen offen: Warum haben so viele junge Menschen die AfD gewählt.
Niklas Renner, Vorsitzender des Jugendparlaments in Waldkraiburg, kann nicht nachvollziehen, dass die AfD ausgerechnet in der Vertriebenenstadt Waldkraiburg so stark punktet. Dass liege an provokanten Wahlplakaten, aber vor allem an provokanten und einfach zu verstehenden Botschaften in den sozialen Medien. So habe die Partei auch insbesondere junge Wählerinnen und Wähler erreicht.





